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Deutscher Weitsprung-Star: Wie stehen Sie zu einem Verbot der AfD, Frau Mihambo? | ABC-Z

Malaika Mihambo zählt zu den Athletinnen, die auch über den Sport hinaus eine starke Meinung haben. Im Interview bezieht der Weitsprung-Star Stellung zu den politischen Entwicklungen in Deutschland. In den Mittelpunkt rückt sie dabei die AfD.

Der Interview-Rahmen ist eng gesteckt. 20 Minuten, nicht sonderlich viel für ein Gespräch. Deswegen die Idee: nur ein Kernthema anzusprechen, die Politik in Deutschland. Malaika Mihambo weiß bis zu Beginn des Interviews nichts davon. Kurz innegehalten, Gedanken gesammelt, dann lässt sich die 31-Jährige aus Heidelberg darauf ein.

WELT: Der Sonntag der Bundestagswahl. Kurz vor 16 Uhr haben Sie in Dortmund Ihren weitesten Satz auf dem Weg zur deutschen Meisterschaft gemacht. Zwei Stunden später war die Wahl entschieden. Wie waren die Reaktionen im Lager der Athleten?

Malaika Mihambo: Ich kann in erster Linie nur von meiner Trainingsgruppe sprechen, aber wir haben die Ergebnisse natürlich wahrgenommen und auch intensiv diskutiert. Politik hat immer Einfluss auf unseren Alltag, auch auf den Sport. Wie es andere Athleten aufgenommen haben, kann ich nicht genau sagen, aber die Wahlergebnisse lösten sicherlich unterschiedliche Reaktionen aus.

WELT: Trifft es das Wort „durchwachsene“?

Mihambo: Ich kann da nur für mich sprechen, und mich stimmt das Ergebnis nachdenklich.

WELT: Inwiefern?

Mihambo: Da muss ich kurz überlegen, wo ich am besten anfange.

WELT: Verständlich, probieren Sie es. Jeder hat ja irgendein Gefühl gehabt, als die Zahlen feststanden.

Mihambo: Wahlen sind ja immer ein Spiegelbild der aktuellen gesellschaftlichen Stimmung und zeigen, welche Themen die Menschen gerade besonders bewegen. Die Umfragewerte haben uns ja im Vorfeld schon eine Ahnung gegeben, in welche Richtung es geht. Manche Ergebnisse waren daher absehbar, andere haben vielleicht überrascht wie zum Beispiel das Abschneiden der Linken. Bei mir kommen da aber unter dem Strich viele Dinge hoch.

WELT: Die da wären?

Mihambo: Während des Wahlkampfes lag der Fokus stark auf einigen, wenigen Themen, insbesondere der Migrationspolitik. Dabei gibt es viele weitere gesellschaftliche Fragen, die ebenfalls von großer Bedeutung für die Gesellschaft sind, wie zum Beispiel Bildung, soziale Gerechtigkeit, aber eben auch der Klimaschutz – insbesondere für mich als Umweltwissenschaftlerin ein zentrales Thema, da er langfristig Auswirkung auf unser aller Leben hat.

WELT: Was ja so gut wie gar nicht in der Debatte der Spitzenkandidaten vorkam. In einer TV-Debatte vor der Wahl zwischen den Kanzlerkandidaten Olaf Scholz (SPD) und Friedrich Merz (CDU) beispielsweise nur 97 Sekunden von 90 Minuten.

Mihambo: Genau, und das zeigt, dass der Klimaschutz bei dieser Wahl nicht die Aufmerksamkeit bekommen hat, den er eigentlich verdient hat. Dabei geht es nicht einzig allein darum, das Klima zu schützen, sondern es geht darum, den Menschen zu schützen. Menschliche Lebensgrundlagen zu erhalten. Das betrifft nicht nur zukünftige Generationen, sondern hat auch jetzt konkrete Auswirkungen, auf unsere Gesundheit, Wirtschaft und auch auf den Sport. Ich hätte mir gewünscht, dass dieses Thema in den Debatten stärker berücksichtigt worden und nicht einfach unter den Teppich gekehrt worden wäre.

WELT: Sie sagten, bei Ihnen kämen „einige Dinge“ hoch. Was ist das noch?

Mihambo: Ich kann auch da nur für mich sprechen, und mich stimmt das Ergebnis, wie gesagt, sehr nachdenklich. Ich denke, es ist wichtig, gesellschaftliche Herausforderungen in einem größeren Zusammenhang zu betrachten. Die Migrationsdebatte wurde sehr emotional geführt, und das führt oftmals zu einer Verzerrung der Sicht. Aber wenn wir über Sicherheit und gesellschaftliche Probleme sprechen, dann müssen wir das Ganze differenzierter betrachten. Es gibt ernst zu nehmende Herausforderungen in verschiedenen Bereichen, zum Beispiel zeigt die Zahl der Femizide, dass Gewalt gegen Frauen ein großes Problem unserer Gesellschaft ist. Femizide verursachen durchschnittlich mehr Todesfälle als ideologisch motivierte Gewalt, das Thema erhält aber weniger Aufmerksamkeit. Genauso gibt es andere ernste Themen, die oft weniger Beachtung finden, etwa die Zahl der Verkehrstoten oder Todesfälle durch Alkoholismus. Deshalb halte ich es für wichtig, dass wir uns mit allen Formen von Gewalt und gesellschaftlichen Problemen befassen, um nachhaltige Lösungen zu finden.

