„Die dürfen doch gar nicht unterrichten“ | ABC-Z

Berlin. Bei „Markus Lanz“ berichten Gäste vom Ernstfall Bildung – und stoßen auf eine Ministerin, die lieber über Schleswig-Holstein spricht.
Als die Wiesbadener Grundschullehrerin Katja Giesler bei Markus Lanz schildert, wie sie bei Freunden und Studierenden nachfragt, ob sie an ihrer Schule als Lehrkraft einspringen können, reagiert Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU) mit unverhohlener Skepsis: „Aber die dürfen doch gar nicht unterrichten.“ – „Tun sie aber“, erwidert Giesler.
Lehrermangel in Deutschland: Wenn Bekannte den Unterricht übernehmen
In ihrem Schulamtsbezirk gebe es Schulen, an denen bis zu 35 Prozent der Lehrkräfte keine pädagogische Ausbildung hätten – nicht als Ausnahme, sondern als Dauerzustand. „Auch diese Kräfte können entfristet werden“, sagt Giesler. Prien zeigt sich irritiert: „Das kenne ich so nicht. In Schleswig-Holstein ist das jedenfalls nicht so.“ Lanz hakt nach: „Aber Sie sind jetzt Bundesbildungsministerin.“
Der Satz fällt mehrfach an diesem Abend – ein Rückgriff auf Erfahrungen aus dem Norden, wo Prien bis vor Kurzem Bildungsministerin war. Doch bei Markus Lanz sitzt sie nun als Bundesministerin. Ihre ständigen Hinweise auf Landespolitik wirken zunehmend deplatziert.
Deutschkenntnisse fehlen: Grundschullehrerin schlägt bei Lanz Alarm
Giesler schildert eindrücklich, wie sehr sich die Anforderungen im Grundschulalltag verändert haben. Viele ihrer Schüler könnten am Ende der vierten Klasse nicht flüssig lesen. „Das, was wir vor 20 Jahren als selbstverständlich angenommen haben – das ist zum großen Teil gar nicht mehr da.“
Texte wie Pünktchen und Anton seien für viele Kinder nicht mehr verständlich, müssten in vereinfachter Sprache gelesen werden. Der Wortschatz, sagt sie, sei in Teilen so gering, dass Grundbegriffe erklärt werden müssten. „Kein Kind weiß mehr, was ein Bach ist, was eine Hecke ist – wir müssen die einfachsten Worte erklären und zeigen.“ Auch Kinder ohne Migrationshintergrund hätten zum Teil erhebliche sprachliche Defizite.
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Außerdem habe die emotionale Belastung seit Corona zugenommen. Verwaltungsaufgaben kämen hinzu, ebenso wie das Fehlen individueller Schulbegleiter. Die Lehrkräfte arbeiteten am Limit. Doch statt nach Lösungen zu suchen, blockiere die Politik – so der Eindruck.
Isolation im Klassenzimmer: Mansour kritisiert religiös
Ahmad Mansour, Psychologe und Integrationsberater, bringt mit Vehemenz zur Sprache, was er als Realität in vielen Schulen wahrnimmt: Kinder mit Migrationshintergrund würden teilweise sozial ausgegrenzt – zum Beispiel, wenn sie Geburtstage mitfeiern oder im Ramadan nicht fasten. „Das sind religiöse Motivationen, die Kinder von anderen Kindern isolieren.“
Mansour fordert eine verpflichtende Kita für alle Kinder ohne ausreichende Deutschkenntnisse – um Integration nicht dem Zufall zu überlassen. Und er wird noch deutlicher: „Ich werde den Elefanten im Raum benennen: 80 bis 90 Prozent Kinder aus demselben Milieu – das funktioniert nicht.“
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Seine Einschätzung: Damit Bildung gelingen könne, dürfe der Anteil maximal 40 Prozent betragen. Alles darüber führe zu Parallelstrukturen, auch zu Frust bei Lehrkräften und Eltern. „Zwangsumsiedlung, darüber reden wir hier“, benennt Markus Lanz die Konsequenz. Mansour widerspricht, dann aber sagt er: Wenn es keine andere Lösung gebe, müsse man auch über unpopuläre Wege nachdenken.
Prien: Bildungsproblem lösen durch begrenzte Migration
Auch Prien fordert mehr Durchmischung, bessere Stadtentwicklung, und sagt: „Wir brauchen eine gute Schul- und Wohnpolitik.“ Lanz kontert: „Also, entschuldigung, die Kinder aus sozial schwachen Milieus leben dann in Zehlendorf?“ – „Na ja, das jetzt nicht“, relativiert Prien ihre Aussage. Teil der Lösung sei: Zuzug begrenzen. Der Talk kippt für einen Moment.
Prien lenkt den Blick mehrfach auf Sprachstandserhebungen: Jedes Kind müsse verpflichtend getestet werden – idealerweise vor der Einschulung. Dass diese Tests in vielen Bundesländern längst Teil der U-Untersuchungen sind, bleibt unerwähnt. Auch verweist sie wiederholt auf Kanada, wo Tests, Standards und Vergleichbarkeit besser funktionierten. Mansour widerspricht: Der Vergleich sei nicht zielführend, weil die sozioökonomische Struktur in Kanada eine andere sei.
Alexander bleibt Statist – und wirkt selbst überrascht
Robin Alexander, stellvertretender Chefredakteur der „Welt“, meldet sich erst nach rund einer Stunde – auf Nachfrage von Markus Lanz. In seiner ersten Wortmeldung konstatiert er: „Wenn man heute ein Bildungssystem aufbauen würde, wäre das keine Ländersache mehr.“ Außerdem würde man die Themen Teilzeit arbeiten und Verbeamtung anders angehen. Danach spricht er über Schuldenbremse, Haushaltslogik, Koalitionsfragen – mit wenig Bezug zum Thema des Abends. Man wundert sich, was sich bei der Gästeauswahl gedacht wurde.
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Während andere Gäste konkrete Beispiele oder Forderungen benennen, pocht Prien mehrfach darauf, „jetzt endlich über Lösungen zu sprechen“. Immer wieder beklagt sie ihren geringen Sprechanteil, auch wenn sie mehrfach ausführlich antworten darf.
Inhaltlich bleibt sie dabei oft abstrakt: Sie verweist auf Modellländer wie Kanada, betont die Notwendigkeit verbindlicher Sprachstandserhebungen – doch auf die von Giesler geschilderten Probleme im Klassenzimmer geht sie kaum ein. Statt über den Ist-Zustand zu sprechen, besteht sie auf einem Diskurs über den Soll-Zustand. Diese Abgrenzung wirkt auf Dauer ermüdend.
Letzte Chance fürs Bildungssystem? Mansour appelliert an die Politik
Am Ende fragt Mansour eindringlich: „Ist Ihnen bewusst, dass wir vielleicht wirklich die letzte Chance haben?“ Prien reagiert nicht direkt. Stattdessen beklagt sie erneut, man habe zu wenig über Lösungen gesprochen. „Das war nicht ganz einfach, aber in Teilen sehr ehrlich“, schließt Lanz den Abend.