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Die Aleuten sind Alaskas Wilder Westen | ABC-Z

„Ich glaube, da hinten ist ein Braunbär unterwegs.“ Ursula vom Expeditionsteam der MS Roald Amundsen deutet aufs Ufer, wo ihre geübten Augen das Tier entdeckt haben. Es ist tatsächlich ein Grizzly, ein Braunbär, wie sie hier genannt werden, der am Strand entlang­läuft. So leise es mit laufendem Motor möglich ist, „schleichen“ wir uns heran. Unsere Anwesenheit scheint ihn nicht zu stören. Immer wieder sucht er unter Steinen Essbares. Doch dann hat eine Bewegung im Wasser sein Interesse geweckt. Erste Lachse kehren zum Laichen an ihre Geburtsstätte zurück. Etwas unbeholfen klettert das mächtige Tier hinunter ins Wasser. Nach mehreren Versuchen ist er erfolgreich. Mit seinen langen Krallen hält er den zappelnden Fisch fest, während er ihn zu verzehren beginnt. Die Natur ist oft grausam. Dann behagt ihm unsere Nähe doch nicht, und er verschwindet im Wald, während wir unsere Fahrt fortsetzen.

Eine bärige Rutschpartie

Seit drei Tagen sind wir mit dem Hurtigrutenschiff MS Roald Amundsen entlang der amerikanischen Küste nach Alaska unterwegs. Ein Jetboot bringt uns heute von Wrangell aus zu einem Beobachtungsplatz, wo flussaufwärts ziehende Lachse für Schwarzbären ein Festmahl bedeuten. „Bitte bleibt als Gruppe immer zusammen. Wir könnten hier jederzeit auf einen Schwarzbären stoßen! Die sind aus allen Ecken zum Fluss unterwegs.“ Paul, heute unser Guide, mahnt eindringlich, bevor wir nach dem Anlegen des Jetbootes zum Beobachtungsplatz aufbrechen. Er selbst geht mit Gewehr voraus. Ein Urwald mit mächtigen Bäumen und fast undurchdringbarem Dickicht empfängt uns im Tongass National Forest, dem größten Waldgebiet der USA. Wir bleiben gerne auf dem befestigten Pfad. Nur 60 Besucher sind pro Tag für diesen Ausflug zugelassen. Auf mehreren Beobachtungsplattformen, direkt über den Stromschnellen des Flusses Anan, wo sich Lachse zu den Laichgründen ihren Weg bahnen, verfolgen wir das Drama. Intensiv starren Bären aufs Wasser, wo Hunderte, Tausende Fische unterwegs sind. Als menschliche Beobachter sind wir für sie uninteressant. Ein kräftiges Tier sitzt im Fluss und frisst. Dann taucht eine Bärenmutter mit zwei tollpatschigen Jungen auf. Die beiden albern herum, kämpfen miteinander, bis einer ins Wasser rutscht. Währenddessen war das Weibchen erfolgreich. Zugleich stürzt sich der Nachwuchs auf den Fang.

Auch andere Interessierte haben sich auf den Felsen niedergelassen: Weißkopfseeadler. Meist geben sie sich mit Resten zufrieden. Was in Wald und im Wasser vollends verwest, dient zur Düngung und als Nahrungsgrundlage für nächste Generationen. Es sind Augenblicke, die man nie mehr vergisst. Viel zu schnell vergeht die Zeit. Mit dem Jetboot geht es zurück nach Wrangell, wo uns ein Shuttle wieder aufs Schiff bringt.

Verlorene Inseln zwischen den Kontinenten

Wir haben inzwischen die Inselkette der Aleuten erreicht. Das Wetter könnte nicht schlechter sein. Regen, Wind? Nein, Sturmböen! Trotzdem brechen wir auf zum Besuch von Unga Village. Heute eine den Gewalten des Wetters ausgesetzte Geisterstadt, war dieses einsame Eiland einst von Fischern bewohnt. Eine Fuchsfarm versuchte wohl auch ihr Glück. Doch alles erwies sich als ineffizient. Im Jahre 1969 wurde das Dorf aufgegeben. Zwischen rostenden alten Maschinen und zusammenbrechenden Häusern hat sich die Natur wieder eingefunden.

