Wirtschaft

Deutschland: Kein Land für Gründerinnen | ABC-Z

Frauen in Deutschland gründen selten wachstumsstarke Unternehmen. Seit Jahren stagnieren die Zahlen auf bemerkenswert niedrigem Niveau. Netzwerke mit Investorinnen und Unternehmerinnen wollen das ändern.

Es war ein Video auf Instagram, das Julia Huhnholz zur Gründerin machte: Mitstreiterin gesucht, hieß die Botschaft, die die damals noch unbekannte Apothekerin Vivien Karl sendete. Die beiden Frauen verabredeten sich zum Lunch – „es war Liebe auf den ersten Blick“, erinnert sich Huhnholz.

Die Marketing-Managerin schaut an diesem Berliner Sommerabend in lauter begeisterte Gesichter. Mehr als 100 Frauen sind auf Einladung des Gründerinnen-Netzwerks Businettes in ein Coworking-Space am Kurfürstendamm gekommen.

Eine junge Kosmetikerin ist darunter, die einen veganen Lippenstift zertifiziert hat. Eine erfahrene Managerin aus einem Getränkekonzern möchte Wasser mit Naturextrakten und einem Minimum an Zucker schmackhaft machen.

Eine Agraringenieurin hat mit Kommilitonen einen KI-gelenkten Feldroboter entwickelt. Sie alle wollen sich vernetzen, gegenseitig inspirieren – und als Gründerinnen durchstarten.

Das wäre dringend nötig. Denn Frauen sind, speziell in wachstumsstarken Unternehmensgründungen, bis heute stark unterrepräsentiert. Laut Deutschem Start-up-Monitor 2023 lag ihr Anteil unter sämtlichen Start-up-Gründern bei gerade einmal 21 Prozent.

Das Nachsehen haben Frauen besonders auch beim Geld, werden deutlich seltener und mit kleineren Summen von Kapitalgebern finanziert. Netzwerke wie Businettes oder Encourageventures sind angetreten, das zu ändern.

„Ich überlegte nicht lange, ging raus aus der bequemen Festanstellung und rein ins Abenteuer“, berichtet Huhnholz ihren Zuhörerinnen. Zwei Jahre ist das her.

Seitdem haben die beiden Gründerinnen Investorengelder in Höhe von 1,5 Millionen Euro eingesammelt und acht Mitarbeiter angestellt. Ihr Produkt: Eine Creme gegen Scheidentrockenheit für Frauen in der Menopause. Die Creme unter dem Markennamen Dr. Vivien Karl ist inzwischen in allen Apotheken des Landes erhältlich.

Plattform Businettes unterstützt Gründerinnen

„Gründerinnen in Deutschland brauchen Vorbilder wie Julia Huhnholz und Vivien Karl“, davon ist Victoria Arnhold überzeugt. Auch sie hat zusammen mit einer Frau gegründet: Gemeinsam mit ihrer Studienfreundin Claire Siegert betreibt sie das Netzwerk Businettes, das zu diesem Abend eingeladen. Ihr Ziel: „Wir wollen Gründerinnen Mut machen.“

Mehr als 1000 Frauen sind inzwischen Mitglied der Plattform Businettes. Online können sie sich austauschen, finden Leitfäden und Checklisten für die Gründung und den Geschäftsalltag.

Außerdem bekommen sie Einladungen zu Workshops und Events wie dem Treffen in Berlin. „Helft Euch gegenseitig und vor allem: traut Euch, groß zu denken“, das ruft Claire Siegert ihren Gästen an diesem Abend von der Bühne zu.

Start-ups sind deshalb so relevant, weil sie – anders als zum Beispiel ein Kiosk oder ein Frisörsalon – ein starkes Wachstum anstreben und innovative Produkte oder Dienstleistungen anbieten. Nach Zahlen des Deutschen Start-up-Verbandes, der in seinem Start-up Monitor jährlich fast 2000 Gründungsunternehmen befragt, stagniert der Frauenanteil unter den Gründerinnen allerdings seit Jahren.