WELT: Sie setzen das in Relation?

Mihambo: Es ist wichtig, dass man Dinge in Relation setzt, um ein vollständiges Bild zu erhalten und besser einordnen zu können, welche Themen besonders wichtig sind. Ich habe das Gefühl, dass die Migrationsdebatte oft sehr emotional geführt wurde. Emotionen wie Wut und Angst oder auch Verunsicherung spielen dabei eine Rolle. Aber ich glaube, dass ein Land auf Dauer nicht durch Angst oder Konfrontation geführt werden kann. Wenn wir gesellschaftlichen Frieden wollen, müssen wir auch selbst eine innere Haltung des Friedens einnehmen. Das heißt, wir müssen reflektiert mit unseren eigenen Emotionen umgehen und uns bemühen, Debatten auch einer sachlichen Ebene zu führen. Denn Angst ist selten ein guter Ratgeber.

WELT: Macht Ihnen die Konstellation im neuen Bundestag Angst? Eine von der CDU dominierte Regierung, eine AfD-Fraktion, die mittlerweile so stark ist, dass sie eine Konstellation für eine Sperrminorität im Bundestag herbeiführen könnte.

Mihambo: Ich finde es schwierig, wenn politische Entwicklungen dazu führen, dass Positionen oder Bewegungen an Einfluss gewinnen, die mit unseren demokratischen Grundwerten nicht vereinbar sind. Wenn es Akteure gibt, die diese infrage stellen oder untergraben, dann ist das ein Problem, das wir angehen müssen. Eine Demokratie kann nur funktionieren, wenn alle sich auch zu diesen Werten bekennen.

WELT: Sie würden sich also für ein Verbot der AfD aussprechen?

Mihambo: Eine Demokratie braucht klare Regeln und Grenzen, die eben nicht überschritten werden dürfen. Wenn eine Partei, eine Bewegung oder auch eine einzelne Person wiederholt gegen die Werte der Verfassung verstößt und ganz klar ein Konflikt mit dem Grundgesetz erkennbar ist, dann müssen die zuständigen Institutionen eine gründliche Untersuchung durchführen und gegebenenfalls Konsequenzen ziehen. Es ist wichtig, dass unsere demokratischen Prinzipien geschützt werden.

WELT: Das aber ist bekanntlich verfassungsrechtlich nur schwer durchsetzbar.

Mihambo: Mir geht es nicht darum, Menschen das Recht auf politische Teilhabe oder Meinungsfreiheit zu nehmen. Demokratie bedeutet natürlich auch Wahlfreiheit, aber gleichzeitig darf es in einer Demokratie keine antidemokratischen Parteien geben. Wenn das der Fall ist, muss gehandelt werden.

WELT: Erleben Sie selbst in Ihrem Alltag, dass rechtsextreme Ideale zunehmend verfangen?

Mihambo: Ich persönlich erlebe das weniger. Aber wenn man sich öffentliche Debatten anschaut, etwas in Kommentaren oder sozialen Medien liest, dann wird einem klar, dass bestimmte Aussagen, die früher undenkbar waren, heute offen geäußert werden und sogar im öffentlichen Diskurs angekommen sind. Rassismus fällt nicht unter die Meinungsfreiheit, er steht im Widerspruch zu den Menschenrechten, denn Meinungsfreiheit endet dort, wo die Gleichheit und Würde anderer verletzt wird. Das zeigt mir, wie wenig der Nationalsozialismus aufgearbeitet wurde und seine Schrecken schlicht vergessen beziehungsweise nie richtig verinnerlicht worden sind.

WELT: Ist denn schon einzuschätzen, was die zukünftige Regierung für den Profisport bedeuten würde?

Mihambo: Das kann ich schwer einschätzen. Ich weiß lediglich, dass die Sporthilfe noch auf den Finanzplan des Bundestags wartet und es einige Athleten gibt, die noch keine Zahlungen erhalten haben oder bei denen diese für ein paar Monate ausgesetzt wurden. Das ist für viele Sportler eine große Herausforderung.

WELT: Der frühere Weltklasse-Zehnkämpfer Frank Busemann hat sich vor einigen Tagen zur Situation des Spitzensports geäußert. Er sieht auf die deutsche Leichtathletik trotz Olympia-Erfolgen in Paris weiter große Herausforderungen zukommen. „Man könnte sagen, vier Medaillen bei den Olympischen Spielen, alles ist super. Aber es ist leider nicht alles super“, sagte Busemann: „Die Welt habe sich weiterentwickelt – und wir müssen versuchen, wenigstens den Status zu erhalten.“ Was muss eine neue Regierung für den Sport an Rahmenbedingungen schaffen, damit Deutschland wieder mehr glänzen kann?

