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Die Azoren sind das Hawaii Europas | ABC-Z

Sechs Uhr morgens. Es ist stockdunkel. Der kleine Bus mit der Reisegruppe hält vor einer Kuhweide im Niemandsland der Azoreninsel Terceira. Milchbauer Antonio Soares und seine Frau Irene begrüßen die Besucher. Durch die nasse Wiese mit jeder Menge weicher Tretminen geht es zur mobilen Melkmaschine am Rand der Weide. Dort stehen eine Handvoll Kühe, ihre Euter sind an Melkschläuche angeschlossen.

Antonio Soares und sein Sohn Cristiano klemmen an zwei Kühen die Schläuche ab, die Tiere machen kehrt, die nächsten beiden Tiere stehen schon bereit. Jetzt dürfen die Besucher auch mal selbst Hand anlegen. Ganz schön schwierig, ein paar Tropfen aus den glitschigen Eutern herauszu­pressen. Der Milchbauer zeigt, wie es geht, Übung ist alles, ruckzuck ist die Kanne voll.

Die Herde von Familie Soares umfasst 30 Milchkühe unterschiedlicher Rassen, dazu kommen auf seinem Hof in dem 1088-Einwohner-Örtchen São Brás Kälber von unterschiedlichem Alter. Das durchgehend milde Klima auf den Azoren macht es möglich, dass die Kühe das ganze Jahr über im Freien auf den Weiden leben, Ställe gibt es hier keine. Zweimal am Tag werden sie mithilfe von mobilen Stationen gemolken, von den Weiden wird die Milch direkt in die Molkerei gefahren. „Alles, was die Kühe fressen, landet auch in den Menschen“, sagt Antonio Soares. Er habe den ersten Biobetrieb auf Terceira betrieben, sagt er. Mit sieben anderen Farmern habe er angefangen, inzwischen sind es 19 Betriebe, die sich zusammengeschlossen haben.

Touristen können auf geführten Touren die Arbeit und die Aktivitäten der Milchviehbetriebe entdecken und kennenlernen sowie ihre hochwertigen Produkte probieren. Das reicht vom Melken frühmorgens bis zum gedeckten Tisch bei den kleinen Familienbetrieben. Vermittelt wird dabei auch, wie die Milchproduktion auf der Insel durch ihre umweltfreundliche Produktion zur Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft und zum Umweltschutz beiträgt. Und Milch, Joghurt, Butter und Käse schmecken wirklich richtig lecker.

Szenenwechsel. Die stark landwirtschaftlich geprägte Insel mit rund 50.000 Rindern, fast so viele wie Einwohner, hat auch die schönste Stadt der Azoren zu bieten: Angra do Heroismo. Die 1534 gegründete Metropole war der erste Ort auf den Azoren, der zur Cidade, Stadt mit höchster Klassifizierung, erhoben wurde. Am 1. Januar 1980 zerstörte ein Erdbeben Angra, die Stadt wurde größtenteils originalgetreu wieder aufgebaut. Wegen ihres historischen Stadtkerns und der großen Bedeutung in der Geschichte wurde Angra 1983 von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt. Ein Bummel durch die geometrisch angeordneten Straßenzüge mit prächtigen Adelspalästen, Bürgerhäusern und Kirchen sowie dem schönen Stadtpark Jardim Duque da Terceira ist ein Erlebnis. Die Stadt trägt den Bei­namen heroismo (Heldentum), weil sich die Inselbevölkerung im 19. Jahrhundert mutig und wehrhaft gegen den neuen absolutistischen König Portugals stellte.

Die Azoren sind ein Naturparadies und bestehen aus neun weit verstreuten Inseln im Atlantik. Der Archipel ist vulkanischen Ursprungs, entstand vor rund acht bis zehn Millionen Jahren in Folge von Verschiebungen der Kontinentalplatten. Er gehört zu Portugal, ist aber eine Autonome Region mit eigenem Parlament. Die meisten Menschen arbeiten in der öffentlichen Verwaltung und im Dienstleistungssektor, zu dem auch der Tourismus gehört. Die Azoren setzen auf sanften Tourismus und Nachhaltigkeit, die Liste der Landschaftsschutzgebiete ist lang, viele Arten der Flora und Fauna sind besonders geschützt. Die Gesamtfläche aller neun Inseln ist mit 2346 Quadratkilometern kleiner als das Saarland.

Hauptinsel ist São Miguel, 62 Kilometer lang und bis zu knapp 16 Kilometer breit. São Miguel hat alles, was die Azoren ausmacht, und ist die vulkanisch aktivste Insel des Archipels. In der Gegend von Furnas, im Tal der heißen Vulkanquellen, qualmt und brodelt es wie in der Hölle. „Hier muss der Teufel wohnen“, dachten die Einwohner in früheren Zeiten. Über 20 Thermalquellen machen Furnas zu einem bedeutenden Heilwasserort. Ein Muss ist der Besuch des Terra-Nostra-Parks, des berühmten botanischen Gartens in Furnas. Hier können Interessierte in einem großen Naturschwimmbecken unter freiem Himmel mit eisenhaltigem Thermalwasser von 38 Grad baden. In dem weitläufigen Park sind verschiedene Themengärten sehenswert: Farne, auch große Baumfarne, endemische Pflanzen, Kamelien, Palmen- und Ginkgo-Alleen. Hortensien, Azaleen, Rhododendren und viele weitere Pflanzen sorgen für eine herrliche Blütenpracht.

Am Furnas-See wird in der heißen Erde der traditionelle Eintopf „Cozido nas Caldeiras das Furnas“ zubereitet. Die deftige Mischung aus Fleisch, Wurst, Gemüse und Kartoffeln gart sechs bis sieben Stunden in großen Töpfen, in der größten Outdoorküche der Azoren. Das nachhaltige und originelle Gericht kommt in verschiedenen Restaurants auf Vorbestellung auf den Tisch und ist keine reine Touristenattraktion. Auch viele Einheimische bestellen sich einen Cozido, um ihn dann bei einem ausführlichen Picknick am See gemeinsam zu genießen.

Ein faszinierendes Wunder der Natur stellt die Caldeira das Sete Cidades im Westen von São Miguel dar. Auf dem Grund des gigantischen Kraters leuchten bei gutem Wetter die beiden Seen Lago Azul und Lagoa Verde um die Wette. Der blaue und der grüne See sind durch eine Brücke miteinander verbunden. Einer Legende nach stammen sie von den Tränen einer blauäugigen Prinzessin und eines grünäugigen Hirten, die durch eine unerfüllbare Liebe miteinander verbunden waren. Durch das milde Klima und die nährstoffreichen Böden gedeihen auf São Miguel auch Tee und Ananas.

Und neben der faszinierenden Insel Pico mit dem Bilderbuchvulkan Pico alto, mit 2351 Metern der höchste Berg Portugals, warten kleinere Inseln wie São Jorge, Faial oder Flores mit vielen weiteren spektakulären Landschaften, einer vielfältigen Flora und Fauna. So können auf den Azoren 30 Prozent aller auf der Welt vorkommenden Walarten beobachtet werden.

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