Er scheint zementiert bei rund 20 Prozent. „Gerade in schwierigen Zeiten scheinen Fortschritte im Bereich Diversität auf der Strecke zu bleiben“, hieß es zuletzt im Report 2023.

Besserung scheint angesichts von stockendem Wirtschaftswachstum und hohen Insolvenzzahlen so bald nicht in Sicht. „Die Wahrnehmung vieler Frauen ist: Als Gründerin muss ich Hürden überwinden, die Gründer nicht kennen. In den aktuellen Krisenzeiten sind diese Hürden besonders hoch“, sagt Heike Hölzner, Professorin für Entrepreneurship und Mittelstandsmanagement an der HTW in Berlin. Mühsam wird es für Gründerinnen bis heute, wenn es ums Geld geht.

Einen massiven Gender-Pay-Gap in der Gründerfinanzierung dokumentierte zuletzt die Unternehmensberatung EY. Danach erhielten im vergangenen Jahr 237 Frauen und 1713 Männer Kapital für ihre Start-ups.

Rein weibliche Gründerteams hatten allerdings nur fünf Prozent aller Jungunternehmen, die Risikokapital bekamen. An sie gingen lediglich zwei Prozent des Kapitals. Ein weiteres ernüchterndes Muster: Je größer die Finanzierungsrunden von Start-ups wurden, desto kleiner wurde der Anteil von Gründerinnen.

Hölzner will mithelfen, das zu verändern. Sie ist Gründungsmitglied und Co-Vorsitzende des Netzwerks Encourageventures e.V., dem sich rund 700 Investorinnen und Mentorinnen angeschlossen haben. Sie unterstützen mehr als 1100 Start-ups mit mindestens einer Gründerin im Team.

Frauen haben mit Zurückhaltung von Investoren zu kämpfen

„Wir haben keinen Mangel an finanzstarken Frauen in Deutschland, aber eine große Zurückhaltung, wenn es darum geht, Geld in Gründungsunternehmen zu investieren. Allein der Begriff Risikokapital vermittelt vielen den Eindruck, hier werde gezockt“, sagt Hölzner. Ihr Verein will aufklären und Mut machen. Er organisiert Workshops und monatliche Pitch-Nights, auf denen Gründerinnen ihre Ideen präsentieren.

Wer nicht allein mit einem fünf- oder gar sechsstelligen Betrag bei einem Unternehmen einsteigen will, kann sich erfahrenen Investorinnen anschließen und lernt bei Encourageventures, wie so genannte Club Deals gemacht werden. Die Frauen investieren am Ende privat. Wie viele das bisher tatsächlich getan haben, dazu gibt es keine offizielle Statistik.

Gründerin Huhnholz und ihre Partnerin Vivien Karl laufen sich derweil warm für die nächste Finanzierungsrunde. Die Verhandlungen sollen im kommenden Frühjahr beginnen. Huhnholz hat Tipps für alle im Raum, die noch ganz am Anfang stehen und erste Investoren überzeugen wollen: üben, üben, üben.

„Vor dem ersten Pitch muss die Storyline sitzen“, sagt die Gründerin. Was ist das Besondere an der Geschäftsidee? Was der Markt dafür? Das sollte sich in wenigen Sätzen beantworten lassen.

Und falls sich eine Frau frage, ob jetzt der richtige Zeitpunkt in ihrem Leben sei, ein Gründungs-Abenteuer zu wagen, hat Huhnholz, Mutter einer Tochter, auch einen Rat: „Einfach machen! Das ist wie Kinder bekommen, das ist immer anstrengend und nie der richtige Zeitpunkt, aber doch wunderbar!“

Inga Michler ist Wirtschaftsreporterin bei WELT und moderiert große Wirtschaftskongresse. Die promovierte Volkswirtin berichtet über ökonomische Transformation, künstliche Intelligenz, Nachhaltigkeit, Familienunternehmen, Philanthropie und Leadership.

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