Der Wandertipp führt zum Schachblumenfest Obersinn | ABC-Z

Sie ist derart selten, dass ihre Blüte mit einem Fest gewürdigt wird: Fritillaria meleagris, besser bekannt als Schach(brett)blume. Jeweils am letzten Aprilwochenende feiert die Marktgemeinde Obersinn im östlichen Spessart bei Speis und Trank, Musik und naturkundlichen Führungen, wenn das Liliengewächs seinen violettfarbenen, wie kleine Laternen wirkenden Fruchtkörper zwei bis drei Wochen öffnet. Charakteristisch sind gesprenkelte, dem Ei eines Perlhuhns („Meleagris“) ähnelnde weiße Flecken. Für ihre fast geometrische Musterung kennt die Flora kaum Entsprechungen, und gar keine, die an Karo- oder Schachfelder denken lassen.
Nur an wenigen Standorten überdauerte die Rarität. Abgesehen vom Herkunftsgebiet am Mittelmeer und einiger Plätze in Nord- und Ostdeutschland, gilt das Sinntal im bayerisch-hessischen Grenzgebiet als ihr bedeutendster Lebensraum. Geschätzt zehn Millionen Pflanzen sind es, die, auf 500 Hektar streng geschützt, mit Schlüssel- und Butterblumen sowie Knaben- oder Wiesenschaumkraut ihr impressives Farbspiel entfalten.
Von allen Seiten ist der Talgrund gut einsehbar; von Obersinn an führt gar ein „Schachblumenweg“ mitten hindurch. Man vertraut darauf, dass es die Naturliebhaber beim Augenschein belassen. Mögen die Ortschaften zwischen Altengronau und Rieneck unterdessen einiges für die Publizität ihrer Blütenschau tun – Obersinn firmiert jetzt als „Schachblumengemeinde“ –, wegen Überfüllung muss die Region selbst in diesen Tagen nicht geschlossen werden.
Die Wege sind breit genug für Wanderer und Radler; nur ihre Zugänge erfordern Findigkeit, ebenso die Einstiege des Schachblumenwegs. Und beim Blick auf die kleinen Gewächse wird vielleicht übersehen, was der Wiesenpfad zur Aufklärung beiträgt, warum das sensible Pflänzchen ausgerechnet hier so gut gedeiht.
Etwas abseits sind in einem Linksbogen der Sinn wellenartige Dämme erkennbar. Aufwendig wiederhergestellt, wird damit an das im 18. und 19. Jahrhundert in einigen Spessarttälern praktizierte Verfahren sogenannter Rück(en)-wiesen erinnert, wobei das System komplexer Zu- und Abflüsse eine viel bessere Grasausbeute erlaubte. Dieses Drainage-Prinzip ständig feuchter, aber nicht zu nasser Flächen machte man sich für die großräumige Ansiedlung der Schachblume seit dem allgemeinen Ende der Landwirtschaft im unteren Sinntal zunutze.
Die kleine Diva mag nun mal keine Trockenheit, allerdings auch keinen Schatten. Ausgehend von einer Parzelle bei Altengronau vor 50 Jahren, verschwanden sukzessive Bauten und hochstämmiger Bewuchs, und die letzten Bauern wandelten sich zu Landschaftspflegern. Da Schafe oder Ziegen zur Beweidung ausscheiden, ist es an ihnen, das Grün umsichtig vom Verbuschen frei zu halten. Selbstverständlich erst nach der Aussamung.
Fehlte noch der wichtigste Zeuge, dass der ökologischen Intaktheit Genüge getan wurde: Seit einiger Zeit hat auch der Biber in das renaturierte Sinntal gefunden. Mit etwas Glück sieht man „Meister Bockert“ aus seinen Höhlungen gleiten. Selbst unter der Brücke nahe dem Festplatz fand er ein dauerhaftes Quartier.
Wegbeschreibung
Trotz abseitiger Lage ist Obersinn gut an das Schienennetz angebunden. Einschließlich Wochenende verkehren stündlich Züge; an diesem auch ein „Schachblumenexpress“ per Traktor zur Festwiese am Leo-Weismantel-Denkmal vor dem Bahnviadukt. Natürlich lässt sich auch der gut ein Kilometer lange Schachblumenweg nutzen (Einstieg am nördlichen Ortsrand von Obersinn). Innerörtlich bestehen Parkmöglichkeiten rechts der Sinn, außerdem gibt es eine Sonderfläche.
Für den weiteren Weg läuft man von der Festwiese an – sonst ein breiter Parkstreifen – kurz an der Straße über die Sinn zum Viadukt und rechts mit der Kombination O4 in den Uferweg eingefädelt. Bei einer insgesamt stark verkürzten Schleife kann man sich – gleichfalls mit O4 – links halten und im Wald auf erhöhter Warte zurückkehren. Das hat als Wandereinstieg auch umgekehrt seinen Reiz, da der Steilhang in eine Naturzone übergeht und das Areal vor dem 30 Meter hohen Viadukt von 1871 in ein größeres Biotop.
Auch bei der kurzen Runde lohnen einige Schritte rechts über die Bahnbrücke hinaus. An wenigen Stellen wachsen Schachblumen so dicht und flächig am Wegesrand wie dort. Sie sind natürlich auch bei der Fortsetzung in der offenen Au ein ständiger Begleiter. Erst nachdem wir ausgangs der weiten Linkskurve gen Hessen übertreten, dünnt es etwas aus, zumal der Weg Abstand hält und ein Stück unter Bäumen verläuft.
