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„Die Gefahr für Menschen wäre weithin“ | ABC-Z

Wird im Sommer vor einem gefährlichen Tier gewarnt, sind die Witze schnell gemacht: Schon wieder Sommerloch? Das war wahrscheinlich die erste Reaktion bei vielen, nachdem der Saalekreis in Sachsen-Anhalt am Montagabend die Bevölkerung über die App Nina vor einer „Großkatze“ am Geiseltalsee gewarnt hatte. Zuvor war ein Video aufgetaucht, das das Tier dort zeigen soll. „Das ist ein Riesenvieh“, hört man eine Frau sagen, während das Tier auf einer Wiese aufsteht und gemächlich in Richtung Busch läuft. „Weißt du, was das ist? So was wie ein Puma!“

Am Dienstag versuchten die Behörden entschieden deutlich zu machen, dass es hier nicht um eine lustige Sommerloch-Geschichte geht: „Mit achtzigprozentiger Sicherheit handelt es sich um einen Puma“, sagte eine Sprecherin des Saalekreises. Man sei sehr sicher, dass es sich bei dem Video nicht um eine Fälschung handele. Das Tier sei am Sonntag auch noch in den Bereichen Pfännerhall, Brande­rodaer Hohle sowie am Weinberg Reifert gesichtet worden. Die Bevölkerung werde aufgerufen, sich keinesfalls dem Tier zu nähern oder sich in Wiesen und Wäldern aufzuhalten. Es seien ein Hubschrauber und drei Teams mit Drohnen in dem Gebiet unterwegs. Sollte das Tier gesichtet werden, soll es ein Fachmann betäuben. Anschließend soll es zu einem Zoo gebracht werden. Bis dahin gilt: „Beim Zusammentreffen nicht in die Augen, sondern auf den Körper schauen, langsam zurückweichen und groß machen.“

Das Video von der ersten Sichtung soll am Freitag im Bereich des Hafens von Braunsbedra entstanden sein, die Behörden erreichte es aber erst am Montag. „Experten meinten, wenn das Tier vollgefressen ist, könne es erst mal drei, vier Tage ruhen, bevor es weiterzieht“, sagte die Kreissprecherin. Sollte es sich wirklich um einen Puma handeln, wäre die Gefahr für Menschen groß, sagt Heike Kück am Dienstag der F.A.Z. Sie ist Zoodirektorin des Tierparks Zoo am Meer in Bremerhaven, dort leben zwei Pumas. Diese Tiere gehören zwar zoologisch – anders als in der Warnmeldung formuliert – zu den Kleinkatzen, können laut Kück aber genauso gefährlich sein wie Löwen oder Tiger. Geht man nach dem Gewicht, sind Pumas mit bis zu 100 Kilogramm nach Tigern, Löwen und Jaguars die viertgrößten Katzen der Welt. Als Kleinkatzen werden sie nur eingeordnet, weil sie ein verknöchertes Zungenbein haben und nicht brüllen können. Männliche Tiere können ohne Schwanz bis zu zwei Meter lang werden und bis zu 70 Kilometer pro Stunde schnell.

„Dann kann es gefährlich werden“

Zoodirektorin Kück sagt: „Pumas kommen hier nicht vor, also müsste das Tier in Menschenobhut aufgewachsen sein. Es wäre also halbzahm – das sind die gefährlichsten Raubtiere, weil sie keine Angst vor Menschen haben.“ Ein wildes Tier würde normalerweise keine Menschen angreifen, weil sie keine natürliche Beute seien, sagt Kück. Aber ein halbzahmes Tier sei es vielleicht gewohnt, Essen von Menschen zu bekommen, und gehe deshalb gezielt auf sie zu. „Dann kann es gefährlich werden.“ Ernähren könnte sich ein Puma ansonsten beispielsweise von Wildschweinen, Kaninchen oder Waschbären – aber auch Hunde könnten sein Interesse wecken. In der Nähe des Sees wurde kürzlich ein Kalb gerissen – der Kadaver wird nun genauer untersucht, um die Frage zu beantworten, ob das Tier von einer Raubkatze getötet wurde.

