Deutsch-amerikanischer Dialog zur Meinungsfreiheit nach Vance-Rede | ABC-Z

Die Vorwürfe der Regierung Trump zur angeblich fehlenden Redefreiheit in Deutschland haben für Unruhe gesorgt. Nun beginnt die Verständigung. Begonnen wurde damit auf neutralem Terrain, in Luxemburg. Es war ein kluger Schachzug der Veranstalter, des Instituts für Europäisches Medienrecht aus Saarbrücken und der Universität Luxemburg, zwei fachkundige Juristen aus dem konservativen Spektrum einzuladen. Denn so entwickelte sich der Diskurs unter dem Titel „Sind Lügen geschützt?“ nicht zum Schlagabtausch über Wokeness.
Vorsätzliche Lügen sind nicht geschützt
Aus den USA war Russell L. Weaver angereist, Experte für den ersten Zusatzartikel, der gesetzliche Einschränkungen der Redefreiheit verbietet. Zudem sprach der ehemalige Bundesverfassungsrichter und saarländische Ministerpräsident Peter Müller, der sogleich erwähnte, dass das Grundgesetz nicht die Redefreiheit schütze, sondern die Meinungsfreiheit. Dabei müsse es Einschränkungen geben, nicht nur solche, die die USA kennen, etwa das Strafrecht, sondern zusätzlich andere Grundrechte wie den Ehrschutz oder das Allgemeine Persönlichkeitsrecht. Zudem seien erwiesen falsche Tatsachenbehauptungen nicht geschützt, wenn sie vorsätzlich geäußert werden.
Die Aussage, Hitler sei Kommunist gewesen, interpretierte Müller, trotz faktischer Unrichtigkeit, als „im Zweifel“ Meinung und daher zulässig. Er betonte, dass die Gefahr in Europa nicht darin bestehe, Meinungen zu verbieten, sondern darin, dass manche Meinungen nicht gehört werden können. Dafür macht er Algorithmen von Plattformen verantwortlich. Zwar dürfe Elon Musk als US-Bürger eine Wahlempfehlung zur Bundestagswahl abgeben, aber er dürfe nicht anderslautende Empfehlungen per algorithmischer Steuerung bei X unterdrücken. Das gelte auch für die Medien: „Es gibt die omnipräsente Gruppe ‚Omas gegen rechts‘, ich bin ein ‚Opa gegen links‘, wer berichtet über mich?“
Auch Demokraten hätten gelogen
Weaver von der Universität von Louisville in Kentucky glaubt, dass Plattformen, die einzelne Meinungen unterdrücken, Kunden verlieren. So löse ich das Problem von selbst. Man solle dem Volk vertrauen. Von Vorschriften hält er wenig, da er, „wie wir Amerikaner insgesamt“, wenig Staat wolle. In den USA sei es zulässig, den Holocaust zu leugnen, aber diese Position habe sich in all den Jahrzehnten nie durchgesetzt. Das zeige, dass es kein Verbot brauche. Weaver erkennt das Problem von Desinformation, befürchtet aber, dass ein staatlicher Kampf dagegen zu weiterer Desinformation führe.
Angesprochen auf die Lügen Trumps, erwiderte er, demokratische Präsidenten hätten ebenso gelogen. Er führte Beispiele von Joe Biden und Barack Obama an. Zu den immensen quantitativen und qualitativen Unterschieden sagte er indes nichts. Weaver gestand ein, dass in den USA nur noch Medien mit Schlagseite existierten: Entweder seien diese nah an Trump oder nah an den Demokraten. Das sei schade. Auf die Frage, was man dagegen machen könne, fiel ihm wenig sein.
Müller bereitet diese Entwicklung Sorge. „Wir wollen einen gemeinsamen Raum der Kommunikation, damit politische Willensbildung gelingt.“ Von Faktencheckern hält Müller eher wenig, denn diese hätten „ihre jeweils eigenen Wahrheiten“. Dem stimmte Weaver zu. Allerdings will Müller die Plattformen regulieren. Er berichtete von einer privaten Begebenheit: Als Verfassungsrichter habe er einmal über Aussagen der AfD recherchieren müssen und daher deren Facebookseiten besucht. Seitdem werde er auf Facebook massiv mit rechten Inhalten überschwemmt. Weaver entgegnete dazu nichts, aber er hätte wohl geantwortet: Und trotzdem stimmen Sie nicht für die AfD! Das zeigt, dass wir den Bürgern vertrauen können!
Insgesamt will Müller einen Rahmen zur Sicherung von Freiheit, Weaver betrachtet diesen Rahmen selbst als Einschränkung von Freiheit. Er fragte keck, ob die Europäer diesen Rahmen auch schon gewollt hatten, als die Plattformen noch links waren. Allerdings gestand er ein, dass Trump die Plattformen momentan nur deshalb frei laufen lasse, weil sie ihn unterstützen. Stellten sie sich gegen ihn, würde Trump sofort regulieren, sein Gerede von freier Meinungsäußerung hin oder her. Das wiederum spreche dafür, den Staat ganz rauszuhalten aus alledem.
Unausgesprochen blieb, dass das dritte Modell auf der Welt, die totale Unterdrückung von Meinungen, wie in Russland oder Belarus praktiziert, natürlich abgelehnt wird. Dass diese Staaten die Demokratie im freien Europa massiv bedrohen, wie Müller ausführte, scheint den Amerikanern wenig bewusst zu sein. Als Schutzwall gegen Despotismus sieht man dort den Bürger; es ist indes europäische Erfahrung, dass Bürger manchmal zu schwach sind, um ohne staatliche Hilfe gegen totalitären Druck zu bestehen. Grundlegende kulturelle Unterschiede, die auf historischen Entwicklungen beruhen, bleiben auch nach dem Gespräch in Luxemburg bestehen.