Wirtschaft

Die Freie Demokratische Partei: Die Lernkurve der Liberalen | ABC-Z

Wähler betrachten ihre Stimme nicht (nur) als Lohn, sondern auch als Investition. Sie wählen nicht die Partei, der sie dankbar sind für Geleistetes, sondern die, der sie künftig Leistung zutrauen. Manchmal fällt beides zusammen, manchmal nicht. Das muss zurzeit vor allem die FDP beschäftigen. Ihr Vorsitzender, Christian Lindner, wurde gerade als Bundesfinanzminister gefeuert, was sich im Lebenslauf nicht gut macht. Arbeitnehmer müssten in Vorstellungsgesprächen mit unangenehmen Fragen rechnen.

Zu Recht: Was zum Rausschmiss geführt hat, könnte sich wiederholen. Lindner muss seinen Wählern erklären, warum er nicht nur ein Mann mit Überzeugungen ist – das sind viele, und sei es, dass sie vor allem von sich selbst überzeugt sind –, sondern einer, mit dem man auch künftig arbeiten kann.

Kompetenz und Ehrgeiz

Dafür sind einige Voraussetzungen nötig: Kompetenz, Ehrgeiz, Kompromissfähigkeit. Wer nichts kann, will das Falsche, wer nichts anstrebt, will zu wenig, und wer nur seinen eigenen Willen ernst nimmt, findet keine Mitstreiter. Am einfachsten lässt sich Kompetenz beurteilen. Wer meint, Lindner verstehe nichts von Zahlen, wird ihm nicht dabei helfen wollen, abermals Finanzminister zu werden. Wer, etwas differenzierter, überzeugt ist, die FDP setze auf die falschen Instrumente, um die Schwäche der deutschen Wirtschaft in den Griff zu kriegen, oder sicher ist, dass anderes gerade wichtiger sei, wird die Partei zumindest bei der nächsten Bundestagswahl nicht wählen. Diese Leute wird die FDP nicht überzeugen.

Am Ehrgeiz der Liberalen wiederum dürfte niemand zweifeln. Allerdings stellt sich die Frage, worauf er gerichtet ist. Viele haben in den vergangenen Monaten den Eindruck gewonnen, der Partei gehe es stärker um sich als ums Land. Das hat verschiedene Gründe. Auch den, dass viele Journalisten Politiker lieber nach dem Zustand ihrer Partei fragen als nach den Gesetzen, an denen diese gerade arbeiten. Das ewige Leid der Fachleute, potenziert nach den Gesetzen von Social Media.

Entscheidender aber ist, dass die FDP immer aggressiver um Profilierung kämpfte. Der Kampf wurde nicht honoriert. Unter den Anhängern und Mitgliedern der Partei sind spinnwebdünne Geduldsfäden überdurchschnittlich verbreitet; dasselbe gilt für eine verblüffend hohe Meinung von der eigenen Lösungskompetenz. Die Unzufriedenheit mit der FDP – gerade weil sie Verantwortung für das Land übernommen hatte, dieses nun aber nicht weitgehend allein gestaltete – spiegelte sich in miserablen Ergebnissen bei Landtagswahlen, während die Partei im Bund den Koalitionspartnern immer mehr aus dem Kreuz leierte. Dass sie zunehmend unverblümt in den Raum stellte, es könnte bald Schluss sein, verunsicherte alle: Die einen empfanden es als Drohung, die anderen als leeres Versprechen. Angesichts dieser Fliehkräfte ist beachtenswert, wie einig die Partei, Ausnahmen sind bekannt, weiter hinter Lindner steht.

Einst sehr zerstritten

Denn die FDP war einmal die zer­strittenste Partei Deutschlands. Lindner hat sie diszipliniert. Im Mai überholte er Hans-Dietrich Genscher als am längsten amtierenden Vorsitzenden. Elf Jahre an der Spitze – damit ist Lindner der Erfahrenste unter den Parteichefs im Bundestag. Für die Frage, was die Wähler von ihm halten sollen, ist das relevant. So lange hält sich kein Kompromissverweigerer als Nummer eins einer demokratischen Partei. Lindner hat immer wieder integriert, zuletzt in auffälliger Weise vor knapp einem Jahr, als in der FDP eine Mitgliederbefragung zum Ausstieg aus der Ampel lief. Lindner kämpfte damals für den Verbleib. Es wäre für ihn ein Leichtes gewesen, durch bloße Zurückhaltung das Ergebnis zu ändern. Einem Schlussappell hätte er dann leicht folgen können. Doch er wollte bleiben.

Sein Versuch, Härte und Einlenken im richtigen Verhältnis abzuwechseln, sah oft mehr wie ein Zickzackkurs als wie ein Mittelweg aus. Allerdings verzeihen Wähler manchen Fehler, wenn sie eine Lernkurve erwarten. Lindner selbst hat schon Fehler eingeräumt; einer sei es gewesen, den Koalitionsvertrag vor einem Jahr nicht neu zu verhandeln, nachdem mit dem Urteil des Verfassungsgerichts zur Schuldenbremse wesentliche Teile des gemeinsam verplanten Geldes gefehlt hatten. Eine andere Einsicht Lindners ist, dass die FDP bekannte Gesichter neben seinem braucht. Darum beansprucht er für die gut drei Monate bis zur Bundestagswahl nicht den einflussreichen Posten des Fraktionsvorsitzenden. Er sitzt künftig als einfacher Abgeordneter im Parlament. Wohl kaum aus Demut – es erscheint einfach klüger.

Der Bundesminister a. D. Lindner ist 45, in dem Alter war Olaf Scholz gerade Hamburger Innensenator. Es stimmt, was einer aus der FDP-Fraktion einige Wochen vor dem Bruch der Regierung sagte, über FDP und Grüne: Wir sind dabei, regieren zu lernen. Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen.

Back to top button