Der neue Wehrdienst wird auf die Spur gebracht | ABC-Z
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) erwartet heute die Zustimmung des Bundeskabinetts zu seinen Plänen für einen neuen Wehrdienst.
Vor einer Sitzung der Ministerrunde verwies er dazu auf die veränderten Sicherheitslage in Europa und die Notwendigkeit einer deutlich größeren militärischen Reserve. „Der deutsche Beitrag zur Bündnisverteidigung erfordert langfristig einen Verteidigungsumfang von insgesamt rund 460.000 Soldatinnen und Soldaten. Ein großer Teil davon, nämlich rund 260.000, muss aus der Reserve aufwachsen können“, sagte Pistorius der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
Zu wenige Soldaten und Reservisten
Personalsorgen der Bundeswehr haben zuletzt zugenommen. Die Zahl der Soldaten war mit Stand Juni sogar unter 180.000 Männer und Frauen gesunken. Es gibt zudem rund 60.000 beorderte – also fest eingebundene – Reservisten.
Die Wehrpflicht war 2011 in Deutschland unter Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) nach 55 Jahren ausgesetzt worden. Das kam einer Abschaffung von Wehr- und Zivildienst gleich, denn gleichzeitig wurden praktisch alle Strukturen für eine Wehrpflicht aufgelöst.
Im Wehrpflichtgesetz ist aber weiter festgelegt, dass die Wehrpflicht für Männer auflebt, wenn der Bundestag den Spannungs- und Verteidigungsfall feststellt, ohne dass es nach 2011 noch konkrete Vorbereitungen für eine solche Situation gab.
Bis 2011 mussten Jahr für Jahr zehntausende junge Männer „zum Bund“. Seit mehr als einem Jahrzehnt ist die Wehrpflicht ausgesetzt. Doch angesichts einer deutlich verschärften Bedrohungslage seit Russlands Angriffskrieg in der Ukraine und Rekrutierungsproblemen bei der Bundeswehr trieb Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) Pläne für einen neuen Wehrdienst voran. Nach Angaben aus Regierungskreisen entscheidet über sie am Mittwoch das Bundeskabinett. Worum es geht:
Muss bald jeder wieder zur Truppe?
Nein. Das Modell von Pistorius setzt auf Freiwilligkeit. Verpflichtend wird aber die Erfassung der junger Männer. Sie müssen zum Erreichen des wehrfähigen Alters, also in der Regel zum 18. Geburtstag, einen Fragebogen beantworten. Er soll Fragen zur Bereitschaft, Dienst an der Waffe zu tun, umfassen sowie zur Einschätzung der eigenen Fitness und zu Qualifikationen.
Auch Frauen in dem Alter bekommen den Fragebogen zugeschickt. Ihnen steht es aber frei, zu antworten oder nicht. Der Zeitaufwand für die Beantwortung des Fragebogens online wird im Gesetzentwurf mit 15 Minuten angegeben.
Was passiert, wenn Männer den Fragebogen nicht ausfüllen?
Dann droht ihnen ein Bußgeld wegen einer Ordnungswidrigkeit. Wie hoch dieses sein soll, steht noch nicht fest.
Warum werden nicht auch Frauen verpflichtet?
Das Grundgesetz beschränkt die Verpflichtung zum Dienst in den Streitkräften in Artikel 12a ausdrücklich auf Männer. Eine solche Ungleichbehandlung erscheint vielen heute nicht mehr zeitgemäß. Für eine Angleichung müsste aber das Grundgesetz geändert werden – ein aufwändiger Prozess. Pistorius wollte dieses heiße Eisen in dieser Legislaturperiode nicht mehr anpacken.
Wie geht es nach der Erfassung weiter?
Nächster Schritt nach der Erfassung ist die Musterung. Bereits vor der Musterung trifft die Bundeswehr eine Auswahl: Sie prüft die zurückgesandten Fragebögen und lädt nur jene Absenderinnen und Absender, die besonders geeignet und motiviert für einen Wehrdienst erscheinen, zur Musterung ein.
Die Auswahl soll laut Verteidigungsministerium nach Qualitätskriterien erfolgen. Die Betroffenen sollen, wenn sie wollen, sechs Monate „Basisausbildung“ bei den Streitkräften machen. Sie können dann freiwillig auf bis zu 23 Monate verlängern.
Warum braucht die Bundeswehr mehr Personal?
Die Stärke der Truppe liegt seit Jahren unter dem Soll. Durch mehr als ein Jahrzehnt ohne Wehrdienst fehlen nicht nur ausreichend Reservisten, sondern auch verlässliche Personaldaten, um diese Zahl im Fall der Fälle schnell zu erreichen. Dies soll der neue Wehrdienst ändern.
Auf wie viele zusätzliche Bewerber hofft Pistorius?
Ziel sind laut Gesetzentwurf zunächst 5000 zusätzliche Rekruten pro Jahr. Dies entspricht den aktuell bereits vorhandenen zusätzlichen Ausbildungskapazitäten bei der Bundeswehr. Die Vorlage sieht aber die „Option“ vor, die Zahl schrittweise zu erhöhen. Bisher leisten pro Jahr rund 10.000 junge Menschen freiwillig Wehrdienst.
Wann soll es losgehen?
Läuft in Bundestag und Bundesrat bei der Verabschiedung des Gesetzes alles nach Plan, könnte der neue Wehrdienst bereits im Frühjahr kommenden Jahres starten. Vorgesehen ist im Gesetzentwurf, dass nur diejenigen zur Abgabe einer Bereitschaftserklärung aufgefordert werden, die nach dem 31. Dezember 2006 geboren wurden.
Wie viel Sold bekommen Wehrdienstleistende?
Die bisher schon freiwillig Wehrdienstleistenden erhalten nach Bundeswehr-Angaben gut 1800 Euro brutto, wenn sie ledig sind. Wer schon Kinder hat oder es bis zum Ober- oder Hauptgefreiten geschafft hat, bekommt ein paar hundert Euro mehr.