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Druck in der Schule: Manchmal kommen Eltern mit dem Anwalt in die Sprechstunde – Starnberg | ABC-Z

SZ: Frau Bannert, Herr Etter, macht es bei all den Konflikten überhaupt noch Spaß, Lehrer zu sein?

Nicole Bannert: Aber natürlich! Im Mittelpunkt stehen schließlich die Kinder. Die meisten Konflikte entstehen ohnehin eher auf Seiten der Eltern, oft auch wegen Leistungsdrucks und Noten. Bei den Kindern selbst handelt es sich meist um erzieherische Herausforderungen, und genau dafür sind wir Lehrer da.

Hans-Peter Etter: Ohne Idealismus ist der Lehrerberuf undenkbar.  Wenn man die Liebe zu den Kindern nicht hat, ist man fehl am Platz. Elternkonflikte können aber den Alltag als Lehrer erheblich beeinträchtigen. Eltern können da ziemlich Druck ausüben. Manche kommen sogar mit dem Rechtsanwalt in die Sprechstunde; das ist jedoch rechtlich nicht erlaubt. Aber sie machen es bewusst, um die Lehrkräfte unter Druck setzten. Da reicht ein Elternpaar in der Klasse, und die Lehrkraft steht nicht mehr so authentisch vor der Klasse aus Sorge, etwas falsch zu machen.

Das erste Halbjahr der Schulzeit ist vorbei. Die letzten Proben stehen an, für die Viertklässler rückt der Übertritt näher. Wann rechnen Sie mit den ersten Beschwerden von Eltern?

Bannert: Meistens schon kurz vorher, aber spätestens danach.

Etter: Bei den Fällen, die mir bekannt sind, üben Eltern schon am Anfang der vierten Klasse Druck aus. Sobald das Übertrittszeugnis da ist, überlegen manche Eltern, juristisch dagegen vorzugehen: Da es sich hier um einen Verwaltungsakt handelt, können die Eltern Widerspruch gegen das Zeugnis einlegen oder sogar Klage erheben.

Wie oft kommt das vor?

Etter: Die meisten Eltern arbeiten mit den Lehrkräften sehr gut zusammen und üben keineswegs Druck auf die Lehrer aus. Es gibt also nicht viele Fälle, aber es gibt sie. Bei Problemen sollte der persönliche Kontakt zur Lehrkraft immer an erster Stelle stehen.

Bannert: Und der Druck ist eben der Punkt, der Druck ist die ganze Zeit schon da. Vor allem natürlich für die Kinder. Da zählt dann jeder Punkt.

Können Anwälte in diesem Fall überhaupt etwas bewirken?

Etter: Leider ja. Anwälte üben Druck aus und verunsichern die Lehrkräfte. Und sie können juristisch überprüfen, ob sich die Lehrkraft an die vorgeschriebenen formalen Maßgaben hält. Zum Beispiel, ob dem Lehrplan gefolgt wurde oder die Probezahlen eingehalten wurden, die Proben angekündigt waren und ob die Dokumentationen entsprechend erfüllt wurden. Gegebenenfalls gibt es eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Lehrkraft. Wenn das Übertrittsszeugnis tatsächlich angefochten werden sollte, dann ist natürlich der Anwalt gefragt, weil es um formale Angelegenheiten geht.

Wie machen Eltern den Lehrkräften noch zu schaffen?

Bannert: Viele Eltern im Landkreis Starnberg legen großen Wert auf ihre Außenwirkung. Ihnen ist wichtig, dass ihr Kind aufs Gymnasium geht. Deshalb überprüfen manche bei jeder Probe noch mal die Punkte. Manche richten ihren Ehrgeiz und Zorn auch gegen die Lehrkraft; da können wir gar nichts machen. Lehrkraft zu sein, ist eine Berufung, daher nehmen Lehrer solche Angriffe schnell persönlich.

Die Noten im Zeugnis können entscheidend sein, wie es nach der Grundschule weitergeht. Das übt Druck aus auf die Kinder, aber auch auf Lehrkräfte. (Foto: Sebastian Kahnert/dpa)

Vielerorts verdienen Handwerker genauso viel wie Akademiker, wenn nicht sogar mehr. Wieso sind Eltern in Zeiten von Fachkräftemangel überhaupt so besessen darauf, ihre Kinder aufs Gymnasium zu schicken?

Etter: Gerade in unserem Landkreis spielt Statusdenken eine ganz große Rolle. Eltern wollen sicher das Beste für ihr Kind, vermeintlich also den höchsten Schulabschluss. Die schulische Laufbahn darf aber weder vom Bildungsstand der Eltern noch deren finanziellen Möglichkeit abhängen. Für dieses 2,33 wird dann alles versucht. Pädagogisch ist das oft ein riesiger Fehler: Kinder werden massiv unter Druck gesetzt und verunsichert. Es gibt Grundschulkinder, die deshalb nachts vor einer Probearbeit nicht schlafen können oder gar krank werden. Wir reden hier von der psychischen Gesundheit von Neun- bis Zehnjährigen.

Bannert: Und wenn Kinder den passenden Notendurchschnitt fürs Gymnasium haben, aber die Eltern sie auf die Realschule schicken, etwa, um ihnen den Leistungsdruck zu nehmen, geben andere Eltern ihnen das Gefühl, dem Kind etwas zu verbauen.

Sowohl der Grundschulverband als auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft fordern eine längere Grundschulzeit, damit der Selektionsdruck erst später einsetzt.

