Die Kunst der Woche: Kolonialismus revisited | ABC-Z

I n Zeiten von „The Donald“ ist Forschung zum Kolonialismus Ketzerei. Der Herrscher im Weißen Haus geht gegen die Universitäten vor, die er mit Klagen überzieht und deren Mittel er kürzt, um sie zu zwingen, ihm unliebsame Forschungsrichtungen und -projekte aufzugeben. Es ist zu befürchten, dass Sparmaßnahmen an deutschen Universitäten dazu führen, dass man auch hier der in den USA angestoßenen Entwicklung folgt.
Dabei stellt sich immer öfter die Frage, ob man den Ideen Trumps folgt oder sich ihnen beugt. Immerhin gewinnen wir in Europa Erfahrung darin, wie die US-Regierung die Europäer einschüchtert, erpresst und übergeht. Das ist vielleicht ein guter Anlass, sich die eigene koloniale Geschichte anzuschauen und zu fragen, wo und wann man selbst so agierte.
Für diese Auseinandersetzung bietet sich der 255 Seiten starke Band „A Phantom Geography. Cameroon and Congo“ von Andreas Lang unbedingt an. Vor zehn Jahren hat der preisgekrönte Fotograf in Berlin zum Thema ausgestellt. 50 Aufnahmen und mehrere Videoinstallationen zeigte er in der Einzelausstellung „Kamerun und Kongo“ im Deutschen Historischen Museum – in dessen Dauerausstellung damals übrigens so gut wie nichts zur Kolonialgeschichte zu finden war.
Die Frage, der Lang in seiner Phantom Geographie nachgeht, nämlich wie die Geschichte des deutschen Kolonialismus vergangene und gegenwärtige Sicht- und Denkweisen prägt, ist also – gerade im Hinblick auf die Institutionen – höchst aktuell.
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Der Band mischt auf anregende Weise Fotografien, die Lang auf den Spuren des Kolonialoffiziers Reinhold Koblich in Kamerun und Kongo aufgenommen hat mit alten Aufnahmen aus dessen Besitz sowie Fotos aus weiteren privaten und institutionellen Archiven. Dazu stellt er Selbstzeugnisse deutscher Kolonialherren aus der Zeit von 1909 bis 1914. Koblich ist Langs Urgroßvater und war an einer blutigen Grenzexpedition und der Inbesitznahme von Französisch-Kongo beteiligt.
Im Band finden sich außerdem Protokolle zu Langs Videoinstallationen und den dort vertretenen einheimischen Stimmen sowie ein lesenswerter Essay der Umweltjournalistin Elisabetta Corrà über die Ausbeutung von Mensch und Tier in Afrika.
Das führt schließlich zur Einrichtung von Reservaten und Nationalparks, den letzten andauernden Manifestationen der Kolonialherrschaft. Ein Interview mit der Kuratorin Isabelle Meiffert zur Genese der Phantom Geographie sowie ein historischer Abriss des Historikers Albert Pascal Temgoua zu Kamerum während der gewaltvollen, zerstörerischen deutschen Kolonialherrschaft sind instruktive Lektüren.
Ohne großen Rückgriff auf die postkoloniale Theorie lässt Andreas Lang die Quellen sprechen, kontrastiert die alten Fotografien mit neuen Fotografien, die auf seinen Recherchereisen entstanden und die kolonialen Eroberungszüge reflektieren. In den großartigen Stillleben, als die sich Langs dokumentarische Aufnahmen zu erkennen geben, spürt man jederzeit den Nachhall der Geschichte. So wie man in seinen an Sander geschulten Schwarzweißporträts den entsprechend komplexen Emotionen gewahr wird (Andreas Lang, A Phantom Geography. Cameroon and Congo. Spector Books 2024, 256 Seiten, deutsch/englisch, 52 Euro).
