Deutschlands Handball-Jahr 2024: Spiel des Lebens | ABC-Z
Es waren die sechs Handball-Sekunden des Jahres – im Olympia-Viertelfinale Deutschland gegen Frankreich. Für solche Momente liebt und lebt man Handball. Dabei gab es noch viele weitere.
Handball 2024 – zwischen Weltrekord und Reizüberflutung
Handball ist nicht nur ein schneller Sport , er ist auch schnelllebig. Ein Event überholt das andere, die Flut der Spiele lässt kaum Raum für die wahren Höhepunkte. Das Jahr 2024 war ein solches, ein Jahr der positiven Reizüberflutung. Die EM fand in unserem Land statt, Champions-League-Final-Four in Köln und die Endrunde der European League in Hamburg. Die Arenen immer rammelvoll, das Eröffnungsspiel der Heim-EM in der Düsseldorfer Fußball-Arena sahen 54.000 Zuschauer. Ausverkauft. Weltrekord. Das grenzte an Gigantismus , aber man musste irgendwie auch dabei sein. Für die internationalen Handball-Verbände ist Deutschland als Ausrichter eine Bank. Denn die Hallen sind nicht nur bei den Spielen der Gastgeber voll.
Das Eröffnungsspiel der Handball-EM in Düsseldorf
Der Star ist – nicht mehr nur – die Mannschaft
An drei Turnieren nahm die Männer-Nationalmannschaft in diesem Jahr teil. Europameisterschaft, Olympia-Quali und die Olympischen Spiele selbst. Alleine das waren 20 Spiele, zwei davon um Medaillen. Der Traum einer Medaille bei der Heim-EM erfüllte sich ebenso wenig wie der ganz große, der von Gold bei Olympia. Die Schweden und die Dänen erwiesen sich – noch – als zu stark. Hinter diesen Niederlagen versteckt sich aber genau der Erfolg. Deutschland gehört inzwischen zu den klaren Halbfinal-Anwärtern bei großen Turnieren.
Es ist das Ergebnis einer sehr guten Nachwuchsarbeit des Verbandes, aber auch vieler Vereine. Man hat seine eigenen Stars geformt: Julian Köster, Renars Uscins, David Späth oder Justus Fischer – die Bundesliga und ihre Trainer haben durch ihr Vertrauen in deren Talent endlich Spieler ausgebildet, die auch in ihren Klubs tragende Rollen spielen. Das war lange Zeit anders, und es gibt immer noch Potenzial zur Weiterentwicklung. Nationalspieler oder Perspektivspieler dürfen in der Bundesliga keine Bankwärmer sein.
Die Nationalmannschaft wird immer über das Kollektiv stark sein , aber schon die individuellen Fähigkeiten von Juri Knorr und vor allem Renars Uscins zeigen: Es gibt wieder Spieler, die eine Partie mit Weltklasse-Leistungen prägen oder sogar entscheiden können. Auch das braucht es nämlich, um Erfolg zu haben. Das war Andreas Wolff beim EM-Finale 2016 und Renars Uscins beim Olympia-Viertelfinale 2024, dem verrückten Krimi mit Verlängerung gegen Frankreich. Das Spiel seines Lebens. Ein Spiel, das Massen bewegt hat, auch vor dem Bildschirm. Das Glück mit Leidenschaft zu erzwingen. Das ist in Paris und in Lille gelungen.
Es macht einfach nicht “klick”
Einmal mehr waren die Hoffnungen bei den DHB-Frauen größer als der Ertrag. Die Teilnahme an den Olympischen Spielen – erstmals seit Peking 2008 – war natürlich ein Erfolg. Aber es gelang auch später bei der EM zum wiederholten Male nicht, den eigenen Erwartungen gerecht zu werden, geschweige denn in den Kreis der großen Nationen vorzustoßen. Die Weltmeisterschaft im kommenden Jahr in Deutschland und den Niederlanden ist die nächste Chance, den Abstand zu Norwegen oder Dänemark zu verkürzen. Das ist schade für den Handball der Frauen insgesamt. Denn wie bei den Männern ist die Popularität dieses Sports eng mit dem Nationalteam verknüpft.
Die Wertschätzung des Frauen-Handballs ist aber auch ein gesellschaftlicher Auftrag. In Skandinavien, dort wo der Frauen-Handball besonders erfolgreich ist, gibt es diese Trennung nicht. Dort ist Handball einfach nur Handball. Es braucht bei uns allerdings auch endlich mal einen Erfolg, etwas das aufhorchen lässt. Das K.o.-Spiel , in dem es “klick” macht. Es mangelt nicht an Talent, sondern manchmal am eigenen Vertrauen. Und zu lange war der Frauen-Handball auch von offizieller Seite ein Anhängsel ohne Wertschätzung. Das hat sich inzwischen gebessert.
Stärkste Liga, aber Begeisterung ausbaufähig
Die Manager und Trainer der Bundesliga wissen um die Strahlkraft der Nationalmannschaft. Auch ihre Hallen sind im internationalen Vergleich sehr gut besucht. Und dennoch gelingt es nicht komplett, die Begeisterung für den Handball zu transferieren. Auch das Publikum zu verjüngen. Die Liga selbst gibt sich zu Recht den Namen “Stärkste Liga der Welt”, keine andere europäische Liga ist so ausgeglichen wie die Bundesliga, speziell in der aktuell laufenden Saison. Den Meister 2025 zu tippen, ist keine 50:50-Entscheidung, sondern die Wahl zwischen sechs Anwärtern. Das gab es so noch nie. Es gibt keinen logischen Meister mehr, jedes Spiel ist eine Herausforderung, selbst gegen einen Abstiegskandidaten.
Der SC Magdeburg hat nach seinem Double seine Vormachtstellung aktuell verloren. Aber er hat mit Trainer Bennet Wiegert, der wie kein anderer für einen Klub steht, dieses Jahr geprägt, sogar eine Ära. Soweit darf man gehen. In einer Populärsportart ist ein Klub aus dem geografischen Osten ein Vorreiter. Dahinter steckt eine Arbeit, die nicht hoch genug wertgeschätzt werden darf.
Erste Runde Krankenschein – Knochenmühle Europapokal
Auch wenn es keinen deutschen Titelgewinn gab, so war dieses Jahr besonders. Magdeburg und Kiel erreichten das Final Four in Köln, unterlagen allerdings jeweils im Halbfinale. Den größeren Erfolg erzielten jedoch die Frauen aus Bietigheim, die sensationell das Champions-League-Endspiel in Budapest erreichten. Ein Meilenstein für den Frauen-Handball auf Klubebene. 32 Jahre stand kein deutsches Team mehr im Finale des wichtigsten internationalen Wettbewerbs.
Die Dominanz des deutschen Handballs zeigt sich eine Etage tiefer in der European League, die mit ihrer Männer-Finalrunde eine neue Heimat in Hamburg gefunden hat. Die SG Flensburg-Handewitt holte den Titel. In den vergangenen zehn Jahren kam der Sieger dieses Wettbewerbs nur einmal nicht aus Deutschland.
Für die teilnehmenden Teams sind diese Wettbewerbe eine ungeheure Belastung, die sich wirtschaftlich nur im Erfolgsfall auszahlt. Viel bedeutsamer aber ist dort die körperliche Belastung für die Spieler. Seit Jahren gibt es keine Rücksicht auf das wichtigste Gut, die Akteure. 20 Champions-League-Spiele bis zum Titelgewinn sind ein Wahnsinn, für Nationalspieler sind englische Wochen Alltag. Niemand unternimmt etwas dagegen, das ist eine Schande.