Etter: Das Übertrittsverfahren und die Schulstruktur müssen grundlegend überdacht werden. Kinder sollten, wie in anderen Ländern auch, länger gemeinsam zur Schule gehen. Außerdem sollte der Elternwille viel stärker in den Übertrittsprozess einbezogen werden. Die Lehrkraft berät die Eltern, spricht Empfehlungen aus, aber letztendlich sollen die Eltern entscheiden.

Was macht der Druck noch mit den Kindern?

Bannert: Er geht oft nach hinten los. Die Kinder können dann noch weniger leisten als normalerweise. Ich finde, Kinder sollen ihre Hausaufgaben erledigen und dazu noch etwas lernen. Aber wenn andere Kinder erzählen, wie viel sie zu Hause mit ihren Eltern üben, entsteht ein gewisser Zugzwang, um mitzuhalten. Auch für die Probenerstellung ist das schwierig: Lehrer müssen immer spannendere und komplexere Aufgaben erfinden, um auch den „High-Performern“ gerecht zu werden. Dabei entsteht allerdings die beschriebene Negativspirale.

Was können Lehrkräfte tun, wenn ihnen mit Anwälten gedroht wird?

Etter: Viele suchen sich Unterstützung im Kollegium und bei der Schulleitung. Manchmal helfen auch Schulämter. Lehrer können aber auch durch die Rechtsabteilung des BLLV unterstützt werden. Während meiner Zeit in der Rechtsabteilung hatten wir viele Anfragen von verzweifelten Lehrkräften. Oft wissen sie nicht, wie sie sich in solchen Fällen verhalten sollen. Bewährt hat sich das Zusammenspiel aus Lehrern und Juristen beim BLLV, um Lehrer in genau solchen Konfliktsituationen unter die Arme zu greifen. Beispielsweise ist ein Verweis eine Erziehungsmaßnahme, die juristisch gar nicht angefochten werden kann. Wir haben drei Volljuristen in der Rechtsabteilung und etwa 20 pädagogische Unterstützer, die sich um solche Angelegenheiten kümmern.

Bannert: Mich haben Eltern als Schulleitung auch schon angezeigt. Mit dem BLLV im Rücken hat sich das dann schnell erledigt. Aber als Lehrkraft ist man in dieser Situation natürlich gestresst und verärgert. Ohne den Verband ist man alleine, wir Lehrkräfte haben ja keine juristische Ausbildung.

Ein Anwalt hat alles zerpflückt, auch die Fragestellung in Proben

Gibt es Fälle, die vor Gericht gehen?

Etter: Ja, vereinzelt gibt es solche Fälle. Beispielsweise hatte eine Kollegin nie Probleme mit Eltern, aber ein Elternpaar hat plötzlich ab Anfang der vierten Klasse massiv Druck ausgeübt, um ihrem Kind den 2,33-Schnitt zu garantieren. Der Anwalt des Paars hat in einem 43 Seiten langen Klageanschreiben alles zerpflückt, etwa die Fragestellungen von Proben. Der Anwalt und das Verwaltungsgericht waren überzeugt, dass manche Fragestellungen nicht kindgerecht und falsch waren und das Übertrittszeugnis – trotz eines 2,66 Notenschnitts – aufzuheben sei und das Kind aufs Gymnasium gehen dürfe. So etwas ist aber ein extremer Ausnahmefall, normalerweise tritt ein Klageverfahren selten auf.

Gerade an Grundschulen fehlen die Lehrer. Sind solche Konflikte nicht abschreckend für angehende Lehrkräfte?

Etter: Ich glaube eher, dass andere Aspekte für den eklatanten Lehrermangel eine Rolle spielen. Sicherlich haben angehende Lehrkräfte schon gehört, dass manche Eltern Druck ausüben. Die Jungen lassen sich davon aber glücklicherweise nicht abschrecken.

Wie kann man die Konfliktsituationen bewältigen und den Leistungsdruck künftig verringern?

Bannert: Die Eltern müssen mehr Vertrauen haben, in ihre Kinder, aber auch in die Lehrkräfte. Unser Ziel als Lehrer ist nicht, Kinder absichtlich nicht aufs Gymnasium zu schicken. Eltern sollen ihre Kinder aus allen Perspektiven sehen. Schule ist nur eine davon.

Etter: Dazu kommt: Viele haben einen völlig falschen Leistungsbegriff. Die Eltern schauen nur auf die Ziffernnoten und nicht auf die Bemerkung, ob das Kind vielleicht tolle Neigungen hat. Es interessiert sie nur der Heimat- und Sachunterricht, Deutsch und Mathematik. Die Fächer, die für den Übertritt zählen. Andere Fächer, etwa musische, rutschen da leider in den Hintergrund. Wichtige individuelle Faktoren wie Sozialkompetenz, Persönlichkeitsentwicklung und Arbeitshaltung werden kaum berücksichtigt. Das Lernentwicklungsgespräch statt eines Zwischenzeugnisses in den ersten bis dritten Klassen ist für mich ein wichtiger Schritt, um von den starren Ziffernnoten wegzukommen und damit den Kindern gerechter zu werden und vor allem den Leistungsdruck zu nehmen.

Welche Vorteile hat das Lernentwicklungsgespräch?

Bannert: Die Kinder lernen, sich selbst zu reflektieren, ihre Leistungen einzuschätzen und offen mit der Lehrkraft zu sprechen. Das fördert einen wertschätzenden Umgang miteinander und stärkt ihr Selbstbewusstsein. Denn Eltern nehmen am Gespräch teil, bleiben jedoch stille Beobachter. Dadurch können sie ihr Kind aus einer neuen Perspektive erleben. Am Ende kommen die Kinder meist gestärkt aus dem Gespräch hervor und können sich besser auf ihre persönlichen Ziele konzentrieren.

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