Geisel Nimrod wird im Kleintierkäfig gehalten – ist er ein Notfall? | ABC-Z

Jerusalem. Manche Geiseln in Hamas-Gewalt können hoffen, bald freizukommen. Für andere könnte der Horror in Gaza nie enden – warum gerade sie?
Die letzten Informationen über Nimrod waren düster. Er werde in einem Kleintierkäfig festgehalten und sei gezwungen, sich Videobilder anzusehen, auf denen man die Ermordung seiner Freunde sieht, heißt es. Aufgrund der Folter habe sich sein psychischer Zustand massiv verschlechtert. Er sei in sich gekehrt und spreche kaum, leide an einer Hauterkrankung und einer Ohrenentzündung, die nicht behandelt wurde.
Nimrod Cohen war 19 Jahre alt, als die Terroristen aus Gaza die Dörfer und Städte im Süden Israels überfielen. Seine Panzerkompanie rückte aus, um den Kibbutz Nachal Oz zu verteidigen. Einen Angriff mit einer Panzerfaust überlebte keiner seiner Kameraden, nur Nimrod wurde nicht getötet – und wurde von den Terroristen nach Gaza verschleppt. Seither wird er dort festgehalten und gefoltert. Die Sorge seiner Eltern, seiner Zwillingsschwester Romi und seines Bruders Yotam wiegt mit jedem Tag, der vergeht, schwerer. Das letzte Lebenszeichen stammt von Mitte Februar: Eine Geisel, die freigelassen wurde, war eine Zeit lang mit Nimrod gefangen gehalten worden. Sie übermittelte die jüngsten Informationen, die auf einen sich laufend verschlechternden Gesundheitszustand hindeuten.
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Israel: Regierung muss entscheiden, welche Geiseln mit neuem Deal freikommen
Israels Armee schätzt, dass zwanzig Geiseln noch am Leben sind. Zu jeder einzelnen dieser Geiseln gibt es ein Dossier über den Gesundheitszustand. Die Dossiers speisen sich aus Berichten von befreiten Geiseln, aber auch aus Daten der Geheimdienste. Sie wurden nun Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und einzelnen Regierungsmitgliedern vorgelegt. Auf sie kommt eine unmögliche Entscheidung zu: Es liegt an der Regierung zu bestimmen, welche Geiseln im Falle eines neuen Deals freikommen – und welche in Gaza zurückbleiben.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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Ein Deal mit der Hamas ist das deklarierte Ansinnen von US-Präsident Donald Trump, bei dem sich Netanjahu am Montag auf Besuch befand. Parallel dazu setzen die Verhandler in Katar ihr Tauziehen fort: Mediatoren versuchen, die Forderungen der Hamas mit den Bedingungen Israels zusammenzubringen. Trump hatte angekündigt, dass es schon bald zu einem Durchbruch kommen könnte. Wie glaubhaft das ist, weiß niemand. Aber eines steht wohl fest: Sollte es einen Deal geben, dann bringt er nicht die Freilassung aller Geiseln, sondern nur eines Teils.
Israel: Zwei Geiseln sollen als Faustpfand für eine anhaltende Waffenruhe dienen
Der Entwurf, der auf dem Tisch liegt und dem Israel bereits zugestimmt hat, sieht die Rückführung von zehn lebenden und achtzehn ermordeten Geiseln vor.
Acht lebende Geiseln würden am ersten Tag der sechzigtägigen Waffenruhe freigelassen werden, zwei erst am 50. Tag. Sollte die Waffenruhe vorher gebrochen werden, würden diese beiden Geiseln auch weiter in Gefangenschaft bleiben – so wie auch jene zehn Israelis, die nicht auf der Liste der Freizulassenden stehen.
Hintergrund: Waffenruhe oder Waffenstillstand – was ist der Unterschied?
Diese Liste zu erstellen, übersteige seine Kräfte, soll ein Minister gegenüber dem TV-Sender 12 gesagt haben. Es sei unmöglich, sogenannte „humanitäre Fälle“ auszuwählen – denn nach mehr als 600 Tagen Folter seien alle Geiseln humanitäre Fälle.
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Familien der Geiseln sprechen sogar schon von „Schindlers Liste“
So soll etwa Matan Angrest, der als Soldat verschleppt wurde, laut Augenzeugen von den Terroristen so schwer misshandelt worden sein, dass er dauerhafte Behinderungen davontragen könnte, sollte er nicht bald medizinisch versorgt werden. Mehrere Geiseln sollen suizidgefährdet sein. Der anhaltende Nahrungsentzug und Flüssigkeitsmangel setze allen Verschleppten zu, heißt es.
Jene Geiseln, die in Tunneln festgehalten werden, leiden zudem unter anhaltendem Sauerstoffmangel.
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Bei den Angehörigen der Geiseln, aber auch bei jenen, die in früheren Geisel-Deals befreit werden konnten, ist die Empörung über die geplante Auswahl von Geiseln groß. So groß, dass sogar Bezüge zum Holocaust gebraucht werden: Die Plattform der Geisel-Familien spricht von „Schindlers Liste“ – in Anspielung an jene Liste, die rund 1200 Juden das Leben rettete, weil sie für die Arbeit in der Fabrik des Industriellen Oskar Schindler ausgewählt wurden.

Hamas fordert viel für die Freilassung der Geiseln
Der Ansatz, einen Deal in Etappen abzuschließen, ist in mehreren Hindernissen begründet: Die Hamas stellt für die Freilassung der Geiseln hohe Forderungen auf. Ein Übereinkommen, das die Freilassung aller Geiseln bringen würde, wäre an die Freilassung einer hohen Zahl palästinensischer Häftlinge geknüpft – aber auch an die Bedingung, dass Israels Armee den Krieg beenden und sich aus Gaza zurückziehen muss. Für einen Teil der Netanjahu-Koalition ist das inakzeptabel.
Bei Vicki Cohen, der Mutter des nun 21-jährigen Nimrod Cohen, sorgt die Aussicht, dass es vielleicht bald einen Deal geben könnte, nicht für Freude, sondern für Angst. „Ich bin extrem besorgt, dass man Nimrod bis zum Schluss festhalten wird, weil er Soldat ist.“