DGB-Studie legt Präsentismus ungeschützt: Zwei Drittel der Arbeitnehmer gehen krank zum Job | ABC-Z

Studie zu Phänomen Präsentismus
Zwei Drittel der Arbeitnehmer gehen krank zum Job
03.02.2025, 13:22 Uhr
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In Wirtschaft und Politik wird vielfach die mangelnde Leistungsbereitschaft vieler Deutscher beklagt. Eine Studie des DGB legt nun etwas anderes nahe. Demnach arbeiten viele Menschen sogar, obwohl sie krank sind. Und das Phänomen des sogenannten Präsentismus nimmt spürbar zu.
Zwei von drei Arbeitnehmern in Deutschland arbeiten auch dann, wenn sie krank sind. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Untersuchung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) unter 7000 Befragten, die der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) vorliegt. 63 Prozent gaben demnach an, im vergangenen Jahr trotz einer Erkrankung mindestens einen Tag lang gearbeitet zu haben. 44 Prozent sagten, sie hätten sogar eine Woche oder länger krank gearbeitet.
Dem DGB zufolge hat damit der sogenannte Präsentismus – das Phänomen, wenn Beschäftigte trotz Krankheit arbeiten – in den vergangenen drei Jahren stark zugenommen. 2021, auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie, hatten nur 48 Prozent der Befragten angegeben, mindestens einen Tag krank bei der Arbeit gewesen zu sein.
Dem DGB zufolge gehen Beschäftigte in eher prekären Arbeitsverhältnissen besonders häufig krank zur Arbeit. Das betrifft etwa Reinigungskräfte: 77 Prozent von ihnen geben an, im vergangenen Jahr mindestens einen Tag trotz Erkrankung gearbeitet zu haben; 57 Prozent von ihnen eine Woche oder länger. Höhere Werte finden sich auch in Branchen, die von Personalmangel gekennzeichnet sind, etwa bei Erziehern und Lehrerinnen, wo 76 Prozent im Jahr 2024 zeitweise krank arbeiteten, oder in Gesundheitsberufen, wo es 69 Prozent waren. Auch bei den Beschäftigten am Bau lag die Zahl derer, die krank zur Arbeit gingen, mit 65 Prozent über dem Durchschnitt.
Unabhängig von der Branche erhöhen dem DGB zufolge schlechte Arbeitsbedingungen die Wahrscheinlichkeit, trotz Krankheit dem Job nachzugehen. Menschen, die sich beispielsweise Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen, gehen in großer Zahl auch krank zur Arbeit. In der Untersuchung bejahen dies 82 Prozent. Unter denjenigen, die sagen, bei ihrem Arbeitgeber herrsche eine „schlechte Betriebskultur“, sind es 81 Prozent. Außerdem arbeiten 79 Prozent derjenigen zeitweise krank, die das Gefühl haben, ihre Arbeitslast habe im vergangenen Jahr sehr stark zugenommen.
Tesla-Chefs besuchen kranke Mitarbeiter zu Hause
Aus Sicht von DGB-Chefin Yasmin Fahimi zeigen die Zahlen, „dass die Debatte um die angeblich so faulen und ständig krankfeiernden Arbeitnehmer nichts anderes ist als ein Angriff auf die hart erkämpften Errungenschaften der Beschäftigten“. Die Diskussion sei „ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen, die sich etwa aus Angst vor Arbeitsplatzverlust trotz Krankheit zur Arbeit schleppen„.
Im vergangenen Jahr hatten Hausbesuche des Geschäftsführers und Personalchefs von Tesla bei kranken Mitarbeitern für Diskussionen gesorgt. Nachdem vielfach Kritik am Vorgehen laut wurde, verteidigten sich André Thierig und Erik Demmler. Man sei nicht gekommen, um Forderungen zu stellen oder Kritik zu üben. Man habe nur fragen wollen: „Wie geht es dir? Können wir dir irgendwie helfen?“, erklärten sie. Wenige Tage später erklärte sogar Tesla-Chef Elon Musk, sich in Grünheide ein Bild von der Situation machen zu wollen.
Fahimi warnt erneut, krank zu arbeiten, schade nicht nur der eigenen Gesundheit, sondern gefährde auch die Kolleginnen und Kollegen. „Deshalb ist Präsentismus auch wirtschaftlich schädlich.“
Im Januar hatte Allianz-Chef Oliver Bäte angesichts des hohen Krankenstands in Deutschland gefordert, den bis Anfang der 1970er Jahre geltenden Karenztag wieder einzuführen. Arbeitnehmer sollten demnach für den ersten Tag ihrer Krankmeldung keinen Lohn mehr erhalten.