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Die große Chance für Europas Hersteller | ABC-Z

Manchmal muss der Mensch eingreifen, wenn die Technik versagt. Wer jemals eine Probefahrt mit einem Robotaxi in Hamburg gemacht hat, der weiß: Es bleibt spannend. Verwinkelte Gassen voller Radfahrer und Fußgänger, überlastete Hauptverkehrsachsen, eine wahre Flut an Lieferwagen und Bussen – die Hansestadt hat alles, was es braucht, um selbstfahrende Autos an ihre Grenzen zu bringen. Ohne Sicherheitsfahrer hinter den Lenkrädern kommen die autonomen Fahrzeuge noch nicht zurecht. Doch mit jedem Tag wird die Technik besser, und genau darin liegt eine Chance für Europa.

Seit mehreren Jahren schickt der Volkswagen-Konzern in Hamburg eine Flotte selbstfahrender Kleinbusse auf die Straße. Die Hansestadt ist an dem Thema interessiert. Sie hat mehrere Stadtteile nordöstlich der Alster für ein Testgebiet freigegeben, auf dem VW seine Systeme im Straßenbetrieb schulen kann. Der ursprüngliche Zeitplan ist längst hinfällig, und in Amerika haben Wettbewerber schon einen Vorsprung von mehreren Jahren aufgebaut. Doch zuletzt wartete VW mit positiven Meldungen auf. Nach langer Entwicklung fühlt sich der Konzern sicher genug, um seine Robotaxis bald in Serie herzustellen. Noch ist es nicht zu spät, auch wenn den Ingenieuren die Zeit davonläuft.

Selbstfahrende Autos gehören zu den großen Zukunftsthemen der Fahrzeugbranche. Die Technologie soll das Fahren bequemer und den Verkehr sicherer machen. Anbieter hoffen auf ein Milliardengeschäft. Aber die Entwicklung kam in vielen Ländern eine Zeit lang so schleppend voran, dass es wirkte, als wenn die Unternehmen die Technik womöglich nie in den Griff bekommen.

Das Tempo hat wieder zugenommen

Zuletzt hat das Tempo wieder zugenommen. In Metropolen wie San Francisco gehören selbstfahrende Taxis inzwischen zum Straßenbild. Kaum jemand dreht sich noch nach ihnen um. Auch China erhöht das Tempo und hat in vielen Städten Pilotprojekte begonnen. Vielerorts gelten die Taxiflotten als Speerspitze für eine weitere Verbreitung des autonomen Fahrens. Ihre Entwicklung soll die Kosten selbstfahrender Systeme drücken und den Weg dafür bereiten, dass der Einsatz irgendwann auch in Privatautos möglich wird.

Nichts ungewöhnliches mehr: Robotaxis der Google-Gesellschaft Waymo sind auf Amerikas Straßen unterwegsReuters

In Europa startet die Technik unter anderen Voraussetzungen als in Ländern wie Amerika. Hier spielt der öffentliche Nahverkehr eine wichtigere Rolle, Busse und Bahnen sind für viele Fahrgäste die erste Wahl. Entsprechend sind es in der EU vor allem Städte und Kommunen, die autonome Shuttles als Ergänzung für ihr Verkehrsangebot erwägen. In den Vereinigten Staaten hingegen bestimmen mehr private Fahrdienst-Anbieter das Geschäft.

Hinzu kommt, dass in Europa die Regulierung streng und von Land zu Land verschieden ist. Die Sicherheit steht an oberster Stelle, Behörden scheuen jedes Risiko. Was eigentlich als Innovationsbremse gilt, verschafft heimischen Herstellern wie VW zumindest vorübergehend einen Vorteil. Sie kennen die komplexen Vorschriften und können auf das Vertrauen von Stadtverwaltungen hoffen. Das gibt ihnen etwas mehr Luft für die Einführung ihrer Systeme.

Nicht darauf ausruhen

Es wäre aber ein fataler Fehler, sich darauf auszuruhen. Chinesische Anbieter umwerben längst Europas Städte. Trotz aller Sorge um die Daten werden sie schnell einen Fuß in die Tür bekommen. Denn es ist davon auszugehen, dass ihr Angebot preiswert und effizient ist. Auch manche Autohersteller zeigen kaum Berührungsängste mit Unternehmen aus Fernost, etwa Renault. Der Hersteller aus Frankreich setzt ein Projekt mit chinesischen Partnern um.

Um die Technik voranzubringen, braucht die Industrie mehr Modellregionen. Die Bundesregierung will solche Testgebiete jetzt verstärkt zusammen mit den Bundesländern entwickeln, ein richtiger Ansatz. Noch besser wären grenzüberschreitende Projekte, um zu zeigen, dass Europa an einem Strang zieht. Die EU sollte unnötige Rechtshürden schnell abbauen, etwa in der Zulassung von Fahrzeugen. Derzeit können Hersteller ihre Robotaxis nur in einer Kleinserie bis zu 1500 Stück bauen. Dieser Rahmen ist viel zu eng gezogen.

Für Europa geht es auch um industrielle Souveränität. In Technologien wie den Batteriezellen hat die Autobranche den Anschluss verloren. Chipfabriken sind nicht im erhofften Umfang entstanden, und der aktuelle Rechtsrahmen für Künstliche Intelligenz steht Innovationen eher im Wege, statt sie zu unterstützen. Das autonome Fahren wird kommen, vielleicht sogar schneller als gedacht. Noch bietet sich die Chance, in dieser Schlüsseltechnologie die Unabhängigkeit zu wahren.

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