Es muss nicht immer Wagner sein | ABC-Z

Die Provinzstadt Bayreuth war für die Markgräfin Wilhelmine eigentlich zweite Wahl. Statt, wie erhofft, Königin von England zu werden, wurde sie 1731 „nur“ Gemahlin des Bayreuther Erbprinzen Friedrich. Schlecht für sie, gut für Bayreuth: Denn Wilhelmine hat der Stadt in vielfacher Hinsicht architektonisch königlichen Glanz verliehen, auf den zum Teil sogar ihr Bruder von Potsdam aus neidisch blickte.
Zu ihrem 24. Geburtstag hatte sie von ihrem Mann, dem Markgraf Friedrich, eine am heutigen Stadtrand gelegene höfische Einsiedelei geschenkt bekommen. Aus dieser machte die ambitionierte Herrscherin daraufhin die mittlerweile weltberühmte Bayreuther Eremitage: Der Landschaftspark wurde von ihr großzügig erweitert und mit vielen künstlichen Ruinen (ähnlich Sanssouci) ausgestattet, darunter ein steinernes Theater, das noch heute im Sommer Schauplatz von Freiluft-Aufführungen ist. Unbedingt ansehen sollte man die kunstvollen, von Mai bis Oktober stündlich zwischen 10 und 17 Uhr stattfindenden Wasserspiele, die durch das Wasser des Roten Mains gespeist werden: Zunächst starten diese oben an der schmucken Orangerie, dann 15 Minuten später geht es an der Unteren Grotte weiter. Die weitläufige Bayreuther Eremitage diente übrigens als Kulisse für die Netflix-Produktion „Die Kaiserin“.
Markgräfliches Opernhaus
Es ist schon mehr als ein „Wow“-Effekt, den der Besucher erlebt, wenn er das Markgräfliche Opernhaus, Opernstraße 16, in der Innenstadt betritt: Durch ein eher schmuckloses Foyer hindurch gelangt man in das am besten erhaltene barocke Hoftheater weltweit. Die opulente Pracht des im Auftrag von Wilhelmine anlässlich der Hochzeit ihrer Tochter von dem damaligen Stararchitekten Giuseppe Galli Bibiena (Wiener Kaiserhof) im Stil des italienischen Logentheaters errichteten Opernhauses ist schier überwältigend. Man kann stundenlang stehen und staunen und entdeckt immer noch Neues.
Der Ausbau des Theaters erfolgte übrigens damals wegweisend in kürzester Zeit und mit zum Teil vorgefertigten Bauteilen. Und das alles, obwohl es in Bayreuth nicht mal ein festes Ensemble, sondern nur gastierende Theatertruppen gab. Wilhelmine hatte aber durchaus Ahnung vom Theater: Sie komponierte und dichtete nämlich höchstselbst. Dass das prachtvolle Theater bis heute unverändert erhalten geblieben ist, grenzt an ein Wunder: Kein Brand und keine Bombe haben es je getroffen. 2012 wurde das Markgräfliche Opernhaus zum Unesco-Welterbe ernannt. Unbedingt besuchen sollte man auch das angeschlossene Museum, das Alt und Jung spannende Einsichten in die Welt des barocken Theaters eröffnet. Da kann man als Kulissenschieber auch selbst Hand anlegen. Es war übrigens das Markgräfliche Opernhaus, das Richard Wagner nach Bayreuth geführt hatte. Doch so schön er es auch fand, für seine Zwecke war es ungeeignet. Geblieben beziehungsweise wiedergekehrt ist er aber dennoch.
Als Richard Wagner zum ersten Mal Bayreuth besuchte, logierte er übrigens im Schloss Fantaisie in Donndorf, wenige Kilometer westlich der Stadt. Das oberhalb eines Hanges gelegene Schloss wurde 1761 begonnen, 1763 nach dem Tod von Wilhelmine von ihrer Tochter Elisabeth Friederike Sophie von Württemberg weitergebaut und 1765 vollendet. In der überaus malerischen Anlage kann man wandernd auf Entdeckungstour gehen und dabei Stilelemente des Rokoko, der Romantik wie auch der Empfindsamkeit entdecken. Unter den Architekten waren Freimaurer, und da wundert es nicht, dass philosophisches Gedankengut sogar der Antike in die Anlage eingeflossen ist. Spektakulär ist auch hier das Wasserspiel der mit Fabelwesen bestückten Kaskade im Garten. Apropos Garten: 2000 wurde im Schloss Fantaisie das erste deutsche Gartenkunst-Museum mit vielen seltenen Exponaten eröffnet. Dort erfährt man alles, von Stilepochen über Gartenpflanzen und Grundlagen der Gartengestaltung bis hin zu Gartennutzungen.