Das Afrikanische Viertel im Wedding ist auch eine Art Phantomgeographie mit seinen Straßen, die mitten in Berlin Ghana, Kamerun, den Kongo oder Uganda aufrufen und lange Zeit auch die übelsten Gestalten der deutschen Kolonialgeschichte.
Nachdem diese Namen endlich getilgt und durch die Namen afrikanischer Widerstandskämpfer:innen ersetzt wurden, gelangt man seit neuestem vom Hamburger Bahnhof aus mit der U-Bahnlinie 22 zur Adijatu Straße – jedenfalls in der gleichnamigen Ausstellung von Toyin Ojih Odutola. Die 1985 in Ile-Ife in Nigeria geborene und in den USA aufgewachsene Künstlerin hat den Ostflügel dort in typischer U-Bahn-Manier gekachelt, mit den entsprechenden Säulen ausgestattet sowie einer Anzeigetafel der Haltestellen.
Mit Anhängseln wie Straße, Dorf oder Oper benennen die Stationen der U-22 Ojih Odutolas Ausstellungen der vergangenen 17 Jahre, etwa „A Colonized Mind Dorf“ (Alabama 2008) oder „A Countervailing Theory Garten“ (London 2020). Und während man durch die Ausstellung geht, begleitet einen von Raum zu Raum eine Stimme, die in unregelmäßigen Abständen die Ankunft oder die Abfahrt der U-Bahn in der nach Ojih Odutolas Yoruba-Vornamen benannt Station Adijatu Straße ankündigt. Die Stimme gehört Benjamin, einem Cousin der Künstlerin, der in Berlin lebt.
Foto:
Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin, Jacopo La Forgia
Er ist auch Protagonist in einer ihrer Zeichnungen, die Ojih Odutola mit Kugelschreibertinte, Kohle, Graphit und Pastellkreide malte. Üblicherweise sind dies Materialien, die für den Entwurf eines Gemäldes eingesetzt werden. Die Künstlerin kehrt diese Hierarchie der Materialien um. Zwar zeigt sie ihren Cousin mit der bekannten Corona-Maske hinter Gittern, was dem Klischee des straffälligen schwarzen Jugendlichen zu entsprechen scheint. Sie versteht das Porträt, das große Thema ihres Werks aber auch in der kunsthistorischen Tradition als Repräsentationsmedium der Reichen und der Mächtigen. Gleichzeitig verkompliziert sie aber das Oben und Unten, indem sie etwa ihre Arbeiten als ausgefeilte Narration installiert wie jetzt mit der U-Bahn-Fahrt.
Die Geschichte eines männlichen Liebespaares in Nigeria interessiert sie, weil es dort toleriert wird, wenn es der Oberschicht angehört. Im Gespräch mit Sam Bardaouil sagt sie dazu: „In Westafrika gibt es viele reiche Menschen à la Trump, aber ich wollte die beiden Männer durch einen anderen Frame betrachten.“ Und sie ergänzt: „Als Metapher funktionierte der Reichtum trotzdem, ich weigere mich einfach, die Schrecken des Kolonialismus abzubilden“.
Diese versteckte Forderung empfinde sie als sehr frustrierend und ermüdend. Ihre stärkste Waffe gegen das koloniale Elend ist freilich ihre stupende Zeichenkunst. Sie überführt ihre Porträtkunst in Konzeptkunst. Denn nach eigener Aussage strebt sie in ihren Porträts „Ökologie, nicht Mimesis“ an.
Letztlich betrachte man kein einzelnes Individuum, sondern „etwas sehr Dynamisches, das auf die Zeitumstände und unsere Umgebung reagiert.“ Das habe sie auch ermuntert, „mit Kohle und Pastell zu arbeiten“, trockene Materialien, die sie durch ihre Vielseitigkeit in der Verwendung faszinieren (Toyin Ojih Odutola: U22 – Adijatu Straße, bis 4. Januar 2026, Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart, Invalidenstr. 50, Di/Mi/Fr 10-18 Uhr, Do 10-20 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr).