Der Treck: Eine Ausstellung über Erinnerung und Verantwortung | ABC-Z

Manchmal sind es Bilder, die mehr erzählen als Worte. Sie bleiben hängen, selbst wenn man den Raum längst verlassen hat. So ist es auch bei der neuen Sonderausstellung “Der Treck – Fotografien einer Flucht 1945” im Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung in Berlin. Zwischen historischen Schwarzweißaufnahmen und heutigen Fotografien entfaltet sich eine Geschichte, die persönlich, bewegend und hochaktuell zugleich ist.
Im Januar 1945, bei eisiger Kälte, machen sich rund 350 Menschen aus dem niederschlesischen Dorf Lübchen auf den Weg nach Westen – vor der heranrückenden Roten Armee, in der Hoffnung, Sicherheit zu finden. Unter ihnen: Frauen, Kinder, alte Menschen – und zwei Fotograf*innen, Hanns Tschira und Martha Maria Schmackeit. Sie dokumentieren den Treck auf seiner Flucht: Rund 140 Aufnahmen, entstanden innerhalb eines Monats, halten die Gesichter, Wagen, Tiere und Schneelandschaften fest, die diesen Weg begleiteten. Diese Bilder sind jetzt, 80 Jahre später, erstmals vollständig zu sehen. Und sie tun etwas, das gute Fotografie immer tut: Sie erzählen nicht nur, sie fordern heraus.
© Thomas Bruns
Ein Blick, der Geschichte und Gegenwart verbindet
Die Ausstellung zeigt die eindrucksvolle Fotostrecke nicht einfach nur als historische Dokumentation. Sie fragt, wie diese Bilder überhaupt entstehen konnten und was sie über Flucht erzählen – aber auch, was sie verschweigen: Was bedeutet es, wenn Fotograf*innen mitten im Chaos einer Flucht zur Kamera greifen? Was zeigen sie und was bleibt unsichtbar?
Im Zentrum steht der Treck selbst: die beschwerliche Route, die Menschen und Tiere über eisige Straßen und Flüsse führte. Doch die Ausstellung geht noch weiter: Sie zeigt, wie das Dorf Lübchen zur polnischen Ortschaft Lubów wurde und was aus den Menschen wurde, die einst fliehen mussten. Der Fotograf Thomas Meyer ist der historischen Route noch einmal gefolgt. Seine heutigen Aufnahmen stehen den Bildern von 1945 gegenüber – als Spurensuche, als Versuch, Orte und Erinnerung miteinander zu verbinden.
© Thomas Bruns
Geschichte, die man sehen und fühlen kann
Was die Ausstellung besonders macht, ist die Vielschichtigkeit: Ihr bewegt euch nicht nur durch eine Fotostrecke, sondern durch Fragen und Räume, die euch zum Nachdenken anstoßen. Wie viel Verantwortung liegt in einem Bild? Wie verändert sich Erinnerung, wenn sie auf Film festgehalten wird? Und was bedeutet Flucht eigentlich heute, in einer Zeit, in der Millionen Menschen erneut aufbrechen müssen?
Wie konnten diese Bilder entstehen? Die Ausstellung beleuchtet auch die Geschichte hinter den Bildern und verdeutlicht die Gleichzeitigkeit des Trecks mit dem Schicksal von Kriegsgefangenen, Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen. Denn es waren nicht nur deutsche Flüchtlinge im bitterkalten Winter 1945 auf den Landstraßen Niederschlesiens unterwegs.
“Der Treck” ist keine nostalgische Rückschau, sondern vielmehr eine Einladung, sich mit der Menschlichkeit inmitten von Unmenschlichem zu beschäftigen. Mit Blicken, Gesten, Szenen, die zeigen, dass hinter jeder historischen Zahl eine reale Geschichte steht.
© Thomas Bruns
Ein Ort, der verbindet
Das Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung ist ohnehin ein besonderer Ort in Berlin: modern, offen und frei zugänglich. Der Eintritt ist kostenlos, und wer sich Zeit nimmt, entdeckt hier weit mehr als eine Ausstellung. Es ist ein Raum für Perspektiven, für Verständnis, für das, was Geschichte mit unserer Gegenwart zu tun hat.
Manchmal reicht ein Blick auf ein altes Foto, um zu begreifen, wie nah uns Geschichte eigentlich ist. Diese Ausstellung tut genau das: Sie berührt, fordert und wirkt nach. Nehmt euch also einen Nachmittag und schaut vorbei. Es sind nicht nur Fotos, die ihr hier seht – es sind Fragmente des Lebens, die seit 1945 bis heute nachhallen.
“Der Treck – Fotografien einer Flucht 1945” | Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung | noch bis 18. Januar 2026 | Dienstag bis Sonntag: 10–19 Uhr | Eintritt frei | Mehr Info
