Mihambo: Es geht immer zuallererst darum, wie man das bereits vorhandene Geld effektiver und zielführender einsetzen kann. Aber geht es auch darum, wie man Athleten entlasten kann, wenn man sagt: Uns als Nation ist Sport wichtig, wir wollen eine Sportnation sein? Dann muss man das Fördersystem ändern und besser ausstatten, weil es eben zu viele Athleten gibt, die hauptberuflich noch arbeiten, die nebenberuflich arbeiten oder finanzielle Nöte haben und sich also nicht voll und ganz auf den Sport konzentrieren können. Hochleistungssport kann nur erfolgversprechend sein, wenn man von diesen essenziellen Krisen verschont bleibt und sich auf seine Leistungen konzentrieren kann.

WELT: Ein Mangel an Rückhalt also?

Mihambo: Auch ein Mangel am gesamtgesellschaftlichen Bekenntnis. Wir können nicht sagen, wir wollen so viele Medaillen haben wie möglich, gleichzeitig aber auch so wenig wie möglich für den Sport ausgeben.

WELT: Betrifft Sie die Frage der Förderung denn noch, oder können Sie das Thema persönlich vernachlässigen?

Mihambo: Ich bin glücklicherweise in der Lage, dass es mich nicht betrifft. Ich habe mich in den letzten Jahren gut aufstellen können, weil ich starke Sponsoren und Partner an meiner Seite habe – und ich habe natürlich auch den nötigen sportlichen Erfolg gehabt. Ich kenne diese Unsicherheit gut – 2016 war ich bereits Olympia-Vierte, dennoch stand die Frage im Raum, ob ich auf meine Ersparnisse zurückgreifen muss oder mit meinen damaligen Einnahmen auskomme. Viele Athleten stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Und seit Corona hat sich die Situation für viele noch einmal verändert.

WELT: Nämlich?

Mihambo: Die Förderlandschaft bei den Sponsoren hat sich seitdem verändert. Hauptsponsoren der Athleten sind meistens die Sportartikelhersteller. Die fördern mittlerweile weniger in der Breite, sondern mehr in der Spitze. Das führt dazu, dass man keine Sponsoren an seiner Seite hat, wenn man noch nicht in der Spitze ist. Es fehlt also an Sicherheit.

WELT: Friedrich Merz will im Nachwuchssport wieder mehr auf Leistung setzen. Ferner kündigte er an, die Kultusministerinnen und -minister der Länder zu bitten, an allen Schulen wieder Bundesjugendspiele zu veranstalten. „Und zwar nicht nur mit Teilnehmerurkunden, sondern mit Siegerurkunden“, sagte er. „Wenn die Bundesjugendspiele nur noch Teilnehmerurkunden ausstellen, dann kriegen wir demnächst auch bei Olympia nur noch Teilnehmerurkunden. Ich möchte nicht, dass Deutschland nur noch Teilnehmerurkunden bekommt.“ Er wolle, dass Deutschland wieder an der Spitze stehe. Wie ist Ihre Meinung mit Blick auf die Kontroverse um die Bundesjugendspiele?

Mihambo: Es ist spannend, dass solch ein Thema so emotional diskutiert wird. Ich glaube, das ist der Zeitgeist: Dinge werden emotional diskutiert – und darüber wird die Sachebene an mancher Stelle vergessen.

WELT: Das mal außer Acht lassend: Was ist Ihre Meinung dazu?

Mihambo: Der Kommentar von Herrn Merz ist schön gedacht, aber es ist zu einfach gedacht. Damit werden wir den deutschen Leistungssport nicht retten können. Die Debatte geht aus meiner Sicht am eigentlichen Punkt auch vorbei.

WELT: Warum?

Mihambo: Leistung soll natürlich Spaß machen. Ich persönlich finde Teilnehmerurkunden genauso in Ordnung wie Siegerurkunden oder Ehrenurkunden. Abgeschafft wurde die Unterscheidung, weil eben nicht jeder eine Siegerurkunde bekommen kann und manche Kinder körperlich einfach nicht die Möglichkeit haben, ganz vorn dabei zu sein, sei es, weil sie weniger Zugang zum Sport haben, nicht in Vereinen sind, oder weil Bewegungsmangel schon früh ein Problem ist. Die Idee der Abschaffung war, dass sich jeder wohlfühlt, aber das löst das eigentliche Problem nicht. Denn unabhängig davon, ob man Erster oder letzter wird, der eigene Wert bleibt gleich. Wir müssen den Menschen stärken und in den Fokus stellen und nicht die Leistung. Man kann sich mit sich selbst messen und schauen, wie man sich weiterentwickeln kann. Darüber kommt die intrinsische Motivation, dass man gern Sport macht. Das geht weder allein durch Sieger- oder Ehrenurkunden noch durch die Abschaffung der Urkunden. Das geht am Thema vorbei.

Patrick Krull ist Sportredakteur der WELT-Gruppe. Die Debatte um die Sinnhaftigkeit der neu eingeführten Absprungzone im Weitsprung schien ihm für den Moment zu banal. Deswegen bat er die Olympiasiegerin und Weltmeisterin, den Fokus auf aktuelle politische Themen zu richten.

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