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Die Blockademacht kann der AfD niemand nehmen | ABC-Z

Die AfD feiert in Thüringen am Wahlabend einen großen Sieg. Zum ersten Mal ist es der rechtsextremistischen Partei gelungen, stärkste Kraft in einer Landtagswahl zu werden – und zwar mit deutlichem Abstand. Hochrechnungen zufolge landet die Partei bei mehr als 30 Prozent. Der historische Sieg der AfD bedeute, dass es ohne AfD keine stabilen Verhältnisse in Thüringen geben könne, sagt der AfD-Vorsitzende Björn Höcke.

Von einem „einmaligen Erfolg in der Geschichte der Bundesrepublik“ spricht Stefan Möller, der Ko-Vorsitzende der Thüringer AfD, im Erfurter Landtag. Das Ergebnis sei auch ein Signal für die Bundespolitik, in der die Ampel gescheitert sei. „Der Osten ist ein Seismograph, der zeigt, wo die Reise hingeht“, so Möller. „Wir werden diese Gestaltungsmacht auch nutzen“, kündigt er mit Blick auf die Sperrminorität an, die die AfD nach Hochrechnungen wohl erreicht. Das Ausgrenzen der AfD werde nun nicht mehr möglich sein, so Möller. Die anderen müssten nun mit der Partei ins Gespräch kommen.

Mit der Sperrminorität von einem Drittel der Sitze kann die AfD wichtige Entscheidungen blockieren, darunter Änderungen der Verfassung, die Wahl von Verfassungsrichtern und die Auflösung des Landtags. Auch die Besetzung der Parlamentarischen Kontrollkommission, die den Verfassungsschutz kontrolliert, braucht eine Zweidrittelmehrheit im Thüringer Landtag.

Jubeln will die AfD am Sonntagabend aber lieber für sich. Nachdem die Partei mehrere Medien nicht zur Wahlparty zugelassen hatte, waren „Spiegel“, Bild“, „Welt“ und „taz“ erfolgreich vor Gericht dagegen vorgegangen. Die AfD schloss daraufhin die gesamte Presse von der Veranstaltung in einem italienischen Restaurant in Erfurt aus. Ausschlaggebend dafür seien Platzgründe.

Die CDU freut sich über den zweiten Platz

Die CDU kann sich am frühen Abend über Platz zwei freuen. Hochrechnungen zufolge liegt sie bei etwa 24 Prozent deutlich vor dem drittplatzierten Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Am Sonntagabend kommt CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt unter rhythmischem Klatschen und „Mario“-Rufen auf die Bühne in der Zentralheize, einem Erfurter Industriedenkmal. „Die CDU ist zurück als stärkste Kraft der politischen Mitte“, ruft Voigt. Rot-Rot-Grün sei abgewählt. Er erklärt, nach der Wahl gelte dasselbe wie vor der Wahl: Es werde keine Koalition oder Zusammenarbeit mit der AfD geben. Voigt sagt, er wolle eine Regierung unter Führung der CDU und werde hierfür mit der SPD sprechen. Auch beim BSW werde man „gesprächsoffen“ sein.

Freude: Katja Wolf (BSW) im Erfurter DompalaisAFP, Felix Kaspar Rosic

Voigt war stark in den Wahlkampf gestartet: Im Fernsehduell gegen ihn wirkte Höcke überfordert, Voigt wurde in den sozialen Medien gefeiert. Doch anders als Höcke war es Voigt danach nicht gelungen, die Thüringer Marktplätze zu füllen und die Menschen zu begeistern. Voigt hatte diesen Wahlkampf um Thüringer Themen führen wollen: Unterrichtsausfall, Klinikschließungen, Fachkräftemangel. Dann aber hatte sich er selbst vermehrt zu einem internationalen Thema geäußert: Mehrmals sprach er sich für mehr Diplomatie im Ukrainekrieg aus – wohl ein Signal in Richtung BSW.

Auch hier wird sich gefreut: Mario Voigt (CDU) in der Erfurter Zentralheize

Bei der Suche nach einer Mehrheit im Landtag dürfte die CDU vom BSW abhängig sein. Immer wieder hatte Voigt im Wahlkampf gesagt, nur die CDU könne die AfD schlagen und Höcke verhindern. Mit diesem Argument hatte er auch um Stimmen von Wählern anderer Parteien geworben. Nun könnten ihm die Koalitionspartner fehlen. Eine Zusammenarbeit mit AfD und Linkspartei schließt ein Beschluss der Bundes-CDU aus. Bleiben SPD und BSW als mögliche Partner.

Und das BSW ist der Senkrechtstarter in dieser Wahl. Es erreicht nach Hochrechnungen auf Anhieb mehr als 15 Prozent und wird so zu einer Partei, ohne die eine stabile Regierung in Thüringen kaum gebildet werden kann. Der Erfolg hat mit der Popularität von Wagenknecht zu tun, die aus Thüringen stammt und eine Ost-Identität verkörpert, auch wenn sie schon lange im Saarland mit ihrem Ehemann Oskar Lafontaine lebt. Das Wahlergebnis für das BSW zeige, dass es eine große Repräsentationslücke im Parteiensysteme gebe, sagte Wagenknecht am Sonntagabend. „Die Thüringer erwarten , dass eine stabile Regierung gebildet wird“ so die BSW-Chefin. Doch brauche es eine Koalition, die auch die Stimme erhebe für mehr Diplomatie. Wagenknecht hatte im Wahlkampf vor allem auf das Thema Frieden gesetzt, sie hatte eine Absage an Waffenlieferungen an die Ukraine und einen Verzicht auf die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen gefordert. Diese Haltung teilt die Mehrheit der Wähler in Thüringen. Mit ihrer an Russland angelehnten Politik und einer Betonung der Migrationsprobleme hat das BSW große Schnittmengen mit der AfD, schließt aber eine Koalition aus.

