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Die mexikanische Serie „Midnight Family“ auf Apple TV+ | ABC-Z

Schlechte Nachrichten für Abiturienten: Der Konsum von 27 Staffeln „In aller Freundschaft“, 21 Staffeln „Grey’s Anatomy“ und fünfzehn Staffeln „Emergency Room“ kann ein Medizinstudium weiterhin nicht ersetzen. Aber vielleicht klappt es ja mit „Midnight Family“, einem ausgesprochen stimmungsvollen „Medical Drama“ um Rettungssanitäter in Mexico City.

Nach Angaben der Serie hält die öffentliche Hand dort nur 100 Rettungswagen zur Betreuung von zehn Millionen Einwohnern parat. Das reicht hinten und vorne nicht aus, weshalb es eine ganze Reihe privater Rettungsdienste gibt. Sie liefern sich Wettfahrten zu den Patienten und waren 2019 das Thema einer preisgekrönten Dokumentation von Luke Lorentzen, die bei uns unter dem Titel „Notfall Mexico City“ auf Arte zu sehen war und von einem Familienbetrieb erzählte.

Nacht für Nacht eilen sie zu Unglücken

Das zehnteilige Seriendrama „Midnight Family“ von Gibrán Portela und Julio Rojas greift diese Geschichte auf. Es erzählt nicht die wahre Story von Juan, Fer und Josue Ochoa, die im Mittelpunkt der Doku standen. Aber alles dreht sich auch hier um eine einfache Familie in Mexico City, die mit viel Herzblut einen privaten Rettungswagen betreibt, Nacht für Nacht zu Unglücken eilt – und ihrem Geld bei armen Patienten ohne Versicherung nicht selten hinterlaufen muss.

Am Steuer sitzt meistens Ramón (Joaquín Cosio). Er ist eine Legende unter den Krankenwagenfahrern der Stadt, ein stämmiger Brummbär mit traurig-entschlossenem Blick. Begleitet wird er von seinem erwachsenen Sohn Marcus (Diego Calva), der die Mitarbeiterinnen in den Krankenhäusern bezirzt und am liebsten ein Rapper wäre, hinten sitzt der vielleicht elf- oder zwölfjährige zweite Sohn Julio (Sergio Bautista), der im Zweifel noch Schulaufgaben zu erledigen hat.

Sie leben von der Hand in den Mund

Und auch Marigaby (Renata Vaca) ist mit von der Partie. Sie ist die Erzählerin dieser Story und die Erste aus der Familie, die an der Uni studiert. Auch sie muss jeden Abend mit ran. Die Tamayos leben von der Hand in den Mund, das begreift man sofort, wenn man die kleine Mietwohnung mit der kalten Dusche zum ersten Mal sieht. Wie das Medizinstudium unter diesen Bedingungen erfolgreich sein soll, steht auf einem anderen Blatt. Wer jede Nacht arbeitet, ist tagsüber zum Büffeln kaum in der Lage. Und Marigaby scheint von ihrem Nachtjob nicht mal erzählen zu können. Kommilitonen und Prüfer führen ihre Augenringe, Verspätungen und Ermüdungserscheinungen jedenfalls auf ein exzessives Partyleben zurück.

Zum Drama wird „Midnight Family“ durch den abenteuerlichen Wettbewerb, der auf dem Rettungsdienstmarkt herrscht. Und durch den Gesundheitszustand des Vaters: Rámon hat akute Herzprobleme. Er ist zu alt für den ständigen Stress, sehnt sich nach seiner Frau Lety (Dolores Heredia), die ihn und die Kinder vor Jahren verließ. Und er hat kein Geld für die nötige Operation. Untersuchungen und Tabletten sind nur drin, weil er einem befreundeten Doktor im Gegenzug freie Krankenfahrten verspricht. Also noch mehr arbeiten, noch schneller durch die verstopften Straßen der Großstadt zu den Patienten brausen, von einem noch lauteren Martinshorn auf dem Dach träumen.

Die Kamera von Benjamín Echazarreta zeigt uns elektrisierende nachtdunkle Bilder: steil von oben per Drohne, lebhaft auf Augenhöhe per Handkamera. Auch tagsüber ist die ambitionierte Abteilung Optik auf Zack. Da aber driftet „Midnight Family“ gelegentlich Richtung Soap. Die Nachtbilder heben das auf, unterstützt von der elektronischen Synthesizer-Musik von Javier Nuño, bauchigen Pop-Einwürfen und dem Heulen naher und ferner Sirenen. Wenn der Krankenwagen dann auch noch durch eine feiernde Menschenmenge zu kommen versucht oder auf ein Flammeninferno zusteuert – das macht was her.

Man spürt die Verbundenheit

Entscheidend für das emotionale Gefüge ist derweil neben den üblichen Zutaten eines „Medical Drama“ (brustkorbpumpende Ersthelfer, aufgeregt durcheinander sprechende Retter, wimmernde Verletzte) der kleine Julio, genannt Julito. Mit großen Augen sitzt der Junge im Wagen und beobachtet, was inmitten der Nächte um ihn herum geschieht, macht Lautsprecherdurchsagen, packt bei der Bergung von Patienten wie ein Routinier mit an. Er liebt seine Geschwister und den Vater, und das Schöne ist, dass man diese enge Verbundenheit zwischen den Tamayos als Zuschauer nicht nur sieht, sondern spürt.

Wir ahnen: In einer Stadt wie dieser erwachsen zu werden, ohne Geld und Krankenversicherung, erfordert Nerven aus Stahl. Mindestens aber eine große Schwester, die heimlich mit einem feschen jungen Doktor liiert ist und eines Tages – hier eine x-beliebige Anzahl von Staffeln einfügen – selbst eine lebenserfahrene Ärztin sein könnte.

Midnight Family beginnt heute mit den ersten beiden Folgen auf AppleTV+.

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