Kultur

„Wachse oder weiche“ in München: Der Acker, der die Welt bedeutet | ABC-Z

Schon erstaunlich, was so alles auf einen Acker passt. Nein, nicht nur der riesige Hokkaido-Kürbis, der Linus van Pelt vor Ehrfurcht erstarren ließe, sondern auch der ganze Themen-Wust, den Maxi Schafroth neben Gülle und Dünger hier ablädt: Globalisierung, Wachstum, Höfesterben, Detoxing und -bubbling und Burnout.

Und während sich hier nun zeigt, wer seine Peanuts kennt, nimmt Schafroths agrarkritisches Lustspiel „Wachse oder weiche“ am Freitagabend bei der Premiere an den Münchner Kammerspielen Fahrt auf und – so viel sei schon an dieser Stelle verraten – ein begeistertes Publikum mit ins Allgäu.

Die Geschichte ist – zumindest vordergründig – schnell erzählt. In Stefansdingen spielt sie, einem Ort im Allgäu, der mehr so mittelfiktiv ist, Schafroth selbst kommt aus Stephansried. In diesem Stefansdingen leben die beiden Bauern Andi und Reto, Acker an Acker.

So ist denn auch das schlichte, aber sehr gelungene Bühnenbild ein einziger Acker. Andi, gespielt von Schafroth, ist ein konventioneller Workaholic-Landwirt, der ein Leben zwischen 50 Milchkühen und noch mehr Excel-Tabellen führt, die Frau ist ihm längst davongelaufen. Reto dagegen ein aus der Schweiz rübergemachter Biobauer, Typ Achtsamkeits-Demeter. Seinen Hof nennt er einen „Ein-Frucht-Betrieb“.

Die Frucht, besagter Kürbis eben, erfährt eine Eins-zu-eins-Betreung, pro Frucht ein Mitarbeiter. „Ein Schädling“, erklärt Reto, „ist nur einer, der etwas anderes will als man selbst. Es gibt keine Schädlinge, nur unterschiedlich gelagerte Interessen.“ Klar, dass es hier auch beim Nachbarn unterschiedlich gelagerte Interessen gibt.

Detoxing im Kerker der Kindheit

Dann wären da noch die Gutsbesitzerin, Fürstin Goggo von Pöschiner, die an Andi verpachtet und an Reto verkauft hat, ihr Neffe Alfons, der zum Detoxing aus der Stadt auf das Gut, den „Kerker“ seiner Kindheit, zurückkehrt, und BayWa-Mitarbeiter Michi, der „Glyphosat-Mephisto“ (Reto).

Der Agrarkonzern BayWa, dessen Pleite im vergangenen Jahr nur knapp abgewendet werden konnte, ist im bayerischen Kabarett ohnehin ein so beliebtes wie naheliegendes Motiv. Die Biermösl Blosn textete seinerzeit sogar die Bayern-Hymne um: „Gott mit dir, du Land der BayWa, deutscher Dünger aus Phosphat, über deinen weiten Fluren liegt Chemie von fruah bis spaat.“

Michi will Andi zunächst die neueste Chemiekeule andrehen, nebst Goody-Bag mit dem Dosenprosecco einer Agrar-Influencerin, versteht sich. Doch dann stellt er fest, dass sich unter dem Acker ein Kobalt-Vorkommen befindet und will mit Andi das ganz große Rad drehen. Reto geht dazwischen, die Gutsbesitzerin will mitverdienen, und schließlich kommt eh alles ganz anders.

Schafroths erste Theaterarbeit

Maximilian Schafroth – den „milian“, den er bisher meist vermied, scheint er eigens für die ehrwürdigen Kammerspiele reanimiert zu haben – hat das Stück geschrieben (gemeinsam mit dem Dramaturgen Martin Valdés-Stauber). Auch für die Musik hat er gesorgt, die Regie geführt und er spielt selbst mit. Es ist Schafroths erste Theaterarbeit.