Der Aleutenbogen verläuft ausgehend von der Westküste der Alaska-Halbinsel in dem nach Vitus Bering genannten Gewässer, der Beringsee, Richtung Sibirien. Für beide Großmächte ein wichtiger strategischer Punkt. Menschen lebten schon zu Urzeiten auf der etwa 1800 Kilometer langen Inselkette. Entstanden durch Vulkanausbrüche, ist die Erde hier bis heute nicht zur Ruhe gekommen: Tätige Vulkane, schwierige Lebensumstände, allem voran extreme Wetterlagen führten zu einer Entvölkerung. Heute leben auf den 162 Inseln, die zu der Gruppe zählen, etwa 8000 Menschen, vorwiegend Inuit, davon 6000 auf Unalaska, mit seinem Hafen in Dutch Harbor.

Verfolgt man den Verlauf der Aleuten auf der Landkarte, stößt man auf eine andere eigenartige Grenze. In der russischen Hafenstadt Anadyr, sie gehört schon zur anderen Seite, ist zwar die gleiche Tageszeit wie in Unalaska, aber einen Tag später. Etwas verwirrend für den Betrachter, wenn ein Tag verloren geht. Auch, wenn dies nur kartografisch vorhanden ist, so kommt man schon ins Grübeln, was es mit der uns so wichtigen Zeit auf sich hat.

Wir legen im Hafen von Dutch Harbor an. Landgang ist angesagt. Ein bisschen genießen wir hier auch das normale Leben; die uns sonst allgegenwärtige Zivilisation. Interessant ist ein Besuch des Supermarktes. Ganz klar, was hier zählt: strapazierfähige Gummistiefel, Regenbekleidung, Angelausrüstung, Werkzeuge aller Art. Groß ist die Auswahl an Lebensmitteln. Kinder sind mit Fahrrädern unterwegs. Großmotorige SUV röhren die Hauptstraße entlang.

In einer Bucht bestaunen uns Seeotter, während sie auf dem Rücken schwimmen. Am Ufer stapeln sich Fangkörbe für die begehrten Alaska Königskrabben. Fischerei und Tourismus sind heute die vorwiegende Einkommensquellen. Natürlich wird man hier auch mit der traurigen Geschichte konfrontiert, welche dieser Ort im Zweiten Weltkrieg spielte. Ein Museum widmet sich mit eindrücklichen Fotos diesem sinnlosen Kriegsgeschehen zwischen Japan und den USA. Die Schlacht auf den Aleuten ist das letzte Gefecht zwischen souveränen Staaten, das auf US-amerikanischem Boden ausgetragen wurde.

Kunsthandwerk und schnelle Hunde

Die goldene Zeit, als 1899 Nuggets am Strand lagen, und ein Goldrausch ausbrach, ist längst vorbei. Am Westrand Alaskas erinnert Nome an eine alte Western-Stadt. So darf auch der Saloon nicht fehlen, eines der ältesten Häuser. Ausgesuchtes Kunsthandwerk finden wir nicht in eleganten Galerien. Nein, bescheidene Läden in Holzhäusern bergen wahre Schätze: Schnitzereien aus Elfenbein, Seehundfellen und kunstvolle Stickereien. Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung sind Inuit. Allzu viele Perspektiven gibt es für die Jugend in diesem windumtosten Ort nicht. In einem modernen Museum mit interessanten Artefakten gewinnt der Besucher Einblick in die Geschichte Alaskas und die Herausforderungen der Neuzeit.

„Sie war eine hervorragende Läuferin!“ Sven streicht seinem Schlittenhund Leika liebevoll über den Kopf. Nome ist auch berühmt für das weltweit härteste Schlittenhunderennen, dem Iditarot-Wettlauf. Im Jahre 1973 ins Leben gerufen, wird an eine Expedition mit Schlittenhunden erinnert, welche bei einem Ausbruch von Diphtherie 1925 den dringend benötigten Impfstoff nach Nome brachte. Heute findet das Rennen unter ärztlicher Beobachtung für Hund- und Schlittenführer mit entsprechenden Ruhepausen statt.

Der starke Wind lässt nach, kurzzeitig blitzt Sonne durch. Weit draußen sind noch Schaumkronen zu erkennen. Plötzlich ein Loch in der Wolkendecke, und sie reißt auf. Unwirkliches Licht ergießt sich über Siedlung und Hafen mit harten Kontrasten: tiefblauer Himmel, weiße Wolkenfetzen, Wellen tosen zwischen Schiff und Kai unter der Landungsbrücke. Gerade noch gelangen wir zwischen zwei nassen Attacken trocken aufs Schiff.

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