Die geheimnisvolle Dienstleistungsinflation | ABC-Z
Zu drei Gelegenheiten haben die Menschen in den zurückliegenden Jahren die Inflation besonders gespürt: Beim Einkaufen, beim Begleichen der Nebenkostenabrechnung für die Wohnung – und wenn sie in den Urlaub gefahren sind. Bei vielen dieser Verbraucherpreise hat sich der Anstieg mittlerweile wieder etwas beruhigt. Die Preise steigen langsamer, im Fall der Energie sind sie sogar wieder deutlich gefallen. Die Inflationsrate im Euroraum lag im August nur noch bei 2,2 Prozent, in Deutschland nach nationaler Berechnungsweise sogar nur noch bei 1,9 Prozent.
Ein Posten fällt bei dieser an und für sich erfreulichen Entwicklung allerdings aus dem Rahmen. Das ist der Anstieg der Preise für Dienstleistungen aller Art, die „Dienstleistungsinflation“. Sie hat mehrfach in der Europäischen Zentralbank (EZB) für unerfreuliche Überraschungen gesorgt, wie EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel berichtete. „Wir nehmen das ernst“, sagte auch Bundesbankpräsident Joachim Nagel im F.A.Z.-Interview. Im August ist die Dienstleistungsinflation im Euroraum von hohem Niveau aus gegenüber dem Juli sogar noch mal gestiegen, von 4 auf 4,2 Prozent.
Das Interessante dabei: Es hat sich offenbar im Laufe der Zeit etwas verändert, woher die hohe Dienstleistungsinflation stammt. Dabei gibt es natürlich vielfältige Komponenten, die in diese statistische Größe einfließen. In vielen Dienstleistungsbranchen machen die Löhne einen vergleichsweise hohen Anteil an den Gesamtkosten der Unternehmen aus, die sie weiterzugeben versuchen, sodass man bei der Dienstleistungsinflation die zum Inflationsausgleich gestiegenen Löhne besonders schnell und deutlich spürt.
In den wilden Zeiten der Inflationswelle waren alle Dienstleitungen rund um den Tourismus besonders stark im Preis gestiegen. Man erinnere sich: Nach der Corona-Pandemie waren die Menschen überglücklich, als sie endlich wieder ohne Einschränkungen verreisen konnten, im Flugzeug keine Maske mehr tragen mussten und die Angst vor Ansteckung im Urlaubsort nicht mehr so groß war. Diese neue Reisebegeisterung war eine Chance für alle Unternehmen rund ums Reisen, die sich einen kleinen Ausgleich für die entgangenen Einnahmen aus der Lockdown-Zeit erhofften. Hotelübernachtungen wurden deutlich teurer, Pauschalreisen und auch das Essengehen ebenfalls. In Österreich gab es im Winter eine Skiurlaubsinflation, im Sommer dagegen stiegen die Preise in vielen Orten am Meer. Europaweit betrachtet war das ein Thema, das in den Südländern besonders ausgeprägt zu beobachten gewesen ist.
Jetzt dagegen gibt es eine Dienstleistungsinflation, die in den Nordländern des Euroraums besonders ausgeprägt ist, auch in Deutschland. Die Teuerung der Dienstleistungen ist gleichsam zu einem Teil nordwärts gewandert. Eine ganze Zeit lang hatte auch in Deutschland vor allem der Preisanstieg in der Gastronomie neben der Verteuerung von immobiliennahen Dienstleistungen die Dienstleistungsinflation geprägt. Jetzt aber ist es ein anderer Teil der Dienstleistungen, der zusätzlich in den Blick der Ökonomen gerückt ist.
Kfz-Versicherung verteuert sich um 28 Prozent
Es geht um den Preisanstieg für Versicherungen. „In Deutschland lässt sich das besonders gut an den Zahlen für Nordrhein-Westfalen ablesen, die schon detaillierter veröffentlicht worden sind“, sagt Holger Schmieding, der Chefvolkswirt des Hamburger Bankhauses Berenberg. Demnach sind die Preise für Versicherungsdienstleistungen im August auf Jahressicht um mehr als 12 Prozent gestiegen. Dienstleistungen sozialer Einrichtungen verteuerten sich immerhin um 9,8 Prozent, Gaststättendienstleistungen um 6,9 Prozent, Hotelübernachtungen um 6,7 Prozent, Pauschalreisen um 3,6 Prozent und Dienstleistungen im Bildungswesen um 5,4 Prozent.
