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Deutsche Wirtschaft: Was Deutschlands Wirtschaft jetzt braucht | ABC-Z

Robert Habeck (Grüne) beginnt mit dem, was aus seiner Sicht „selbstverständlich“ ist: Deutschland sei ein Land „voller Stärke“, habe „einen
innovativen Mittelstand“ und „exzellente Fachkräfte“, sagt der Wirtschaftsminister bei der Vorstellung der Herbstprojektion am Mittwoch. Nur was dann folgt, sind Wirtschaftsdaten, bei denen man sich unweigerlich fragt, wie lange diese Selbstverständlichkeit noch gilt.

Aus einem angenommenen Plus für die Wirtschaft ist erneut ein Minus geworden. Habecks Experten im Ministerium gehen mittlerweile davon aus, dass die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um 0,2 Prozent schrumpfen und nicht wie bisher erwartet um 0,3 Prozent wachsen wird. Schon im vergangenen Jahr war das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0,3 Prozent gesunken. „Die Lage ist insgesamt nicht zufriedenstellend“, sagt Habeck. Wenigstens der Ausblick gibt Hoffnung, im kommenden Jahr soll es wieder ein kleines Plus geben. Was den Wirtschaftsminister vor allem positiv stimmt: „Es gibt echte Fortschritte bei der Inflation und der Kaufkraft.“  

Ein Überblick, was die deutsche Wirtschaft gerade besonders bremst – und was ihr helfen könnte:

Der Staat investiert zu wenig

Marode Brücken, Wohnungsmangel in Großstädten, verspätete Züge: Es ruckelt an vielen Stellen in Deutschland. Gemessen an der Wirtschaftsleistung gibt kaum ein Land so wenig für seine öffentliche Infrastruktur aus wie Deutschland, und das schon seit vielen Jahren. Unternehmenschefs wie Ökonomen sind sich einig: Der Staat muss mehr investieren – in den Städtebau, in Bildung und Forschung und in die klimafreundliche Transformation der Wirtschaft.  

Tatsächlich wird der Bund in diesem Jahr so viel Geld ausgeben wie nie zuvor. 70,5 Milliarden Euro sind im Haushalt für Investitionen eingeplant. Gut vier Milliarden gehen etwa in den Wohnungsbau, acht Milliarden in den Ausbau von Autobahnen und Bundesstraßen. Ein Rekord also. Nur: Mehr hilft mehr – so einfach ist es bei Staatsausgaben nicht. Das liegt an der Inflation: Seit 2019 sind beispielsweise die Baukosten um rund 40 Prozent gestiegen – es braucht also viel mehr Geld, um die gleiche Anzahl an Wohnungen zu bauen.

Unter Ökonomen ist umstritten, ob es überhaupt kurzfristig etwas bringen würde, wenn jetzt sofort mehr Staatsgeld fließen würde. Michael Grömling vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln ist skeptisch. Staatliche Investitionen seien zwar sehr wichtig, um strukturelle Defizite aufzuholen, aber „konjunkturell bringt das erst mal nichts, weil die Umsetzung ja auch dauert“. Aufträge für den Straßenbau zum Beispiel müssten auch erst mal vergeben werden, dafür braucht es Personal und weitere Ressourcen. „Wenn Sie heute anfangen, eine Straße zu planen, rollt der erste Bagger bestenfalls in zwei Jahren.“

Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung sieht das anders: „Jede Mehrinvestition würde jetzt helfen“, jede Milliarde Euro, die ausgegeben werde, sei ein Impuls – insbesondere in der Baubranche, da die Kapazitäten dort nicht ausgelastet seien. „Das würde sich ziemlich schnell in einem höheren Bruttoinlandsprodukt niederschlagen.“

Offenkundig sind die Staatsausgaben aber insgesamt zu niedrig, um Deutschland aus der Rezession zu holen. Das liegt auch daran, dass die Investitionen der Unternehmen ebenfalls zurückgegangen sind. Sie können nicht kompensieren, was der Staat zu wenig ausgibt. Das Barometer des ifo Instituts für die Investitionserwartungen fiel im März auf minus 0,1 Punkte, nach plus 1,2 Punkten im November.