SPD sicher im Landtag vertreten

In Thüringen trug die Popularität der Spitzenkandidatin Katja Wolf zum BSW-Erfolg bei. Die ehemalige Oberbürgermeisterin von Eisenach ist in dem Bundesland eine bekannte Politikerin, während das übrige Personal der Partei, die nur 80 von der Parteizentrale aufgenommene Mitglieder hat, meist politisch unerfahren ist. Wagenknecht hatte vor der Wahl darauf spekuliert, dass das BSW sogar an der CDU vorbeiziehen und Wolf Ministerpräsidentin von Thüringen werden könnte. Anders als manche Umfragen vor der Wahl Glauben machten, zeigte sich am Sonntagabend, dass diese Erwartungen übertrieben waren.

Die SPD hatte um den Wiedereinzug in den Thüringer Landtag bangen müssen. Doch nach Hochrechnungen am Wahlsonntag steht fest, dass die Partei mit etwa sechs Prozent sicher im Landtag vertreten ist. Vor fünf Jahren waren die Thüringer Sozialdemokraten bei 8,2 Prozent gelandet. Selbst das wäre nun ein Erfolg für die Partei, die nach der Einheit noch Werte deutlich über 20 Prozent erzielt hatte. Mit Forderungen wie einem Weihnachtsgeld in Höhe von 500 Euro für Bezieher von Grundrenten oder einem kostenlosen Mittagessen in Kindergärten und Schulen hatte die SPD zu punkten versucht. Spitzenkandidat Georg Maier, Innenminister des Landes, sagt in einer ersten Reaktion, die SPD könne nicht zufrieden sein mit dem einstelligen Ergebnis. Maier hatte ein zweistelliges Ergebnis als Ziel im Wahlkampf ausgegeben.

Nach der Mordtat von Solingen hatte Maier mit einer Reihe von Vorschlägen reagiert – wohl auch, um einen weiteren Abwärtstrend seiner Partei zu stoppen. Auch wurde am Tag vor der Wahl noch ein marokkanischer Intensivtäter, den das Land bisher nicht abschieben konnte, in Abschiebehaft genommen. Die SPD solle in einer zukünftigen Regierung eine Brückenfunktion übernehmen, hatte Maier, im Land bisher nicht sehr bekannt, im Wahlkampf gesagt. Das könnte wohl nur eine Brücke zwischen CDU und BSW sein.

Ein bitterer Abend war es auch für die Linkspartei, die ersten Hochrechnungen zufolge auf etwa zwölf Prozent der Stimmen kam – ein Minus von etwa 19 Prozentpunkten. Ihr Spitzenkandidat, Ministerpräsident Ramelow, ist zwar beliebt im Land und hätte gewonnen, würde der Regierungschef direkt gewählt. Doch schon im Wahlkampf war klar gewesen, dass die Linkspartei künftig keine Machtoption mehr haben würde: Die CDU hatte eine Koalition mit ihr immer ausgeschlossen, und ihre Minderheitsregierung mit SPD und Grünen hat nach Hochrechnungen weniger als halb so viele Sitze wie noch nach der Landtagswahl 2019. Die Selbstzerfleischung der Linken und die Abspaltung Wagenknechts taten ihr Übriges dafür, dass der Linken-Ministerpräsident seinen Amtsbonus kaum zur Geltung hatte bringen können. Trotzdem war Ramelow, der auf die 70 zugeht, unermüdlich durchs Land gereist, hatte vor der AfD gewarnt und die Erfolge seiner Regierung wie Rekordinvestitionen in Bildung betont. Es half ihm nicht: Schon am frühen Sonntagabend war absehbar, dass die Linkspartei zwar einen zweistelligen Stimmenanteil holt, aber nicht einmal halb so viele Stimmen wie vor fünf Jahren bekommt, als sie 31 Prozent erreichte.

Noch trauriger ist der Abend für Grüne und FDP. 2019 hatten sich beide Parteien denkbar knapp in den Landtag gerettet. Diesmal verfehlen die Grünen mit etwa vier Prozent nach Hochrechnungen den Wiedereinzug ins Parlament. Sie dienen in weiten Teilen Ostdeutschlands längst als Feindbild und Sündenbock, als Preis- und Kriegstreiber. Auf Demonstrationen in Sachsen und Thüringen tragen Menschen Schilder, auf denen „Grüne an die Ostfront“ steht. Für die Thüringer FDP unter Führung des ehemaligen Kurzzeit-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich war es schon lange unwahrscheinlich, dass sie den Wiedereinzug in den Landtag noch einmal schaffen könnte. Das parlamentarische Aus bestätigt sich dann am Sonntagabend, Hochrechnungen sahen die FDP bei etwa einem Prozent.

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