Meinungen

“Die Nibelungen” bei RTL+: Godfather im Game of Thrones | ABC-Z

Deutsche Helden waren – auch, weil es hierzulande wegen des notorischen Expansionsdrangs gar nicht mehr allzu viele gibt – schon mal edelmütiger. Weihevoll, strahlend blond und stattlich wie Siegfried 1924 in Fritz Langs schwarzweißem Stummfilmepos zum Beispiel. Weihevoll, strahlendblonder und stattlich wie derselbe Drachentöter in Harald Reinls Nibelungen 42 Jahre später. Etwas weniger weihevoll, dafür umso stattlicher und immerhin dunkelblond wie in Uli Edels Sat.1-Version Mitte der Neunziger. Wann immer sich Regisseure daran abarbeiten, erstrahlt die Lichtgestalt nationaler Gründungsmythen so hell, dass sie ihr Gegenstück verschattet: Hagen von Tronje, Siegfrieds Rivale und Mörder. Darth Vader meets Lord Voldemort gewissermaßen.

Und jetzt das!?


Zu Beginn einer Neuverfilmung bei RTL+ poltert das deutsche Monument alles andere als heroisch in den Sechsteiler und benimmt sich, vornehm ausgedrückt, voll daneben. Nachdem Burgunder-König Dankrat (Jörg Hartmann) getötet wurde, sitzt der naive Gunter (Dominic Marcus Singer) auf dem Thron und bietet Siegfried von Xanten einen Platz am Wormser Hof. Was aber macht der geladene Gast? Er säuft, hurt, prügelt sich durch die Spelunken der Stadt, stößt seiner Majestät auch sonst andauernd vors bekrönte Haupt und brüskiert damit nebenbei dessen Halbbruder, den Waffenmeister Hagen.

Alles also ein einziger, eigentlich inakzeptabler Affront – bräuchte Gunter den ungehobelten Krieger nicht im Kampf um sein Reich. Während der Völkerwanderung des 5. Jahrhunderts nämlich wird es von Hunnen bedroht, die das spätrömische Imperium an dessen Ostseite überrennen und gemeinsam mit den Sachsen kurz vor Burgund stehen. Da kommen Siegfrieds Spießgesellen ganz gelegen. So weit, so sagenhaft. Dieses Nibelungenlied jedoch basiert nicht auf dem mittelalterlichen Originaltext, sondern Wolfgang Holbeins Spin-Off von 1986.

Damals hat ihn der deutsche Fantasy-Fabrikant (von dem Prime Video vor zwei Jahren erst „Der Greif“ verfilmt hat) ein wenig anders interpretiert als bisherige Versionen – das deutet bereits der Titel an: „Hagen von Tronje“. Um publikumswirksam zu sein, hat ihn Constantin Television zwar in „Die Nibelungen“ umbenannt und zur Sicherheit noch ein schepperndes „Kampf der Königreiche“ darunter geklemmt. Aber auch so steht der sinistre Antagonist voriger Adaptionen mehr im Mittelpunkt als sein heldenhafter Rivale – und verändert dabei komplett den Charakter.



© RTL/Constantin Film
Siegfried (Jannis Niewöhner) und Hagen (Gijs Naber)

Der Niederländer Gijs Naber spielt Hagen weder als geltungssüchtigen noch verschlagenen, sondern seelisch wie körperlich vernarbten Diener des Monarchen, dem er pflichtbewusst die Treue hält. Damit ist er das genaue Gegenteil vom moralisch verlotterten Raufbold Siegfried, den der gelernte Heißsporn Jannis Niewöhner („Beat“) irgendwo zwischen James Dean und Prinz Oberyn, Coming-of-Age oder „Game of Thrones“ verkörpert. „Ein Kurt Cobain seiner Zeit“, nennt ihn Cyrill Boss auf DWDL-Nachfrage: „Faszinierend, aber zerrissen und selbstzerstörerisch.“

Das war er auch voriges Jahr bereits, als ihn der Regisseur – wie in „Der Pass“ mit seiner besseren Hälfte Philipp Stennert – zum Gegenpol des Titelhelden ihres gemeinsamen Kinofilms „Hagen – Im Tal der Nibelungen“ gemacht hatte. Auf kurzer Leinwandstrecke allerdings kam diese Schubumkehr noch nicht so recht zum Tragen. In annähernd dreifacher Serienlänge hat dasselbe Personal nun genügend Zeit, die epische Schlacht um Krone, Reich und Königstochter Kriemhild (Lilja van der Zwaag) plausibel zu machen.

Unterm fabelhaften Sounddesign von Herbert Verdino über Matthias Müsses sorgfältig gestalteten Mittelalterkulisse, entfaltet das Duell befreundeter Feinde fast schon shakespearesche Dringlichkeit. Selbst künstlich aufgeblähte Einzelkampfszenen im Mixed-Martial-Arts-Stil oder die anstrengende Esoterik um den Elfenkönig Alberich wirken selten deplatziert oder selbstreferenziell. Befürchtungen, die ein Auftraggeber à la RTL+ bei Arte-Fans erzeugt haben mag, sind demnach unbegründet. „Die Nibelungen. Kampf der Königreiche“ ist ansehnliches Historytainment auf mythologischer Grundlage – und wirft dennoch Fragen auf. Vor allem die natürlich, warum man den schwer missbrauchten Stoff gerade jetzt aus der Mottenkiste völkischer Nationalisten Marke AfD holt.

Angesichts solcher Bedenken bleibt Cyrill Boss relativ gelassen. Als Kindheitsfan epischer Sagen von Homers „Odyssee“ über „Prinz Eisenherz“ und „Sigurd“ bis hin zu „Herr der Ringe“ oder „Harry Potter“, sieht der Filmemacher „keinen Grund, mir über Mythenklau von rechts Gedanken zu machen“ oder noch schlimmer: „Diesen Leuten das Feld der Sagen und Mythen zu überlassen“. Auch deshalb webt das Drehbuch der beiden Erfolgsregisseure offenbar gern mal Kommentare auf aktuelle Themen ein.


Wenn Kriemhild Kriegsflüchtlinge aus dem Osten damit kommentiert, „mein Bruder schickte Hagen, um die Fremden aus Burgund zu vertreiben, aber keiner von uns ahnte, dass nicht sie das Problem waren, sondern der Feind“, kriegen Friedrich Merz oder Alice Weidel schließlich Schnappatmung. Und ihr Atem geht gewiss nicht flacher, wenn der Scherbenhaufen des männlichen Intrigantenstadls am Burgunder Hof meist von Frauen beseitigt wird. Als Aufräumkräfte dienen da nicht nur die achtsame Kriemhild und ihre Mutter Ute (Jördis Triebel).


Auch (überlieferte) Walküren wie Brunhild (Rosaline Mynster) oder Hagens (hinzugedichtete) Kampfgefährtin Damira (Emma Preisendanz) erhöhen den weiblichen Einfluss aufs „Game of Thrones“ mit einem „Hauch vom Godfather“, wie es Cyrill Boss ganz unbescheiden umschreibt. Rein dramaturgisch hat sich das „epische Budget“, von dem RTL ohne Zahlen zu nennen schwärmt, also durchaus gelohnt. Ob die Zugriffszahlen das Investment rechtfertigen, bleibt abzuwarten.

Alle sechs Folgen von “Die Nibelungen” stehen bei RTL+ zum Streamen bereit

Back to top button