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Deutsche Spielwarenindustrie strebt Anerkennung als Kulturgut an – Wirtschaft | ABC-Z

Thomas Mann als Playmobilfigur – was für eine nette Idee. Zum 150. Geburtstag des Literaturnobelpreisträgers in diesem Jahr soll es eine Sonderausgabe geben, wie schon von Martin Luther, Angela Merkel oder Peter Maffay. Die fingerlange Mann-Figur dürfte dem Spielwarenhersteller aus dem fränkischen Zirndorf kurzzeitig positive Aufmerksamkeit verschaffen. Und so die bittere Realität im Unternehmen ein wenig übertünchen.

Etwa vier Milliarden Playmobil-Figuren bevölkern die Welt, allesamt tragen sie einen friedfertigen Gesichtsausdruck. Wären sie leibhaftige Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter der Firma, würden sie mit gewisser Wahrscheinlichkeit entsetzt, wütend oder traurig schauen. Denn seit nach dem Tod von Firmenpatriarch Horst Brandstätter 2015 eine Riege um dessen ehemalige Assistentin Marianne Albert das Regime übernommen hat, geht es stetig bergab. Die Umsätze des Playmobil-Herstellers brachen dramatisch ein; zuletzt binnen drei Jahren um gut ein Drittel. Für 2022/23 räumte Playmobil Verluste ein, 700 Stellen werden gerade abgebaut. Manager kommen und gehen, Arbeitnehmervertreter und Geschäftsführung bekriegen sich bisweilen sogar vor Gericht. Gerade trat der Betriebsrat geschlossen zurück. Das Vermächtnis Brandstätters werde von der Führung mit Füßen getreten, konstatierte das Gremium bereits 2023 in einem Brandbrief an die Geschäftsführung.

Dass der früher einmal größte deutsche Spielwarenhersteller derart auf Talfahrt ist, ist nicht repräsentativ für die Branche, die sich von diesem Dienstag an zur internationalen Spielwarenmesse in Nürnberg trifft. Um durchschnittlich 7,8 Prozent pro Jahr wächst der globale Spielwarenmarkt, bis 2028 auf voraussichtlich 230,6 Milliarden Euro. In Deutschland gab es 2024 einen leichten Rückgang, der allerdings kaum jemanden beunruhigt. Schließlich misst man von einem außergewöhnlich hohen Niveau in den Corona-Jahren aus, als der Umsatz mit Spielwaren hierzulande überproportional auf gut fünf Milliarden Euro stieg. Vor allem mit Puzzles und Gesellschaftsspielen ließen sich während der Pandemie gute Geschäfte machen.

Bei den deutschen Herstellern schrumpft der Umsatz

Wer sich im Vorfeld der Spielwarenmesse in der Branche umhörte, bekam dementsprechend auch häufiger Klagen über die allgemeine wirtschaftliche Lage zu hören als jene der Spielzeugwirtschaft im Speziellen. Hohe Energiepreise, Konsumzurückhaltung, die durch Kriege und Konflikte hervorgerufenen Unsicherheiten – all dies setzt auch den deutschen Spielwarenherstellern und -händlern zu. Deren Umsatz sank 2024 vorläufigen Zahlen des Marktforschungsunternehmens Circana zufolge um etwa drei Prozent auf etwa 4,4 Milliarden Euro. 10 000 Menschen arbeiten bei den stark mittelständisch geprägten Herstellern hierzulande; 2500 Händler gibt es in Deutschland, wobei 60 Prozent des Umsatzes im Netz erwirtschaftet werden.

Deutschlands Nummer eins auf Herstellerseite ist Simba Dickie. Die familiengeführte Firmengruppe mit Sitz in Fürth meldete für 2023 eine Umsatzsteigerung von 675,2 auf 711,7 Millionen Euro. Inhaber und Vorstandschef Florian Sieber zeigte sich angesichts der allgemeinen Umstände damit ebenso zufrieden wie mit der Entwicklung bei seiner zweiten Firma, dem Modelleisenbahnhersteller Märklin. Der habe 2023/24 mit 130,4 Millionen Euro ein zufriedenstellendes Ergebnis erwirtschaftet, so Sieber. Highlight des laufenden Märklin-Jahres soll übrigens eine AC/DC-Lok werden, die jener nachempfunden ist, welche bei der Welttournee der Band 2008 bis 2010 überdimensional auf der Bühne stand.

