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Die Geschichte von LSD: Der Rausch im Roggen | ABC-Z

Die Geschichte von LSD

Der Rausch im Roggen


So 13.04.25 | 08:23 Uhr | Von Oliver Noffke

Bild: Midjourney

Ekstase und Horror, Mythos und Verschwörung, Pilze und Getreide – LSD ist eine außergewöhnliche Substanz. Außergewöhnlich verehrt, verkannt, verniedlicht und missbraucht. Unorthodox wie passend: Der Ersttest fand im Straßenverkehr statt. Von Oliver Noffke

Die Geschichte von LSD beginnt mit einem Parasiten. Mutterkorn ist eine Schlauchpilzart, die sich in den Ähren von Gräsern und Getreidepflanzen festsetzt. Bis zu sechs Zentimeter lang werden die dunklen, fast schwarzen Pilze. Wie kleine, erstarrte Würmer ragen sie aus den Fruchtständen heraus. Mutterkorn ist eine todbringende Gefahr, die jahrhundertelang unerkannt blieb. Denn es ist hochgiftig.

Ab dem frühen Mittelalter kam es in Europa immer wieder zu grausigen Massenvergiftungen. Zu dieser Zeit wurde in vielen Regionen des Kontinents Roggen zur bestimmenden Feldfrucht. Mutterkorn wurde an rund 400 Gras- und Getreidearten festgestellt. Doch Roggen ist besonders anfällig. Wenn verunreinigtes Getreide gemahlen wurde, konnten die toxischen Pilze schnell im Brot landen. Ganze Dorfgemeinschaften verendeten auf diese Weise.

Ein ausgewachsenes Mutterkorn auf einer Roggenähre (Quelle: Countrypixel/FRP)
Mutterkorn in der Ähre einer Roggenpflanze Bild: Countrypixel/FRP

Die wohl älteste Beschreibung einer solchen Vergiftung stammt aus dem Jahr 857. Mönche aus Xanten hinterließen in einer Klosterchronik einen albtraumhaften Eintrag [spektrum.de]. Von Menschen, die plötzlich nervös oder verwirrt auftraten, wird darin berichtet. Andere litten unter brennenden Schmerzen oder Krämpfen. Die Mönche beschrieben wie bei einigen Menschen die Gliedmaßen zu kribbeln begannen. Arme oder Beine seien feuerrot angelaufen, hätten sich dann blauschwarz gefärbt, wurden taub und fielen schließlich einfach von den Körpern ab. Oder sie konnten amputiert werden, ohne dass die Erkrankten dabei etwas fühlten.

Fatales Gift und lebensrettende Arznei

Eine Erklärung gab es weder für die bestürzenden Symptome noch für das plötzliche Auftreten oder die epidemischen Auswüchse. Im Angesicht solchen Elends schien einzig Religion als Ausweg. Um Hilfe wurde der heilige Antonius gebeten. Ein Eremit und Wunderheiler, der Besessenen Dämonen ausgetrieben haben soll. Die unerklärliche Seuche erhielt schließlich seinen Namen: “Antoniusfeuer”. Es gab im Mittelalter Jahre, in denen Zehntausende solchen Vergiftungen zum Opfer fielen. Ganze Landstriche wurden dezimiert. Die schwer behinderten und verkrüppelten Überlebenden gehörten zum normalen Stadtbild.

Altar des heiligen Antonius, Niklaus Manuel I., 1484 - 1530 (Quelle: Kunstmuseum Bern)
Niklaus Manuel I., 1484 −1530, Altar des heiligen Antonius: Der hl. Antonius heilt Kranke und Besessene (Innenseite oben), 1518–1520, Mischtechnik auf Fichtenholz, 101 x 126 cm Depositum der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Bundesamt für Kultur, Gottfried Keller-Stiftung, Bern, Kunstmuseum Bern Bild: Kunstmuseum Bern

Dass Mutterkorn der Auslöser war, wurde erst in der Barockzeit aufgedeckt. 1630 stellte der Leibarzt eines französischen Herzogs diesen Zusammenhang her.

Zu dieser Zeit wurde das Gift des Pilzes bereits als Arznei verwendet. Die durchblutungsstörende Wirkung, die bei zu hoher Dosierung die Glieder abschnürte, konnte in kleinen Mengen viele Nutzen haben. Insbesondere für Frauen. Mittel aus Mutterkorn wurden bei starker Menstruation verabreicht oder wenn es nach einer Geburt zu starken Blutungen kam. Auch konnten so Wehen eingeleitet oder Schwangerschaften abgebrochen werden. Daher die Bezeichnung Mutterkorn, die sich im 18. Jahrhundert durchsetzte.

Dass es sich dabei gar nicht um fehlgebildete Getreidekörner handelt, sondern um einen schmarotzenden Pilz, wurde erst 1853 Jahrhundert erkannt. Trotz all dieser Erkenntnisse kam es weiterhin zu Massenvergiftungen durch verunreinigtes Getreide. Bis ins 20. Jahrhundert hinein sind solche Ereignisse dokumentiert [Ärzteblatt Sachsen, slaek.de].