Laut dem Saalekreis gibt es derzeit keine Hinweise, dass eine Wildkatze aus einem Zoo oder einem Zirkus geflüchtet ist. Auch alle bekannten Tierhalter seien angefragt worden. Deshalb geht das Landratsamt von einer möglicherweise illegalen Haltung des Tieres aus. Zoo­direktorin Kück sagt, dass es leider „viele merkwürdige Menschen“ gebe, die sich seltene Tiere privat halten wollen. Es sei kein Hexenwerk, einen Puma zu halten. „Sie brauchen nur ein gutes Gehege.“ Ein Puma könne aus dem Stand fünf Meter hoch und acht Meter weit springen.

Die Menschen in der Region wurden schon einmal von einer Raubkatzen-Warnung aufgeschreckt: 2021 warnte der Burgenlandkreis, wenige Kilometer entfernt vom Geiseltalsee, per App vor einem Leoparden. Die Meldung wurde nach 15 Minuten aufgehoben, der Leopard war nie aus dem privaten Gehege ausgebrochen, in dem er lebte. Er hatte dort aber bei einem Fotoshooting ein Model angegriffen und in den Kopf gebissen. In dem Chaos danach lösten die Behörden die Warnung aus, bevor festgestellt wurde, dass das Tier noch im Käfig war.

Schaulustige ignorieren Warnungen

Danach wurde darüber diskutiert, warum Privatpersonen in Sachsen-Anhalt Leoparden halten dürfen. Bis heute gibt es dort im Gegensatz zu anderen Ländern keine Gefahrtierverordnung. Der Burgenlandkreis schrieb damals, dass die Haltung von Leoparden durch das Land rechtlich nicht begrenzt werde. „Demnach ist die Haltung von Leoparden durch den Landkreis nicht genehmigungspflichtig.“ Der Kreis überprüfe nur, ob die Tiere artgerecht gehalten werden, außerdem müsse der Bau eines Geheges genehmigt werden. Weil Leoparden genau wie Pumas zu den „besonders geschützten Arten” gehören, müssen Halter allerdings bundesrechtlich die Herkunft nachweisen und brauchen eine artenschutzrechtliche Genehmigung. Die Tierschutzorganisation Peta forderte schon nach dem Vorfall 2021, die Gesetze zu verschärfen. All das hilft natürlich nichts, wenn jemand das Tier illegal hält.

Dem Verdacht mussten 2023 schon Berliner Clan-Mitglieder entgegentreten: Damals tauchte ein Handyvideo auf, das angeblich einen Löwen im Wald bei Kleinmachnow zeigte. Erst nach 35 Stunden gab es Entwarnung: Auf dem Video war ein Wildschwein zu sehen gewesen. In Konstanz trauten sich vergangene Woche Einsatzkräfte „nur unter Einhaltung von Sicherheitsmaßnahmen“ an eine täuschend echt aussehende Krokodil-Attrappe heran. Und in Vechta wurde gerade erst mehrere Tage lang nach einem Alligator gesucht, den ein Mann angeblich in einem Regenrückhalte­becken gefilmt hatte. Erst nach Tagen stellten IT-Fachleute fest, dass das Video unmöglich dort entstanden sein konnte.

Berichte über gefährliche Tiere haben also weiter einen schlechten Ruf – genau das kann die Situation gefährlich machen. Am Montagabend trafen sich am Geiseltalsee Schaulustige. Sie diskutierten darüber, auf welcher Wiese der Puma wohl gefilmt wurde.

Am Dienstagabend teilte der Saalekreis dann allerdings auch mit, dass im Laufe des Tages ein zweites Video mit einer Tiersichtung am Geiseltalsee eingegangen sei. „Wir gehen davon aus, dass es sich um dasselbe Tier handelt.“ Aus der Perspektive des neuen Videos sei das Tier aber kleiner „als zunächst zwingend zu vermuten“ gewesen sei. Die großangelegte Suche werde nach dem neuen Kenntnisstand zurückgefahren, das Video genauer von Fachleuten überprüft. Vielleicht reiht sich der angebliche Puma also doch noch als Sommerloch-Tier in die lange Liste seiner Vorgänger ein.

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