„Die Ertrags- und Finanzsituation der Simba Dickie Gruppe hat sich im Vergleich zum Vorjahr noch einmal verbessert und ist weiterhin als gut und sehr solide zu bezeichnen“, sagt Moritz Duschle, Finanzchef des deutschen Marktführers, bei der Vorlage der Zahlen am Firmensitz Fürth. Zu Simba Dickie gehören neben den beiden namensgebenden Marken unter anderem der Bobbycar-Hersteller BIG, Zoch- und Noris-Spiele, der Holzspielzeugfertiger Eichhorn und der Spielzeugautobauer Majorette. Abgeschlossen ist inzwischen die Integration der Neuerwerbung Scout, eines Herstellers von Schulranzen. Für das laufende Jahr rechnet die Simba Dickie Gruppe mit einem Umsatzplus von 3,2 Prozent. 80 Prozent seiner Produkte verkauft das fränkische Unternehmen im Ausland.

Selbstredend sind die Fürther auch bei der Spielwarenmesse in der Nachbarstadt Nürnberg vertreten. Deren Macher werben jedes Jahr damit, wie viele Zehntausend Neuheiten dort zu sehen seien. Bis auf einen ganz geringen Teil sind die meisten davon jedoch nach wenigen Monaten bereits wieder vom Markt verschwunden. Auch die von den Messe-Verantwortlichen ausgerufenen Trends erweisen sich seit Jahren als kurzlebig und wirken nicht selten an den Haaren herbeigezogen. Das Geschäft mit Spielwaren ist generell schnelllebig; nur selten gelingen Neuentwicklungen, die sich über Jahre hinweg in den Kinderzimmern behaupten. Playmobil gehört dazu – noch zumindest. Eine der letzten großen Erfolgsgeschichten waren die Tonies, die ein inzwischen börsennotierter Luxemburger Hersteller 2016 auf den Markt brachte: Man stellt eine Spielfigur auf ein würfelförmiges Abspielgerät und kann dann eine zur Figur abgestimmte Geschichte hören. Inzwischen stehen Tonie-Boxen nach Angaben des Herstellers in fast jedem zweiten deutschen Kinderzimmer. Seit dem vergangenen Jahr ist allerdings nicht mehr Deutschland, sondern die USA der größte Absatzmarkt.

Die größten Verkaufsschlager stammen aus Filmen

Auch die Barbie-Puppe hat Generationen überdauert; allen Kritikern zum Trotz. Auf der Messe feiert US-Hersteller Mattel seinen 80. Geburtstag. Große Lokomotive der Spielwarenindustrie weltweit und in Deutschland ist und bleibt der dänische Bauklötzchen-Hersteller Lego. Hierzulande wächst keine Marke stärker. Von einem Rekordhoch zum nächsten jagt das Geschäft mit Lizenzen, Figuren und Spielewelten, die aus erfolgreichen Filmen heraus originalgetreu destilliert werden. In den USA verdient der Handel jeden vierten Dollar damit; weltweit lag das Volumen des Lizenzgeschäftes 2023 bei 356,5 Milliarden Dollar. Die größten Verkaufsschlager stammen aus „Star Wars“, „Harry Potter“, Marvel oder Pokémon.

Neben den eigenen Geschäften treibt zumindest die deutsche Branche ein Thema um, das auch in Nürnberg eine Rolle spielen wird. Die Deutsche Spielwarenindustrie möchte nicht mehr „nur“ ein Wirtschaftszweig sein. Sie bemüht sich aktuell mit hohem Aufwand, als zwölfter Teilmarkt der Kultur- und Kreativwirtschaft anerkannt zu werden. Neben Sparten wie Musik-, Film- und Rundfunkwirtschaft, Architektur, Design oder Pressemarkt.

Um auf diesem Level wahrgenommen zu werden, legte der Deutsche Verband der Spielwarenindustrie (DVSI) ein Dossier mit Argumenten vor. Spielen zähle „zu den wichtigsten Kulturtechniken der Menschheit“, heißt es darin. Weshalb Spielzeug auch nicht nur eine Ware sei, sondern „ein Mikrokosmos im Makrokosmos“. Kinder spiegeln damit die Welt und entdecken und erkunden so im Kleinen, was sie im Großen wahrnehmen. „Spielwaren machen fit und schlau“, heißt es in dem DVSI-Papier, sie würden die Kreativität fördern, die mentale Gesundheit stärken und integrativ wirken. Der Deutsche Kulturrat, die Dachorganisation kultur- und medienpolitischer Institutionen und Organisationen, steht dem Ansinnen offen gegenüber. Und ein Thomas Mann als Playmobilfigur kann dabei sicher auch nicht schaden.

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