Berücksichtigt man den Anteil der verschiedenen Preise am Warenkorb der Statistiker, dann lag der Beitrag der Versicherungen zur Dienstleistungsinflation damit höher als der von Gaststätten und Übernachtungen zusammen, wie Michael Holstein vorrechnet, der Chefvolkswirt der DZ Bank. Auch die Pauschalreisen hätten dieses Mal weniger zur Dienstleitungsinflation beigetragen als die Versicherungen, sagt Karsten Junius, Ökonom der Bank J. Safra Sarasin: „Das war in der Vergangenheit eher selten der Fall.“
Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil höhere Prämien für Versicherungen zum Teil auch für Unternehmen höhere Kosten darstellen, die diese dann ihrerseits gern an Kunden weiterzugeben versuchen. Das kann die Inflation befeuern.
Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden hat nun in einer Sonderauswertung ermittelt, welche Versicherungen genau sich denn so verteuert haben, dass man das sogar in der Inflationsrate bemerkt. Demnach waren es vor allem die Beiträge zur Kraftfahrzeugversicherung, die auf Jahressicht um 28 Prozent gestiegen sind. Der Preisanstieg bei den Beiträgen zur Unfallversicherung lag bei 7,5 Prozent. Die Hausratsversicherung verteuerte sich um 5,5 Prozent, ebenso wie die Auslandsreisekrankenversicherung. Die Beiträge zur privaten Krankenversicherung stiegen um 3 Prozent, die zur privaten Haftpflichtversicherung um 2,2 Prozent.
„Überbordende Werkstattkosten“
Die Kfz-Versicherer selbst hatten insbesondere „überbordende Werkstattkosten“ für ihre Beitragserhöhungen verantwortlich gemacht. „In den höheren Versicherungstarifen steckt natürlich drin, dass viele Materialen und der Arbeitslohn für Reparaturen gestiegen sind“, sagt Ökonom Schmieding.
Holstein meint: „Hinter der kräftigen Verteuerung der Versicherungen dürften zum Teil die allgemeinen Preis- und Kostensteigerungen der vergangenen Jahre stecken, die sich nun in den Kosten der Versicherungen, beispielsweise für Auto- oder Hausreparaturen, niederschlagen.“ Zu einem Teil könnten aber nach Holsteins Einschätzung auch höheren Risiken, beispielsweise in den Gebäudeversicherungen, durch eine gestiegene Extremwetterwahrscheinlichkeit eine Rolle spielen.
Für die hohe Dienstleistungsinflation allein die höheren Versicherungsbeiträge verantwortlich zu machen wäre aber wohl auch Unsinn. „Ich beobachte, dass die Preise im Dienstleistungsbereich auf breiter Basis gestiegen sind“, sagt Ökonom Junius. Dabei seien allerdings in der Tat Verschiebungen zu beobachten: „Versicherungsprämien, vor allem für Autoversicherungen, zeigen seit 2023 tatsächlich einen markanten Aufwärtstrend, nachdem ihre Teuerung über Jahre sehr unauffällig in einem engen Band um 2 Prozent schwankte.“
EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte auf der Pressekonferenz nach der September-Zinssitzung der Notenbank gesagt, dass beides, Tourismus und Versicherungen, zum Anstieg der Dienstleistungsinflation beigetragen habe. „Der Inflationstrend wird aber nicht durch die Preise für Versicherungen und Touristik dominiert“, meint Jörg Krämer, der Chefvolkswirt der Commerzbank: „Vielmehr steigen die Dienstleistungspreise seit vielen Monaten auf breiter Front – vor allem wegen der stark steigenden Löhne.“
Und auch Carsten Brzeski, Ökonom der Bank ING, sieht nicht allein die Versicherungspreise als Treiber der Dienstleistungsinflation. Europaweit habe im August auch der Tourismus eine Rolle gespielt, etwa wegen Olympia in Frankreich: „Der Versicherungskostenanstieg kam eher hinzu.“