Noch mehr staatliche Investitionen müssen allerdings auch finanziert werden. Entweder durch höhere Steuern oder durch mehr Schulden. Den Weg der Schulden versperrt die Schuldenbremse – und mit der FDP in der Regierung ist eine Abkehr davon nicht zu machen. Höhere Steuern will allerdings auch keiner, erst recht nicht im Wahljahr 2025. Fraglich, wie lange der Staat mit den Einnahmen noch auskommen wird. Denn in einer Rezession nimmt der Staat noch weniger Steuern ein: Ein Prozent weniger Wirtschaftsleistung führt, grob gesagt, zu gut zehn Milliarden Euro weniger Steueraufkommen. Die Lücke im Haushalt wird also immer größer, und es ist fraglich, ob sich die aktuelle Planung so überhaupt aufrechterhalten lässt. Die Steuerschätzung Anfang November jedenfalls dürfte für die Ampelregierung wohl wenig Erfreuliches bringen.

Verbraucher sparen lieber

Die Inflationsrate ist rückläufig, die Löhne sind gestiegen. „Da würde man schon denken, dass wieder mehr konsumiert wird“, sagt Patrick Höppner vom ifo Institut. Doch die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland verhalten sich anders: Sie verfügen zwar real wieder über mehr Geld, aber geben es ungern aus. Die Prognose der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) für Oktober fällt zwar etwas besser aus als im Vormonat, aber dafür war sie zuvor stark eingebrochen. 

Im September ist die Inflation voraussichtlich auf 1,6 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gesunken. Allerdings liegt das vor allem an sinkenden Energiepreisen. Rechnet man die Preisentwicklung bei Lebensmitteln und Energie heraus, bekommt man die sogenannte Kerninflation, die im September mit 2,7 Prozent erwartet wird. Vor allem die für viele Menschen sehr sichtbaren Dienstleistungen verteuern sich mit einer Rate von 3,8 Prozent weiterhin stärker. Von Preisstabilität könne man daher noch nicht sprechen, sagen manche Ökonomen. 

Die Gründe, warum die Verbraucher ihr Geld zusammenhalten, liegen Höppner zufolge ohnehin vor allem in einer allgemeinen Verunsicherung. Die speise sich vor allem aus den gehäuften Berichten über die schlechte Wirtschaftslage, Insolvenzen, Ankündigungen von Personalabbau oder Werkschließungen bei großen Betrieben. Die Sparquote der Deutschen, ohnehin schon eine der höchsten der Welt, ist im ersten Halbjahr 2024 noch einmal um 0,5 Prozentpunkte auf 11,3 Prozent des verfügbaren Einkommens gestiegen. „Auch einmalige Inflationsausgleichsprämien wurden eher auf die hohe Kante gelegt“, sagt Höppner. 

An der Zurückhaltung der Konsumentinnen wird sich dem ifo Institut zufolge dieses Jahr wohl auch nicht mehr viel ändern – und darunter leidet vor allem der Einzelhandel. „Die Einzelhändler sehen immer weniger Möglichkeiten für Preiserhöhungen. Auch die Beschäftigung wird kurzfristig eher zurückgehen als steigen“, sagt Höppner. Daneben hätten viele Einzelhändler große Lagerbestände angehäuft und planen nun, ihre Bestellungen an Handelswaren zu verringern. 

Immerhin schätzen die privaten Haushalte in Deutschland ihre Finanzen in den nächsten zwölf Monaten wieder etwas positiver ein als zuletzt. Die Einkommenserwartung ist laut der Gesellschaft für Konsumforschung nach einem starken Einbruch im August im September wieder leicht gestiegen, ebenso wie die Neigung, neue Produkte anzuschaffen.

Konkurrent China wird immer stärker

Die deutsche Industrie ist besonders stark auf den Weltmarkt ausgerichtet, Beispiel Automobilsektor: Der Auslandsumsatz machte dort mit rund 190 Milliarden Euro im ersten Halbjahr rund 70 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Ähnliches gilt für den Maschinenbau und die Chemie. „In der gesamten deutschen Industrie ist die Exportquote sehr hoch, insgesamt liegt sie bei 60 bis 70 Prozent“, sagt Michael Grömling vom IW.

Doch die Nachfrage aus dem Ausland schwächelt: Im ersten Halbjahr schrumpfte etwa die Ausfuhr von Autos um 2,4 Prozent zum Vorjahreszeitraum – und damit deutlich stärker als die deutschen Exporte (minus 1,6 Prozent).