Hofmanns Fahrradtrip

1918 gelang es dem Schweizer Biochemiker Arthur Stoll erstmals das bestimmende Gift im Mutterkorn zu isolieren. Nie zuvor waren aus einer “Gesamtdroge” einzelne Arzneistoffe herausgelöst worden. Stoll nannte seine Entdeckung Ergotamin. Drei Jahre später kam es unter dem Namen Gynergen in die Apotheken. Anfangs wurde es vor allem in der Geburtshilfe eingesetzt.

Wichtiger als Stolls Entdeckung war seiner Arbeitgeberin wie ihm jene gelungen war. Die Firma Sandoz beantragte umgehend ein Patent und Stoll führte seine Methode in anderen Abteilungen ein. Schnell stellten sich dort weitere Durchbrüche ein. Stoll kümmerte sich zusehends um das Geschäft bei Sandoz, seine Mutterkornforschung schlief unterdessen ein. Bis sich 1935 ein junger Chemiker Ergotamin noch einmal genauer ansehen wollte.

Mit Velo nach Hause. Von 18 bis ca. 20 Uhr schwerste Krise, siehe Spezialbericht

Albert Hofmann, Endecker von LSD, Bericht zum ersten Selbstversuch

Albert Hofmann sollte ein neues Mittel finden, das den Kreislauf anregt. Sofort kommt es zum Konflikt. Stoll, nun Laborleiter, bekam einen Bestellschein über 0,5 Gramm Ergotamin vorgelegt und war außer sich: “Es geht nicht an, daß Sie eine so große Menge meines kostbaren Ergotamins für Ihre Versuche verbrauchen”, fauchte der Chef ihm entgegen, schreibt Hofmann in seiner Autobiografie “LSD – mein Sorgenkind”. Sandoz produzierte den Stoff zu diesem Zeitpunkt kiloweise.

Hofmann macht heimlich weiter und synthetisierte drei Jahre später erstmals Lysergsäurediethylamid. Dass dieses LSD eines der stärksten jemals bekannten Halluzinogene war, entging ihm allerdings. Er testete es an Tieren, doch die schienen vor allem nervös davon zu werden. Kein Ergebnis, das auf ein Kreislaufstimulanz hindeutete. Hofmann ging anderen Ideen nach und es vergingen weitere fünf Jahre, bis er noch einmal LSD herstellte. Dabei unterlief ihm eine folgenreiche Unachtsamkeit.

Der Schweizer Chemiker Albert Hofmann, 1994 (Quelle: Effigie/Leemage)Albert Hofmann, Entdecker von LSD, im Jahr 1994

Wahrscheinlich gelangte Flüssigkeit auf seine Haut. Hofmann fühlte irgendwann Nervösität in sich aufkochen, ihm wird übel, die Arbeit bricht er deshalb ab. Stundenlang liegt er anschließend im Bett und schaut bei geschlossenen Augen in ein Kaleidoskop aus flirrenden Farben und Formen. Die Intensität der Erfahrung konnte er sich nicht erklären. Also machte der Wissenschaftler das offenbar einzig logische: Drei Tage nach dem ersten Rausch nimmt er 250 Mikrogramm (millionstel Gramm) LSD ein. Das drei- bis zwölffache der tatsächlich gut verträglichen Menge.

Der Stoff ballert so hart, dass Hofmanns Assistentin ihn nach Hause begleiten muss. “Mit Velo nach Hause. Von 18 – ca. 20 Uhr schwerste Krise, siehe Spezialbericht”, hält er zu dem Fahrradtrip vom 19. April 1943 fest. “Schon auf dem Heimweg mit dem Fahrrad […] nahm mein Zustand bedrohliche Formen an. Alles in meinem Gesichtsfeld schwankte und war verzerrt wie in einem gekrümmten Spiegel. Auch hatte ich das Gefühl, mit dem Fahrrad nicht vom Fleck zu kommen. Indessen sagte mir später meine Assistentin, wir seien sehr schnell gefahren.”

Da LSD im Gegensatz zu Mutterkorn nur sehr gering toxisch ist, wird Hofmann bei seinem Selsbtversuch an jenem 19. April 1943 nicht vergiftet. Heute wird das Datum als “Bicycle Day” gefeiert.

LSD-Blotter mit Fahrradmotiv bei einer Pressekonferenz der Polizei in Rom, 1999 (Quelle: AP/Isidoro Pitera)LSD-Blotter mit Fahrradmotiv bei einer Pressekonferenz der Polizei in Rom, 1999

Das NS-Regime, die CIA und die Suche nach einer neuen Biowaffe

Hofmanns Entdeckung geriet zur Sensation. Die schon nach kurzer Zeit missbraucht wurde. Sandoz weiß bereits 1942 vom Euthanasie-Programm der Nazis. Arthur Stoll schrieb Briefe mit einflussreichen Kollegen, die für das Hitler-Regime tätig waren. Der in Berlin lebende Autor Norman Ohler kommt in seinem Buch “Der stärkste Stoff” zu dem Schluss, dass kurz vor Kriegsende im KZ Dachau an Insassen Experimente mit LSD durchgeführt wurden. Die Basis dafür kam aus der Schweiz von Sandoz. Mindestens 0,5 Gramm Ergotamin stellte Stoll dafür zur Verfügung.

