Deshalb sind die Reichsbürger gefährlich | ABC-Z

Es ist leicht, Reichsbürger und andere Verschwörungstheoretiker als Spinner abzutun. Zu skurril die Überzeugungen, zu grotesk die Geschichten, zu abstrus die Vorstellungen. Ein Potpourri an Freaks, könnte man meinen. Das gilt auch für die mutmaßliche Terrorvereinigung rund um Heinrich XIII. Prinz Reuß, deren Gerichtsprozesse sich nun schon seit mehr als einem Jahr hinziehen und die leider immer weniger Aufmerksamkeit erhalten.
Die Mitglieder der Gruppe hingen teils den wildesten Ideen an. Das zeigen unter anderem abgehörte Telefonate, ausgelesene Chats, Aussagen vor Gericht. Darin heißt es zum Beispiel, Politiker und Prominente hielten Kinder in Tunneln gefangen, um sich bei satanischen Ritualen an ihnen zu vergehen. Deutschland sei noch immer von den Alliierten besetzt und werde von Angehörigen des „tiefen Staates“ regiert. Für Befreiung werde eine geheime Allianz aus russischen und amerikanischen Militärs und Geheimdienstlern sorgen, am „Tag X“. Die Reuß-Gruppe diskutierte, ob der Tod der Queen ein Signal für dessen Eintritt war. Elizabeth II. starb im September 2022 mit 96 Jahren, an Altersschwäche.
Ein paar Rentner und Verblendete mit Umsturzphantasien und kruden Weltbildern, die sich als Speerspitze der reaktionären Revolution sehen. So weit, so abgedreht – aber gefährlich?
Alte Bekannte aus dem Militär
Ja. Nach allem, was bisher bekannt ist, war die Gruppe alles andere als ein harmloser Zusammenschluss von Leuten, die beim Irrlichtern während der Corona-Pandemie hier ein bisschen esoterisch und da ein bisschen rechtsradikal abgebogen sind. Dafür sprechen vor allem vier Gründe.
Da ist, erstens, die militärische Vergangenheit mehrerer Angeklagter. Neben den drei mutmaßlichen Gründungsmitgliedern der Vereinigung, Maximilian Eder, Rüdiger von Pescatore (der schon in den Neunzigerjahren wegen Unterschlagens und Weitergebens von Waffen aus Militärbestand verurteilt und unehrenhaft aus der Bundeswehr entlassen worden war) und Peter Wörner, waren auch andere Beschuldigte Soldaten bei der Bundeswehr, viele von ihnen (zeitweise) beim oder im Umfeld des Kommandos Spezialkräfte. Die Vereinigung hatte also militärisch ausgebildetes Personal, das einerseits (ehemalige) Soldaten als Mitstreiter zu rekrutieren versuchte, andererseits Zugang zu Bundeswehrgebäuden ermöglichte.
Die Gruppe verfügte, zweitens, über ein beachtliches Waffenarsenal. 380 Schusswaffen listet die Bundesanwaltschaft auf, dazu gut 800 weitere Waffen und 148.000 Munitionsteile. Es ist naiv zu glauben, erfahrene, teils ranghohe Soldaten mit Umsturzphantasien horteten Hunderte Waffen aus purer Sammellust. Zumal die Vereinigung fleißig dabei war, sogenannte Heimatschutzkompanien für Säuberungsaktionen nach der Machtübernahme aufzubauen. Schießtrainings dafür hatte sie auch schon abgehalten.
Vernetzt mit Querdenkern, Rechtsextremen – und mit der AfD
Hinzu kommt, drittens: Die Gruppe hatte konkrete Pläne. Es gab Organigramme, Verschwiegenheitserklärungen, Feindeslisten. Man wollte gewaltsam in den Reichstag eindringen, Bundestagsabgeordnete festnehmen und so den Umsturz herbeiführen. Und hatte dafür auch schon Bundestagsgebäude ausgekundschaftet. Ein gewöhnlicher touristischer Besuch, wandten manche Beschuldigte vor Gericht ein – bei dem sie jedoch fast ausschließlich Flure und Wegweiser fotografierten. Das tun normale Touristen nicht.
Sie waren zudem, Punkt vier, breit vernetzt. Die Gruppe flog wohl überhaupt nur auf, weil einige Mitglieder Kontakt hatten zu einer anderen Terrorvereinigung, die die Sicherheitsbehörden bereits auf dem Schirm hatten: den Vereinten Patrioten, die unter anderem Karl Lauterbach entführen wollten. Man darf sich die Reuß-Gruppe also nicht als Wagenburg vorstellen. Ihre Mitglieder rekrutierten, netzwerkten, waren aktiv etwa in der Querdenker- und rechtsextremen Szene und in der AfD.
Man sollte daher nicht auf die Strategie mancher Verteidiger hereinfallen, die die Angeklagten als harmlose Spinner darzustellen versuchen. Auch wenn sie in einem Punkt recht haben: Es gab keine Toten. Nur muss man hinzufügen: noch nicht. Denn die Gruppe Reuß war nur die Spitze des Umstürzler-Eisbergs. Militärisch ausgebildet, im Besitz von Waffen, mit konkreten Plänen und gut vernetzt – vieles davon trifft auch auf andere Akteure im rechtsextremen Spektrum zu. Etwa auf die Sächsischen Separatisten, die Ähnliches geplant haben sollen wie die Reuß-Leute, nur mit weniger Geschwurbel und mehr klassischer NS-Ideologie. Auch sie hatten, wie die Gruppe Reuß, personelle Verbindungen zur AfD.
Das zeigt einmal mehr: Die Sicherheitsbehörden halten Rechtsextreme aus gutem Grund für die größten Feinde der demokratischen, offenen Gesellschaft, ob sie nun Kaiser- oder Drittes Reich zum Vorbild haben. Auch die Gesellschaft muss diese Gefahr ernst nehmen – so skurril sie bisweilen daherkommen mag.





