Dafür gibt es eine Reihe von Gründen, auf die weder die deutsche Politik noch die Unternehmen viel Einfluss haben. „Wir haben eine Weltwirtschaft im Krieg“, sagt Grömling mit Verweis auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und den Krieg im Nahen Osten. Hinzu käme die Wirtschaftskrise in China und Unsicherheiten, die mit der bevorstehenden US-Wahl einhergehen. „Das würgt eine traditionell weltoffene Wirtschaft wie Deutschland fundamental ab.“

Das Problem: Vor allem an der Konkurrenz aus China wird sich so schnell nichts ändern, im Gegenteil. Die chinesische Immobilienkrise macht die Chinesen vorsichtig und hält sie vom Konsum ab. Die Regierung versucht, die schwindende Nachfrage im eigenen Land mit Exporten zu kompensieren und vertreibt die hochsubventionierten Produkte billig im Ausland. China verfolge eine „aggressive Exportstrategie“, sagt Wirtschaftsminister Habeck am Mittwoch.

Zum anderen werden chinesische Produkte konkurrenzfähiger, gerade in der E-Mobilität. Chinesische Marken sind im Hinblick auf Technik und Digitalisierung den deutschen schon voraus. Noch wichtiger ist allerdings, dass China sich mit seiner „Made in China 2025“-Strategie schon vor knapp zehn Jahren das Ziel gesetzt hat, in wichtigen Schlüsselbranchen Weltmarktführer und unabhängiger von Importen zu werden. Dazu gehörten auch die wichtigsten Industriezweige Deutschlands. „Und das wird eben ziemlich rücksichtslos durch Industriepolitik umgesetzt“, sagt Dullien vom IMK. Mit Qualitätssteigerungen kämen deutsche Unternehmen dagegen nicht an. „Wenn in China vorgesehen ist, dass diese Produkte nicht mehr oder weniger importiert werden, dann hat man einfach ein Problem.“   

Auf ein ähnliches Problem stoßen deutsche Unternehmen auf dem US-Markt. Seit dem Inflation Reduction Act werden Investitionen unter der Bedingung subventioniert, dass die Produktion in den USA stattfindet. Nun sind ausgerechnet die USA und China die beiden großen Wachstumsmärkte für Deutschland. „Wenn beide so eine aggressive Industriepolitik betreiben, ist es für Deutschland schwierig, da mitzuhalten.“ Besserung ist auch in den USA nicht in Sicht. „Sollte Donald Trump wieder Präsident werden, dann wird es noch schlimmer.“ 

Trump hat im Wahlkampf bereits hohe Zölle auf chinesische Produkte, aber auch gegenüber dem Rest der Welt in Aussicht gestellt. 

Wie kommen wir da wieder raus?

Die Prognose des IW kommt erst im November, sie werde Michael Grömling zufolge aber auch nur mager ausfallen. Dem IMK zufolge sind Wachstumsraten von mehr als einem Prozent, wie sie die Bundesregierung für 2025 erwartet, nach aktuellem Datenstand unrealistisch. Das Institut rechnet mit 0,7 Prozent und nicht wie die Bundesregierung mit 1,1 Prozent für 2025. „Das ist nicht beeindruckend, aber wir sehen zumindest nicht, dass die Entwicklung jetzt in den freien Fall übergeht“, sagt Sebastian Dullien. Ein Hoffnungsschimmer: Beim Maschinenbau etwa führten die angekündigten verbesserten Abschreibungsbedingungen aus der Wachstumsinitiative dazu, dass aktuell weniger investiert wird, da ab dem 1. Januar 2025 die Konditionen besser sind.

Der wichtigste Faktor für Grömling vom IW: „Es braucht eine geopolitische Entspannung.“ Nur so gewännen Unternehmen weltweit die nötige Zuversicht, um wieder zu investieren. Doch darauf kann Deutschland allenfalls diplomatisch versuchen, hinzuwirken. Für Sebastian Dullien vom IMK hätte die Bundesregierung hingegen durchaus weitere Hebel. Zum Beispiel industriepolitisch auf das reagieren, was China und die USA betreiben – also zum Beispiel die E-Mobilität wieder stärker fördern. In der energieintensiven Chemie wiederum spiele die Unsicherheit bei den Energiepreisen eine große Rolle. Hier würde ein Brückenstrompreis helfen, wie ihn etwa der Ökonom Tom Krebs fordert.  

Allerdings hat die Ampelregierung als Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Haushalt sowohl die Pläne zum Industriestrompreis gestrichen als auch den sogenannten Umweltbonus beim Kauf von E-Autos. „Man hat in den Abschwung hinein weiter gespart“, kritisiert Dullien diese Entscheidungen.

Worin beide Ökonomen sich einig sind: Unternehmen brauchen eine verlässliche Planungsgrundlage. Die könnte der Konjunktur sogar kurzfristig helfen.

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