Lässt sich aus LSD eine neue Biowaffe herstellen? Nach dem Zweiten Weltkrieg untersuchte die CIA, ob sich die psychedelische Droge als Wahrheitsserum oder zur Gedankenkontrolle eignen könnte. Die Thesen der Wissenschaftler waren auch in der damaligen Zeit mindestens exzentrisch, die entsprechenden Experimente haarsträubend. Doch mit zunehmender Angst und steigender Hysterie gegenüber der Sowjetunion zerbröselten die Skrupel.

Dr. Harry L. Williams spritzt LSD aus einer Spritze in den Mund von Carl Curt Pfeiffer, 1955 (Quelle: Picture Alliance/Everett Collection)Dr. Harry L. Williams spritzt LSD in den Mund von Carl Curt Pfeiffer, einem Humanmediziner, der für die CIA Verhaltensexperimente durchführt, 1955

Im Geheimprojekt “MK Ultra” wurde LSD unter anderem Gefängnisinsassen, Prostuierten und ihren Freiern, Army-Soldaten oder Patient:innen in psychiatrischen Einrichtungen verabreicht. Zumeist ohne deren Wissen. Was kein Problem darstellte, schließlich schmeckt und riecht LSD nicht. Die Folgen waren fatal: Unfreiwillige Probanden fielen aus Hotelfenstern in den Tod; andere erlitten Psychosen, für die sie keine Erklärung fanden; manche schrieben über ihre Erlebnisse, wie Ken Kesey in “Einer flog über das Kuckucksnest”.

Ab 1953 bis in die Siebziger führte der US-Geheimdienst LSD-Experimente durch. Ein Wahrheitsserum konnte – wenig überraschend – nicht aus dem psychedelischen Stoff gewonnen werden. Generell fielen die Erkenntnisse ziemlich mau aus. Für die Wissenschaftsgemeinde allerdings wurde “MK Ultra” zu einem Disaster. Die hinterrücksen Methoden der CIA, öffentliches Abstreiten und geheimes Aktenschreddern, erschütterten in den USA nachhaltig das Vertrauen in Institutionen und ließ an deren Absichten bei Drogenthemen zweifeln.

Jimi Hendrix am 9. August 1969 bei einem Straßenkonzert in Harlem, New York City (Quelle: DPA/Photoshot)Jimi Hendrix am 9. August 1969 bei einem Straßenkonzert in Harlem, New York City

Untergang im Kulturkampf und neue Hoffnungen

Parallel dazu verbreiteten sich psychedelische Substanzen in den Sechzigerjahren auf Partys, Konzerten oder Happenings. LSD inspirierte die Schriftsteller Allen Ginsberg und Hunter S. Thompson, Musiker:innen wie Jimi Hendrix, The Who, The Beatles oder Yoko Ono. Was wiederum Fans neugierig machte. Selbst Bücher und Filme für Kinder wurden wegen möglicherweise drogenliberalem Subtext neu besprochen oder umgedeutet.

All das – hochgradig unmoralische “Wissenschaft”, hedonistischer Gebrauch sowie Forderungen nach völliger Liberalisierung, und nicht zuletzt die intensiven Erfahrungsberichte – trafen in den USA zu einer Zeit aufeinander, als die Stimmung ohnehin aufgeheizt war. Es herrschte ein Kulturkampf, der im Fall von LSD 1971 zu einem internationalen Verbot führte. Den Konsum hat das nicht beendet. Er findet seither verdeckt statt. Aus der Kunst ist LSD ebenfalls nie verschwunden: A$AP Rocky, Tame Impala oder Kacey Musgraves sagen offen, was sie inspiriert.

Komplizierter ist die Situation in der Medizin: Einerseits werden nach wie vor Medikamente wie Methergin und in seltenen Fällen auch Ergotamin verschrieben, die von Albert Hofmann beziehungsweise Arthur Stoll entwickelt wurden. Vor allem in der Geburtshilfe oder bei starken Migräneepisoden. Die Forschung zu psychedelischen Substanzen unterliegt allerdings strengen Beschränkungen, erlebt aber eine Renaissance. Insbesondere in der Psychiatrie wird auf verbesserte Therapien gehofft.

Szene aus "Alice im Wunderland", USA, 1951 (Quelle: Everett Collection)Hängt mit Opium rauchenden Raupen ab, scheut keine unidentifizierten Pilze: Wer gehört eigentlich zur Zielgruppe von “Alice im Wunderland”?, Disney, 1951

Beitrag von Oliver Noffke


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