Ein bisschen in die Fränkische Schweiz hinein, genauer zum Örtchen Wonnsees, muss man fahren, um einen fast magischen Ort der Wilhelmine zu besuchen: den Felsengarten „Sanspareil“, was so viel bedeutet wie „Ohnegleichen“. „Die Natur selbst war hier Baumeister“, beschrieb Wilhelmine den Felsengarten in einem Brief an ihren Bruder Friedrich den Großen. In die natürlichen Felsformationen des dortigen Buchenwaldes mit mehreren kleinen Höhlen ließ das Markgrafenpaar ab 1744 unter anderem ein Felsentheater sowie nach Plänen des Hofbaumeisters Joseph St. Pierre einen morgenländischen Bau und einen Küchenbau errichten. Diese Orte dienten der Belustigung der Hofgesellschaft auf dem Lande – Naturromantik pur sozusagen. Ein Abstecher zur nahen Burg Zwernitz ist überdies lohnenswert.
Das wohl kleinste Museum Deutschlands befindet sich an der Königsallee von Bayreuth. Eigentlich war das kleine Haus mit der Nummer 48 auch gar kein Museum, sondern eine Gaststätte und wurde von der Wirtin Anna Dorothea Rollwenzel betrieben. Legendär geworden ist es, weil der Dichter Jean Paul (eigentlich Johann Paul Richter, 1763 -1825) in seiner Bayreuther Zeit ab 1809 über viele Jahre dort täglich zu Gast war. Und zwar über mehrere Stunden hinweg. Aber nicht oder nicht in erster Linie zum Zechen, sondern weil er in der Dichterstube, die ihm die „Rollwenzelin“ eingerichtet hatte, täglich seiner schriftstellerischen Tätigkeit nachging. Jean Paul, der in Verehrung für Jean-Jacques Rousseau seinen Namen französisiert hatte, war zu seiner Zeit einer der fantasievollsten und beliebtesten deutschen Dichter. Einfach zu lesen sind seine zahlreichen Werke, darunter die Romane „Siebenkäs“, „Das Leben des Quintus Fixlein“ und „Titan“ nicht; es sind heute vor allem seine Aphorismen, die ihn in Erinnerung gehalten haben. Das war aber nicht immer so: Welche Wertschätzung Jean Paul einst entgegengebracht wurde, kann man im Gästebuch der Rollwenzelei nachlesen. Dort haben sich unter anderem Alfred Kerr, Theodor Heuss, der Wagner-Clan und viele, viele andere Prominente über die Zeit hinweg verewigt. Die Dichterstube gibt es noch, inklusive Tintenfleck auf dem Mobiliar.
Im Jean-Paul-Museum, Wahnfriedstraße 1, kann man weiter auf den Spuren des Dichters Jean Paul wandeln. Allerdings: Wie stellt man einen fast vergessenen Schriftsteller vor? Es ist der Sammelfreude eines Bayreuther Stifters zu verdanken, dass das Museum heute gut bestückt ist: Philipp Hausser hatte zu Lebzeiten eine beachtliche Sammlung an Autographen, Erstausgaben und Literatur aus der Zeit Jean Pauls sowie zahlreiche Porträts zusammengetragen, die den Grundstock des Museums bilden, das 2013 neu konzipiert und ansprechend gestaltet wurde. Viele Hörstationen sowie die Rekonstruktion der (chaotischen) Arbeitsstube vermitteln ein lebendiges Bild Jean Pauls. Der formulierte übrigens ausgerechnet im Geburtsjahr Richard Wagners 1813 nahezu prophetische Worte, indem er seiner Sehnsucht Ausdruck verlieh nach einem „idealen Dichterkomponisten“.
Ein Tipp für Wanderfreunde: Bayreuth wurde 2010 als Etappe in den Jean-Paul-Weg aufgenommen, der über rund 200 Kilometer durch weite Teile Oberfrankens führt – in Erinnerung an den Dichter, der selbst gerne wandernd unterwegs war. Viele Info-Tafeln lassen unterwegs eintauchen in sein Leben und Werk. Und wer Jean Paul noch besser kennenlernen möchte, hat natürlich im aktuellen Jubiläumsjahr bei zahlreichen Veranstaltungen dazu Gelegenheit.
Übrigens: Wenn auch seine Bücher in Vergessenheit geraten sind, ganz so unbekannt ist Jean Paul uns denn doch nicht: Auf ihn gehen etliche Wortschöpfungen zurück, die noch heute gebräuchlich sind – darunter etwa „Schmutzfink“, „Gänsefüßchen“, „Angsthase“ oder auch „Weltschmerz“.
Die Redaktion wurde von Bayreuth Tourismus zu dieser Reise eingeladen.