Die russische Bedrohung im Blick | ABC-Z
Seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine hat sich die Sicherheitslage auch in der Ostsee stark verändert. Bereits nach 2014 registrierte die NATO häufigere Flüge russischer Militärmaschinen. Die NATO reagierte mit verstärktem Air Policing, an dem sich die Luftwaffe beteiligt. Mit der Volloffensive auf die Ukraine 2022 verschärfte sich die Lage dann auch zur See.
Während die Deutsche Marine zunächst kaum irreguläre militärische Schiffsbewegungen registrierte, stieg das Aufkommen an russischen Forschungsschiffen, und dann tauchten Öltanker auf, mit denen Russland versucht, Sanktionen zu umgehen. Mehr als 75 dieser Schiffe, oft unter Flaggen von Staaten wie Panama, sollen Ost- und Nordsee befahren. Immer häufiger kommt es dabei zu Auffälligkeiten – Spionage und Sabotage, seltsame Fahrmuster. Russische Schiffe wurden mitten in Offshore-Windparks gesichtet, starteten Drohnen oder fahren extrem langsam entlang wichtiger Unterwasserkabel.
Finnen gehen entschiedener vor
Mit Beginn des Angriffskriegs hat sich für Russland die strategische Lage in der Ostsee verschlechtert. Mit dem Beitritt Schwedens und Finnlands sind sämtliche Anrainer Mitglieder der NATO. Und was etwa die kleine finnische Marine nicht an Größe aufbieten kann, hat sie doch an Handlungsklarheit gegen russische Aggression. Das NATO-Treffen diese Woche in Helsinki folgte finnischem Handeln gegen das mutmaßliche Sabotage-Schiff Eagle S. Dabei zeigten die finnischen Behörden eine Entschiedenheit, die man von der Deutschen Marine nicht sieht.
Das Schiff wurde festgesetzt, ebenso wie der chinesische Frachter Yi Peng 3 durch dänische Einheiten, dem ebenfalls die Beschädigung von Unterwasserleitungen vorgehalten wurde. Bei dem Treffen vergangene Woche beschlossen die Anwesenden, darunter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), eine verstärkte militärische Überwachung des Seegebiets. Deutschland werde der Mission „Baltic Sentry“ beitreten, erklärte Scholz danach, sagte aber nicht, inwieweit.
Die NATO-Mission soll Kriegsschiffe, U-Boote, Aufklärungsflugzeuge und Drohnen umfassen. Von allem hat die Deutsche Marine wenig. Nach 1990 wurde auch sie weitgehend abgerüstet. Es blieben einige Korvetten und Fregatten, die U-Boot-Flotte wurde auf sechs Exemplare reduziert. Nach aktuellen Konzepten des Marine-Inspekteurs Jan Kaack soll die Marine bis etwa 2035 ertüchtigt werden.
Deutscher Marine fehlen wendige Einheiten
Neue U-Boote wurden erst vor Kurzem und damit sehr spät bestellt. Vorhaben zu unbemannten Überwachungs- und Seekriegswaffen stecken in den Anfängen. Stattdessen wurden Milliarden in Fregatten des Typs F125 für internationale Friedensmissionen investiert. Abgesehen von ein paar verbliebenen Minenjagdbooten, fehlt es an wendigen Einheiten für die Ostsee. Allein zwanzig Schnellboote wurden seit 2005 stillgelegt, zuletzt 2016 die Gepard-Klasse. Sie waren zur Küstenverteidigung und Überwachung von Nord- und Ostsee bestimmt – genau das, was man jetzt gebrauchen könnte.
Die Marine ist jedoch nur ein Instrument, um russischen Aktivitäten zu begegnen. Mit der Abwehr von Sabotage, Spionage oder eventuell nur vorgetäuschter Havarie sind andere Behörden ebenfalls befasst. Als etwa kürzlich der Tanker Eventin mit 99.000 Tonnen Öl an Bord vor Rügen trieb wegen eines angeblichen Maschinenschadens, waren Seenotschlepper und die Abteilung See der Bundespolizei gefragt.
Obwohl die Mannschaft dann rasch mitteilte, das Schiff könne weiterfahren, untersagte die „Dienststelle Schiffssicherheit der Berufsgenossenschaft Verkehr“ die Weiterfahrt. Zunächst müsse gründlich die Verkehrssicherheit des Schiffs geprüft werden. Zur selben Zeit trieb mit angeblich sich wiederholenden Maschinenproblemen auch der Tanker Jazz unter der Flagge Panamas in der Nähe, der ebenfalls der Schattenflotte zugerechnet wird.
Für die Ladungen könnte sich auch der Zoll interessieren, soweit die Schiffe sich in deutschen Hoheitsgewässern aufhalten. Auch hier sind aber zunächst Einheiten der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt zuständig. Die unterhält mehrere Mehrzweckschiffe, bereit zum Notschleppen, zur Öl-, Chemikalien- und Brandbekämpfung. Zusätzlich gibt es private Notschlepper. Zudem patrouillieren sechs Schiffe der Potsdam-Klasse der Küstenwache.
Klar ist, russische Aktivitäten, auch militärische, haben stark zugenommen. Das professionelle Miteinander, das auch den Kalten Krieg geprägt hat, ist derzeit einem zunehmend aggressiven Vorgehen Russlands gewichen. Allerdings ist eine verstärkte Überwachung nicht so schwer, wie der Blick auf die Landkarte nahelegt. Der berufliche Schiffsverkehr auf der Ostsee führt über festgelegte Wasserwege. Die meisten Schiffe kommen aus Europa, Fremde sind leicht zu identifizieren. Selbst wenn sie das internationale Identifikationssystem (AIS) abgeschaltet haben.
Dazu verfügen die NATO- und EU-Anrainerstaaten der Ostsee über eine große Menge von Daten. Schiffe, Windparks, Plattformen, Leuchttürme, Bojen und Sonar können über und unter Wasser viele Bewegungen aufnehmen. Künstliche Intelligenz ist in der Lage, Abweichungen von normalen Fahrmustern umgehend zu melden.
Kein Meer der Welt ist zumindest potentiell so transparent wie die Ostsee. Die Aufgabe besteht darin, das Netz dichter zu knüpfen und vor allem das Wissen zu verbinden. Mit der Einrichtung des neuen Commander Task Force (CTF) Baltic in Rostock haben sich die Anrainer und die NATO kürzlich eine neue Führungs- und Informationsplattform geschaffen, die das leisten soll.