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Die AfD wird stärker: Mehr Mandate, mehr Redezeit, mehr Geld, mehr Einfluss | ABC-Z

Anspruch auf einen Bundestagsvizepräsidenten hat die AfD weiterhin nicht. Aber das Wahlergebnis stärkt die Partei erheblich – nicht nur im Parlament, sondern weit darüber hinaus.

Die voraussichtlich 20,5 Prozent sind ein historischer Einschnitt. Es ist eine Verdoppelung des AfD-Ergebnisses von 2021. Je nachdem, ob das BSW den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schafft, werden 141 oder sogar 150 AfD-Abgeordnete in den Deutschen Bundestag einziehen. „Damit kann man schon sehr, sehr viel bewegen“, freute sich AfD-Chefin Alice Weidel am Wahlabend. Sie dürfte recht haben. Noch nie seit Gründung der Bundesrepublik war eine rechtsradikale Partei in dieser Zahl im Bundestag vertreten.

Für den 21. Deutschen Bundestag wird dies erhebliche Folgen haben. Die vielleicht gravierendste: Verfassungsänderungen werden schwierig. Eine Zweidrittelmehrheit von Union, SPD und Grünen gibt es im Bundestag aller Voraussicht nicht. Dafür wären mindestens 420 Stimmen notwendig nicht. Eine Reform der Schuldenbremse mit dem Ziel, die Bundeswehr zu stärken oder die Ukraine stärker zu unterstützen, ist damit so gut wie ausgeschlossen. SPD und Grüne hatten in der vergangenen Legislaturperiode argumentiert, dass die Schuldenbremse besser noch vor der Wahl hätte reformiert werden sollen. Dazu war die Union nicht bereit.

Mehr Redezeit

Es ist nicht die einzige Folge dieses Wahlergebnisses. „Der politische Einfluss der AfD wird steigen“, sagt Johannes Hillje, der ein Buch über die Kommunikation der AfD geschrieben hat. Ihre zuletzt 76 Abgeordneten kamen in gut einstündigen Debatten im Bundestag auf sieben Minuten Redezeit. Jetzt werden es deutlich mehr sein. „Die AfD wird als Oppositionsführerin künftig die erste Rede in der wichtigen Haushaltsdebatte halten, und sie wird den Bundestag noch stärker als Bühne nutzen können.“ Oppositionsführerin war die AfD zwar schon im 19. Bundestag, in der Zeit der letzten Großen Koalition von 2017 bis 2021. Damals allerdings nur mit einem Wahlergebnis von 12,6 Prozent.

Mit einem qualitativen Sprung der parlamentarischen Arbeit dieser Fraktion rechnet Hillje nicht. Schon bisher habe sich die AfD im Bundestag nicht durch eifrige Ausschussarbeit ausgezeichnet, sondern durch „plattformkonforme Parlamentsreden“, wie Hillje sagt. „Die Reden der AfD-Abgeordneten enthalten grundsätzlich 60- bis 90-sekündige Sinnabschnitte, um sie passgenau auf sozialen Medien ausspielen zu können, jeweils mit einer Botschaft, die zu den Social-Media-Algorithmen passt.“ Davon wird es im Bundestag künftig noch mehr geben.

Mehr Geld für Fraktion und Stiftung

Der Soziologe Axel Salheiser weist zudem darauf hin, dass eine größere Fraktion auch mehr staatliche Mittel bekommt: „Mehr Abgeordnete bedeuten mehr Mitarbeiter, das bedeutet eine erhebliche Stärkung der AfD.“ Aus seiner Sicht hat die Partei in ihren Fraktionen auf Landes- und Bundesebene bereits eine strategische Professionalisierung vollzogen. „Das wird jetzt auf ein noch höheres Level gehoben.“ Damit dürfte auch der Druck auf die Regierungsfraktionen steigen. Denn, betont der Rechtsextremismus-Experte, mehr Parlamentarier mit mehr Ressourcen brächten eine verstärkte Außenwirkung.

Mehr Geld gibt es nicht nur für die AfD-Bundestagsfraktion, sondern erstmals auch für die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung. Sie hat durch den Wahlerfolg der Partei einen Anspruch auf staatliche Förderung. Das Gesetz zur Finanzierung politischer Stiftungen sieht vor, dass eine solche Stiftung gefördert wird, wenn die Abgeordnete der ihr nahestehenden Partei „in der mindestens dritten aufeinanderfolgenden Legislaturperiode in Fraktionsstärke in den Deutschen Bundestag eingezogen“ sind. „Diese Bedingung hat die AfD jetzt erfüllt“, so Salheiser. Und mehr Geld bedeutet: attraktive Jobs für Personen aus dem Umfeld.

Der Fundus potenzieller Mitarbeiter wird also größer, sowohl durch die Stiftung als auch durch den Mehrbedarf an Fraktionsmitarbeitern. In der vergangenen Legisalaturperiode konnten Journalisten und Recherchenetzwerke wiederholt aufzeigen, dass viele dieser Mitarbeiter Aktivisten der Neuen Rechten sind, stramme Rechtsextreme mit oft militanter Vergangenheit. Ein Beispiel ist etwa Benedikt Kaiser, Mitarbeiter des AfD-Abgeordneten Jürgen Pohl, heute ein Vordenker der Neuen Rechten, früher regelmäßig auf Neonazi-Aufmärschen zugegen. Dutzende solcher Fälle wie Kaiser sind dokumentiert.

Im Bundestag kann die AfD nun zudem Untersuchungsausschüsse und Enquete-Kommissionen beantragen, um ihren Themen weitere Bühnen zu geben. Für die Einsetzung solcher Gremien reicht ein Viertel der Abgeordneten; im neuen Bundestag sind dies 158 Stimmen. Zu befürchten ist, dass die AfD solche Instrumente nicht zur Aufklärung nutzt, sondern zur Hetze. So wollte die AfD im vergangenen Jahr unter anderem eine Enquete-Kommission zu „kulturellen Differenzen als mögliche Ursache von Integrationsproblemen bei Zuwanderern in Deutschland“ einsetzen.

Gibt es jetzt einen Bundestagsvize?

Unklar ist, ob sich etwas an der Arbeit der regulären Ausschüsse ändern wird. In der vergangenen Legislaturperiode konnte die AfD keinen Ausschussvorsitz stellen, da sie für ihre Kandidaten keine Mehrheiten bekam. Eine Klage beim Bundesverfassungsgericht blieb erfolglos, denn die Besetzung von Ausschussvorsitzen folgt parlamentarischen Gepflogenheiten, nicht formalen Rechten, wie die Karlsruher Richter im vergangenen September entschieden.

Dennoch ist es üblich, dass die größte Oppositionsfraktion den Vorsitz im Haushaltsausschuss erhält. Ob dies nun geschieht, wird auch davon abhängen, ob die AfD es schafft, Kandidaten zu präsentieren, bei denen sich die anderen Fraktionen zur Zustimmung überwinden können. Geschieht das nicht, dann wird die Partei dies zweifellos skandalisieren und die Opferrolle spielen: Seht her, die anderen Fraktionen verweigern uns unsere demokratischen Rechte.

Ähnlich ist es mit der Besetzung des Präsidiums. Traditionell hat jede Fraktion einen Anspruch darauf, einen Bundestagsvizepräsidenten zu stellen, aber auch gibt es kein einklagbares Recht. Die AfD stellte im 19. Bundestag in mehreren Ausschüssen den Vorsitzenden, aber noch nie einen Bundestagsvizepräsidenten. Bislang fand sich einfach keine Mehrheit für ihre Kandidaten.

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