Politik

Die Kreditwürdigkeit der EU sinkt | ABC-Z

Sie sind nicht nur der Wunschtraum von Investoren: Anleihen mit geringstmöglichem Ausfallrisiko, hoher Wertbeständigkeit und Handelbarkeit. Ein solches „Safe Asset“ wünschen sich viele europäische Politiker auch für die EU, nicht zuletzt aus politischen Gründen. Denn verfügte Europa über ein ähnlich sicheres (Staats-)Papier wie die Vereinigten Staaten mit ihren Treasuries, steigerte das nicht nur das Vertrauen der Anleger in die EU, sondern wäre auch ein Schub für die europäische politische Integration, lautete immer wieder die Hoffnung.

Auch die Aussage des damaligen Bundesfinanzministers Olaf Scholz (SPD) aus dem Jahr 2020, die gemeinsame EU-Verschuldung zur Finanzierung des Corona-Wiederaufbaufonds stelle einen „Hamilton-Moment“ auf dem Weg zu einem europäischen Bundesstaat dar, fiel in diese Kategorie.

Gerade in diesem Jahr ist die Sehnsucht nach einem europäischen „Safe Asset“ ungebrochen. Geäußert wird sie vor allem von Politikern aus Italien. Der scheidende EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni wirbt für neue Gemeinschaftsschulden nach Ablauf des Corona-Programms 2027, seine Landsleute Enrico Letta und Mario Draghi erheben in ihren Berichten zum Binnenmarkt und zur europäischen Wettbewerbsfähigkeit dieselbe Forderung – nicht zuletzt mit Hinweis darauf, dass in einer EU-Kapitalmarktunion ein sicheres gemeinsames Papier, eben ein „Safe Asset“, erforderlich sei.

Hohe Risikoaufschläge in Italien

Für Italien wäre ein solches Produkt besonders als Rückhalt für die eigenen Staatsfinanzen von Vorteil. Die italienische Staatsverschuldung liegt bei immer noch sehr hohen rund 140 Prozent der Wirtschaftsleistung, nirgends in der EU sind die Risikoaufschläge auf die Staatspapiere so hoch wie in Italien. Gemeinsame EU-Schulden könnten da, so die Hoffnung, Entlastung bringen.

In der langsam beginnenden Diskussion über den neuen mittelfristigen EU-Finanzrahmen schwingt die Frage nach neuen gemeinsamen Schulden dauernd mit, zumal in der Politik immer wieder neue Ausgabenwünsche formuliert werden, sei es zur Finanzierung der grünen und digitalen Transformation, sei es zur gemeinsamen Beschaffung von Rüstungsgütern.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen steht solchen Forderungen positiv gegenüber, will aber so lange keine neuen gemeinsamen Schulden vorschlagen, solange sie nicht genügend politische Unterstützung aus den Mitgliedstaaten erkennen kann. Diese ist derzeit tatsächlich nicht absehbar.

Ökonomische Gründe sprechen gegen Vergemeintschaftung

Aber nicht nur politische, sondern auch ökonomische Gründe lassen Gemeinschaftsschulden zunehmend unwahrscheinlich werden. Das geht aus einer noch unveröffentlichten Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim hervor, die der F.A.Z. vorliegt. Im Vergleich zum Beginn des Corona-Programms 2021 ist demnach nicht nur die Zinsbelastung für den Haushalt stärker gestiegen als erwartet.

Auch die Kreditwürdigkeit der Gesamt-EU im Vergleich zu den Mitgliedstaaten mit der besten Bonität hat sich verschlechtert. So liegt der Renditeabstand zehnjähriger EU-Bonds gegenüber gleich laufenden Bundesanleihen derzeit bei 63 Basispunkten – und damit etwa so hoch wie der von Anleihen der hoch verschuldeten Staaten Portugal und Belgien.

Zu Beginn des Corona-Programms hatte die EU-Kommission nur mit einem Anstieg der Verzinsung von 0,55 Prozent im Jahr 2021 auf 1,15 Prozent im Jahr 2027 kalkuliert. Aktuell liegen die Zinsen bei 2,5 bis 3 Prozent. Schon das belastet den EU-Haushalt erheblich. Von 2028 an, wenn vertragsgemäß die Tilgung der Corona-Schulden beginnen soll, wächst der Druck weiter. Nach der Studie könnten die jährlichen Zins- und Tilgungskosten dann etwa 30 Milliarden Euro betragen, was etwa einem Sechstel des aktuellen Haushalts entspricht.

Nationale Garantien sind ausschlaggebend

Der spürbare Renditeabstand der EU-Bonds belegt, dass die Märkte deren Ausfall in den kommenden Jahrzehnten nicht ganz ausschließen wollen. Die Hoffnung, die EU-Anleihen könnten ein über alle Zweifel erhabenes „Safe Asset“ schaffen, habe sich nicht erfüllt, urteilt der Autor der Studie, Friedrich Heinemann. Daran werde sich in absehbarer Zeit auch nichts ändern. Die EU bleibe auf den Rückzahlungswillen ihrer Mitgliedstaaten angewiesen. Ihre Kreditwürdigkeit leite sich aus der Bonität der nationalen Garantien für die EU-Schulden ab. „Safe Assets“ stellten allenfalls die Staatspapiere Deutschlands oder der Niederlande dar.

Das Interesse gerade dieser Staaten an neuen Gemeinschaftsschulden hält Heinemann gerade zurzeit für denkbar gering, weil rechtspopulistische oder EU-skeptische Parteien die Regierung unter Druck setzen oder schon an ihr beteiligt sind. Hinzu komme generell, dass das Interesse der Mitgliedstaaten zur Produktion sogenannter europäischer öffentlicher Güter, etwa einer europäischen Verteidigungs- oder Migrationspolitik, sehr unterschiedlich ausgeprägt sei. Eine Krise wie die Pandemie, von der die ganze EU mehr oder weniger gleich stark betroffen war, sei derzeit nicht absehbar.

Die Frage nach neuen Gemeinschaftsschulden dürfte sich vor allem stellen, wenn sich die Haushaltslage wichtiger Mitgliedstaaten weiter verschlechtert. Heinemann verweist aktuell auf Frankreich, wo der Risikoaufschlag auf Staatspapiere seit dem Sommer erstmals über dem EU-Durchschnitt liegt und die Neuverschuldung weiter zu steigen droht. Dass die Gesamt-EU einzelne Mitgliedstaaten mit stark steigenden Finanzierungskosten ähnlich wie in der Eurokrise automatisch herauspauken könnten, hält der ZEW-Ökonom aber nicht für ausgemacht. „Eine breite Bonitätsverschlechterung großer Mitgliedstaaten würde sich auf die EU übertragen. Es wäre nicht auszuschließen, dass eine neue europäische Schuldenkrise auch den Emittenten Europäische Union erfassen könnte.“

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