Kultur

Die Oper “Mazeppa” über den ukrainischen Freiheitshelden | ABC-Z

Ukrainern gilt er als Nationalheld, für Russen ist er der Inbegriff eines Verräters. Byron und Puschkin haben unterschiedliche Episoden der Biografie des Hetmans der Saporoger Kosaken literarisch bearbeitet, Tschaikowsky hat Iwan Masepa zur Hauptfigur seiner 1883 in Moskau uraufgeführten Oper “Mazeppa” gemacht. Sie ist ab diesem Samstag in einer Aufführung der freien Gruppe Opera Incognita im Audimax der Ludwig-Maximilians-Universität zu sehen. Andreas Wiedermann inszeniert, Ernst Bartmann hat die musikalische Leitung.

AZ: Herr Wiedermann, das Markenzeichen Ihrer Inszenierungen sind ungewöhnliche Spielorte. Warum diesmal die Uni?
ANDREAS WIEDERMANN: Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen möchte ich Tschaikowskys hochemotionaler Musik etwas entgegensetzen. Zum anderen erzählen wir den Stoff auf mehreren Ebenen. Eine davon ordnet die Geschichte historisch ein, weil wir davon ausgehen, dass unseren Besucher der historische Kontext der Opernhandlung unbekannt ist.

Kotschubej (Robson Tavares, links), Ljubow (Carolin Ritter), Maria (Ekaterina Isachenko) und Mazeppa (Torsten Petsch) im Treppenhaus der LMU.
© Aylin Kaip
Kotschubej (Robson Tavares, links), Ljubow (Carolin Ritter), Maria (Ekaterina Isachenko) und Mazeppa (Torsten Petsch) im Treppenhaus der LMU.

von Aylin Kaip

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Wer war – je nach Sprache – Ivan Stepanovyc Mazepa, Ioannes Mazeppa oder Iwan Masepa?
Er war der letzte große Befehlshaber der Saporoger Kosaken, unabhängiger Wehrbauern, die sich ab dem späten 15. Jahrhundert am unteren Lauf des Dnjepr hinter den Stromschnellen dieses Flusses ansiedelten. Mazeppa lebte zwischen 1639 und 1709. Ihm gelang es, als Hetman das ukrainische Gebiet links und rechts des Dnjepr politisch zu vereinen. Er empfand sich lange als ein Verbündeter des russischen Zaren Peter I. Im Nordischen Krieg versuchte der schwedische König Karl XII. Russland zu erobern. Dabei besetzte er auch die Ukraine und hinterließ verbrannte Erde. Wegen der mangelnden Unterstützung durch Peter den Großen wechselte Mazeppa 1709 auf die schwedische Seite – auch auf Druck seines politischen Umfelds. In der Schlacht bei Poltawa wurden die verbündeten Schweden und Kosaken vernichtend geschlagen. Mazeppa und Karl XII. wechselten auf türkisches Gebiet im heutigen Moldawien, wo der Hetman kurz danach starb.

Wieso ist Mazeppa heute noch ein Thema?
Weil in seiner Zeit die meist unter russischem Einfluss stehende linksufrige und die lange zu Polen gehörende rechtsufrige Ukraine eine politische Einheit bildete. Im 18. Jahrhundert wuchs der russische Einfluss auf beiden Seiten des Dnjepr, und 200 Jahre lang war von der Unabhängigkeit dieses Gebiets keine Rede mehr.

Was hat Künstler an Mazeppa fasziniert?
Ganz sicher der Aspekt des Freiheitshelden, der Kampf gegen einen übermächtigen Feind. Voltaire, Lord Byron, der Maler Eugène Delacroix und der Komponist haben eine frühere Episode aus Mazeppas Leben künstlerisch verarbeitet, von der nicht ganz sicher ist, ob sie historisch ist. Er soll eine polnische Adelige verführt haben, wurde nackt auf ein Pferd gebunden und in die Steppe hinausgejagt.

Tschaikowsky erzählt nach Puschkin eine andere Geschichte: Sie spielt in Umfeld der Schlacht von Poltawa.
Der alte Mazeppa will Maria, die sehr junge Tochter eines Gutsherrn in Poltawa heiraten. Kotschubej verweigert ihm das, was zu einem großen cholerischen Ausbruch Mazeppas führt. Am Ende wird Kotschubej hingerichtet und Maria wahnsinnig. Kurz gesagt: Die Oper erzählt vor einem historischen Hintergrund von der Zerstörung von Seelen, von der Verrohung von Charakteren und von der Verödung von Landschaften.

In welchem Hörsaal findet die Aufführung statt?
Im Auditorium Maximum. Den Rahmen – die Sandkastenliebe zwischen Maria und Andrej – spielen wir davor und danach auf der Treppe des Lichthofs, weil wir denken, dass der musikalisch ausgesparte Stil dieser Szenen dort funktioniert. Die Chorszenen spielen wir im Audimax in unserer üblichen Besetzung mit solistischen Streichern und Bläsern.

Im Moment ist vorlesungsfreie Zeit. Ist es trotzdem schwierig, in der Uni zu spielen?
Das Wandern des Publikums zwischen Lichthof und Audimax lässt sich nicht proben. Überraschungen gibt es immer. Aber der für Liegenschaften der Uni zuständige Herr Fahrmeir ist ein großer Opernfan – und einer der wenige Menschen in München, der Tschaikowskys “Mazeppa” schon vor unserer Anfrage kannte.

Warum wird diese Oper vergleichsweise selten aufgeführt?
Ich kannte sie vorher durch die sehr gute Aufnahme unter Valery Gergiev und die noch bessere von Neeme Järvi. “Mazeppa” teilt das Schicksal von Verdis “Simon Boccanegra”: Beides sind Opern der tiefen Männerstimmen. Das mögen manche Leute nicht. Sie ist dunkel, die Figuren sind spröde und zerrissen. Außerdem hat sie eine sehr heutige Dramaturgie, die nur Drehmomente zeigt und Hinleitungen ausblendet, Das mag den Eindruck entstehen lassen, dass etwas fehlt.

Trotzdem ist die Musik stark.
Dirigenten schätzen diese Oper. Auch Kirill Petrenko hat sie in Berlin schon konzertant aufgeführt. Es ist ein ausgewachsener Tschaikowsky, der “Eugen Onegin” und “Pique Dame” in nichts nachsteht.

Die Premiere ist am 31. August um 19.30 Uhr im Audimax der Ludwig-Maximilians-Universität.
Weitere Aufführungen zur gleichen Uhrzeit am 6., 7., 13. und 14. September, Karten bei Münchenticket

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