Die Passage bleibt rasch zurück, wenn wir das Naturreservat links Richtung Jossa queren. So weit das ungläubige Auge reicht, erstreckt sich das Blütenmeer beiderseits des abgesteckten Übergangs. Abermals unter einer hohen Eisenbahnbrücke hindurch, weist eine Grünanlage in den Ortskern, wo der Hinweis erstaunt, man habe die „Weltschnitzel-Hauptstadt“ erreicht. Mit diesem informellen Titel wirbt der Landgasthof „Zum Jossgrund“, seit er vom Guinnessbuch der Rekorde die Anerkennung für das mit knapp hundert Metern längste Schnitzel aller Zeiten erhielt.
Wenigstens besteht das Haus noch, wenn auch aktuell mit eingeschränkten Öffnungszeiten. Hier wie in den umliegenden Gemeinden ist die Gastronomie stark zurückgegangen. Eine Ausnahme bildet trotz einsamer Lage die zünftig-bürgerliche Gaststätte „Waldesruh“ an der früheren Glashütte Emmerichsthal. Sofern man abkürzen möchte, wird sie allerdings ausgespart. Dann bleibt Jossa – unverändert mit O4 – links hinauf durch die Waldstraße zurück, überwechselnd in einen befestigten Weg. Später, nach dem hessisch-bayerischen Grenzübertritt, enden Asphalt und Steigung, und beschwingten Schrittes heißt es bis Obersinn bergab.
Bei der ausholenden Runde folgen wir rechts der Spessartstraße zum Abzweig gen Emmerichsthal. Dort empfängt ein Spessart-Kulturweg (blau mit gelben Sternchen). Entgegen sonstiger Gepflogenheit weicht er nicht dem Zufahrtssträßchen aus. Optional lässt sich nach 500 Metern von der Linkskurve an geradeaus ein mitunter holpriger Weg am Waldrand nutzen. Oder noch gut 800 Meter weiter bis zu einer auffallenden Senke und dann dem Zeichen roter Schmetterling links nach. Es öffnet den Blick über die renaturierten Mäander des Steinbachs, nahe Emmerichsthal zu engen Schlingen zusammengezogen.
Steter Zufluss war Voraussetzung für eine Glashütte, wie sie hier einige Jahrzehnte seit 1765 bestand. Vom Bauherrn, dem Kurmainzer Erzbischof Emmerich Joseph von Breidbach zu Bürresheim, entlieh der nachmalige Weiler seinen Namen. Später landwirtschaftlich umgewidmet, blieb das Gebäude erhalten und wurde zuletzt vollständig saniert. Seitdem ist es so weiß verputzt wie der (moderne) Gasthof „Waldesruh“ gegenüber.

Frisch gestärkt, kann der kräftige Anstieg auf den abwechslungsreich bewaldeten Höhenrücken, der den Steinbachsgrund und das Sinntal trennt, begonnen werden. Als Markierung gilt jetzt O2, ergänzt um die Ziffer 38. Der steil abfallende Weg endet faktisch erst am Sportplatz vor Obersinn, von dem es mit den Abkürzenden zurückgeht. Zum Tagesausklang empfiehlt sich der Besuch des Museums für Leo Weismantel. Die kleine Gemeinde scheute keine Mittel, durch den Abriss winziger Tagelöhnerkaten und dem Aufbau der Gedenkstätte nebst ansprechendem Vorplatz ihren größten Sohn, den 1888 geborenen Reformpädagogen und Schriftsteller, zu würdigen.
Sehenswert
Dank vielfältiger Renaturierungen hat sich das Sinntal im östlichen Spessart zu einem Refugium schützenswerter Pflanzen entwickelt, darunter die äußerst rare Schachblume. Das 500 Hektar große Naturschutzgebiet „Sinnwiesen“ ist gut für Wanderer und Radler erschlossen. Bei Obersinn führt ein Pfad mitten durch die blühenden Wiesen. Er endet vor dem zehnbogigen Bahnviadukt, das seit 1871 die Sinn überspannt. Dem Raubbau durch Holzmeiler und mobile Glashersteller suchten die Mainzer Erzbischöfe durch feste Glashütten im späteren 18. Jahrhundert zu begegnen. Eines der stattlichen Gebäude von 1765 blieb im abgelegenen Emmerichsthal gut und zuletzt vollständig saniert erhalten.
Öffnungszeiten
Das Schachblumenfest beginnt am Samstag um 14 und am Sonntag um 10 Uhr (bis etwa 17 Uhr); Das Programm gibt es im Internet. Das Leo-Weismantel-Museum an der Schulgasse in Obersinn ist bei freiem Eintritt täglich von 9 bis 17 Uhr geöffnet.
Einkehren
Gasthaus „Waldesruh“ in Emmerichsthal, Telefon 06665/85 05, täglich von 10 bis 22 Uhr, dienstags Ruhetag
Der Landgasthof „Jossgrund“ in Jossa, Telefon 06665/254. Das Restaurant ist nur zu besonderen Terminen geöffnet.
Anfahrt
Zwei Zufahrten führen nach Obersinn im östlichen Spessart: Entweder aus Nordwesten über die A 66, Ausfahrt Bad Soden- Salmünster und dann Richtung Jossgrund. Oder von Süden über die A 3, von der Anschlussstelle Hösbach auf der B 26 gen Lohr und weiter über Gemünden ins Sinntal. Eine Bahnverbindung nach Obersinn gibt es via Gemünden.