Die Erwartungen sind groß. Und die Kammerspiele versäumen es nicht, die Latte noch höher zu hängen und Schafroth schon vorab gleich mal in eine Reihe mit Karl Valentin und Liesl Karlstadt zu stellen, die schon vor hundert Jahren an den Kammerspielen große Erfolge feierten.

Und mit Gerhard Polt, der im Team mit Gisela Schneeberger, Hanns Christian Müller, Dieter Hildebrandt und den Biermösl Blosn hier ebenfalls Theatergeschichte schrieb. Das kabarettistische Drama, oder wie immer man dieses Format bezeichnen mag, hat hier durchaus Tradition.

Kabarettist, Schauspieler und Größe in Bayern

Jetzt also Schafroth. Der mittlerweile 40-Jährige ist als Kabarettist und Schauspieler schon seit Jahren eine Größe in Bayern. Außerdem ist er, mit Blick auf das gewählte Thema durchaus eine Erwähnung wert, gelernter Bankkaufmann. Einem Publikum weit über die Kabarettblase hinaus bekannt wurde er als Fastenprediger beim Politiker-Derblecken am Nockherberg. Fünfmal gab er ihn von 2019 bis 2025 – in unterschiedlichen Tonlagen und mit unterschiedlicher Resonanz.

Während beispielsweise Markus Söder, schon qua Amt wichtigste Zielscheibe des Derbleckens, anfangs noch sehr zahm behandelt wurde, ging Schafroth zuletzt hart mit ihm ins Gericht. Was vielen im Publikum nicht gefiel. Auch der Ministerpräsident selbst war freilich nicht amüsiert – und Schafroth kurz darauf Vergangenheit, von der Brauerei Paulaner eilfertig abgeräumt wie ein abgestandenes Norgerl im Salvator-Masskrug.

Ein Schelm, wer einen Zusammenhang vermutet. Beim nächsten Starkbieranstich wird das langjährige Söder-Double Stephan Zinner die Fastenrede halten. Schafroth nahm es mit Würde.

Auf der Bühne der Kammerspiele sagt er nun, während er, wie noch öfters an diesem Abend, mal unvermittelt von der Rolle des Andi in die des Regisseurs und Schauspielers springt, er sei jetzt brav. „Ich möcht ja nicht noch mal wo rausfliegen.“

An der Grenze zu Kalauer und Klischee

Die Gefahr kann als gering erachtet werden. Denn was Schafroth aus dem kleinen, für sich genommen noch unspektakulären Stück macht, ist ein großes Vergnügen. Das auch dadurch nicht geschmälert wird, dass der Neudramatiker immer mal wieder gut gelaunt an der Grenze zu Kalauer und Klischee entlangmarschiert, Abdrift billigend in Kauf nehmend.

Endlich kann Schafroth auch sein schauspielerisches Talent mal wieder ausleben – im Verein mit großartigen Kollegen, bei dessen Casting er sich im Ensemble der Kammerspiele bedient hat: Stefan Merki (Reto) kennt man, auch mit Polt stand er hier schon auf der Bühne, Elias Krischke (Alfons) und Martin Weigel (Michi) wird man sich merken müssen. Traute Hoess (Goggo), die schon mit Ton Steine Scherben und Fassbinder zusammenarbeitete und lange am Berliner Ensemble arbeitete, ergänzt die Truppe.

Dazu der Gitarrist Markus Schalk, der stets an Schafroths Seite ist und mit den sich abwechselnden Trios Perlseer und Reiwas für den Soundtrack zum Acker sorgt.

Überhaupt die musikalischen Einlagen, von Country über Rap bis Paul Simon: eine Wonne. Und noch nie hat ein Rumpelstilzchen schöner getanzt. Schließlich steht auch das Publikum, tanzt, klatscht. Und darauf trink’ma jetzt oane! Aber Obacht bei der Bierauswahl.

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