Wirtschaft

Die Mär vom teuren Atomstrom – deutsche Importe steigen auf Rekordwert | ABC-Z

Kernenergie hat inzwischen den größten Anteil an den deutschen Stromimporten. Die aktuellen offiziellen Zahlen bringen Energiewende-Verfechter vor allem wegen einer Behauptung in Erklärungsnot: Wenn Atomstrom angeblich so teuer ist, warum importiert Deutschland dann so viel davon?

Deutschland ist durch die Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke im April 2023 bekanntermaßen vom Exporteur zum Netto-Importeur von Elektrizität geworden. Um Kritik an der verlorenen Souveränität in der Energieversorgung gar nicht erst aufkommen lassen, legen institutionelle Energiewende-Erklärer seither jeder neuen Importstatistik ungefragt einen Beipackzettel dazu. Der Inhalt ist immer gleich: Die Einfuhren und ihre Höhe seien unbedenklich.

So klingt es etwa bei der Bundesnetzagentur in Bonn: „Strom wird in aller Regel dann importiert, wenn die inländische Produktion teurer wäre.“ Strom werde „im europäischen Verbund dort erzeugt, wo dies am günstigsten möglich ist“, erläutert der Behördenchef und ehemalige Grünen-Politiker Klaus Müller anlässlich der jüngsten Energiemarktstatistik: „Deutschland und die anderen europäischen Länder können so wechselseitig von den jeweils günstigsten Erzeugungsbedingungen profitieren.“

Die Botschaft ist klar: Netto-Importeur von Elektrizität zu sein, ist nicht schlimm. Im Gegenteil sei es, wie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) einst formulierte, „nur klug“, wenn man Strom in Zeiten importiert, in denen er im Ausland günstiger zu bekommen ist.

Das mag sein. Allerdings kollidiert diese Rechtfertigung für Stromimporte frontal mit einem anderen Glaubenssatz grüner Energiepolitiker, der zu anderen Gelegenheiten regelmäßig hervorgeholt wird: Atomkraft sei teuer, auch deshalb sei es klug von Deutschland gewesen, aus der Technologie auszusteigen und seine AKW stillzulegen.

Regierungsberater und Energiewende-Protagonisten wie Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hatten zu dieser These ungezählte Papiere und noch mehr Talkshow- und Interview-Äußerungen produziert.

Doch es liegt offensichtlich ein Widerspruch vor. Wenn Atomkraft angeblich so teuer ist – warum importiert Deutschland dann so viel davon? Nach einer aktuellen Statistik der Bundesnetzagentur hatten die Importe von Strom aus Kernenergie bereits 2023 mit 11,7 Terawattstunden den höchsten Wert der letzten Jahre erreicht. Es wurde da schon mehr als doppelt so viel Atomstrom aus dem Ausland bezogen, wie im Durchschnitt der Jahre 2015 bis 2022.

Der Trend beschleunigte sich seither noch, wie die Bundesnetzagentur jetzt feststellte. Im abgelaufenen Jahr 2024, dem ersten, in dem Deutschland ganz ohne eigene Atomkraft auskommen musste, wurden 18,1 Terawattstunden Atomstrom eingeführt.

Diese Menge entspricht rechnerisch der Jahresproduktion von zwei Kernkraftwerken, die im Ausland rund um die Uhr ausschließlich zur Belieferung Deutschlands produzierten.

Die Menge des importierten Atomstroms übertrifft die Menge des zu gleichen Zeit importierten Onshore-Windstroms um mehr als das doppelte. Kernenergie war im vergangenen Jahr laut BNetzA sogar die mit Abstand führende Art importierter Elektrizität, egal ob man das mit Kohlestrom, Wind, Solar oder Wasserkraft vergleicht.

Wenn laut Aussagen der grünen Energiewende-Politiker Elektrizität nur dann importiert wird, wenn sie im Ausland billiger zu beschaffen ist, dann war es im vergangenen Jahr meist die Atomkraft, die billiger zu beschaffen war als Strom aus erneuerbaren Energien oder aus sonst einer Quelle.

Habeck hatte die Debatte um die deutschen Stromimporte im Sommer vergangenen Jahres als „absurd“ bezeichnet, denn: „Stromimporte machen derzeit vielleicht zwei Prozent netto aus.“ Allerdings hat die Bedeutung der Stromimporte seither stark zugenommen. Nach den „Energy-Charts“ des Fraunhofer Instituts ISE machten die Netto-Importe von 24,8 Terawattstunden im Gesamtjahr 2024 bereits 5 Prozent der deutschen Nettostromerzeugung aus.

„Während Deutschland die eigenen sicheren Kernkraftwerke abgeschaltet hat, importieren wir gleichzeitig immer mehr Atomstrom von unseren europäischen Nachbarn“, kommentierte Torsten Herbst, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion die Zahlen: „Das zeigt die Doppelmoral grüner Klima- und Energiepolitik. Diese Ideologie schadet nicht nur dem Klimaschutz, sondern durch die höheren Preise vor allem unserer Wirtschaft.“

„Keine einzige führende Industrienation der Welt setzt allein auf eine schwankende Versorgung mit Wind- und Solarenergie“, erklärte Herbst gegenüber WELT: „Deutschland muss daher die Stromerzeugung mit Kernkraft gesetzlich wieder zulassen. Wer sich dieser Hochtechnologie und modernen Reaktorkonzepten verweigert, verspielt aus rein ideologischen Gründen technologisches Potential und wirtschaftliche Chancen.“

Daniel Wetzel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet über Energiewirtschaft, Energiepolitik, Klimapolitik und Tourismuswirtschaft.

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