Der Künstler Sean Scully hat Fenster für die Landshuter Martinskirche gestaltet – Bayern | ABC-Z
Vor einiger Zeit war der Landshuter Zeitung zu entnehmen, der Maler Wassily Kandinsky habe sich im August 1903 in Landshut aufgehalten. Sehr wahrscheinlich besichtigte er damals auch die Stiftsbasilika St. Martin, ein Wahrzeichen der Stadt. Es liegt nahe, dass er bei dieser Gelegenheit einen Blick in die Altdorferkapelle warf, die ein Seitenschiff der Basilika abrundet. An der Wand dieser Kapelle erinnert ein Gedenkstein an den Landshuter Namensgeber Georg Altdorfer, der von 1477 bis 1495 Bischof des damaligen Bistums Chiemsee war. Als solcher residierte er zwar in Salzburg, er war aber auch auf der Herreninsel anzutreffen, über die sich an Föhntagen ein einzigartiges blaues Himmelsband spannt, das Altdorfer gewiss beglückt haben wird.
Freilich, nicht nur am Chiemsee spielt die Farbe Blau eine herausragende Rolle, sondern auch im Werk Kandinskys und neuerdings sogar in der Altdorferkapelle. Diese besitzt neben einem lebensgroßen Silberkruzifixus und einer Marienplastik vier gotische Maßwerkfenster. Eines davon bekam jetzt als Kontrapunkt zu den drei gerasterten Hauptfenstern eine blaue Verglasung von geradezu magischer Schönheit. Diese Attraktion ist dem Weltkünstler Sean Scully zu verdanken, der die soeben installierten Fenster der Altdorferkapelle gestaltet hat. Als das Erzbischöfliche Ordinariat in München vor wenigen Tagen mitteilte, Landshut besitze damit ein Kunstwerk von internationalem Rang, geschah dies ohne einen Anflug von Übertreibung.
Der 1945 in Dublin geborene Scully gilt in der Fachwelt als Großmeister der Farbfeldmalerei, in der er europäische und amerikanische Bildtraditionen miteinander verbindet. Seine Gemälde mit ihren abstrahierten geometrischen Formen machten ihn weltweit bekannt. Er dozierte unter anderem an der Princeton University in New Jersey, von 2002 bis 2007 wirkte er als Professor an der Akademie der Bildenden Künste in München, heute lebt und arbeitet er in New York, Barcelona und in der Nähe von München.
Vor 16 Jahren trug es sich zu, dass der aus Landshut stammende Kunstmäzen Bernhard Schaub seinen Gast Scully durch die Martinskirche führte. Beeindruckt von den Fenstern der Kirche, bot Scully damals spontan an, einen Entwurf für die künstlerische Gestaltung der Glasfenster in der Altdorferkapelle anzufertigen. Das war ein großes Wort, immerhin hatte Scully schon in verschiedenen europäischen Städten Fenster gestaltet. „Glasfenster, das ist nichts Neues für ihn, er hat darin große Erfahrung“, teilte sein Galerist Walter Storms kürzlich bei einem Besichtigungstermin in der Kapelle mit.
„Dann war wieder Sendepause“, sagte Schaub bei dieser Besichtigung. Vor gut zwei Jahren erneuerte Scully sein Angebot, die Kapelle ließ ihn offensichtlich nicht los. Wie Schaub erzählte, habe Scully schon beim ersten Blick auf das Fenster neben dem Eingang spontan gesagt: „Das muss eine blaue Farbe bekommen.“ Als sich schließlich auch Stiftspropst Franz Joseph Baur und die Kirchenverwaltung aufgeschlossen zeigten, durfte sich die Altdorferkapelle auf eine veritable Aufwertung gefasst machen. Bis dato diente sie als Grablege der Landshuter Stiftspröpste und war meistens zugesperrt.
Die Martinskirche ist ein grandioses Bauwerk des Mittelalters, weshalb Scullys Entwürfe als zeitgenössische Interpretation mittelalterlicher Fenster zu verstehen sind. Die drei großen Fenster der Kapelle weisen eine abstrakte Bildstruktur auf, die einerseits die Kleinteiligkeit gotischer Fenster aufgreift, andererseits die Glasfläche als Gesamtbild betrachtet. Angefertigt wurden diese Kunstwerke von der renommierten Mayer’schen Hofkunstanstalt in München.
Das schmale Fenster am Eingang setzt nun einen berührenden, wenn auch gedämpften Kontrapunkt zu jenem Himmelsblau, das über den Chiemgauer Bergen prangt. Was wiederum den Kunstreferenten des Ordinariats München und Freising, Alexander Heisig, beim Ortstermin zu dem Hinweis veranlasste, Blau sei eine Leitfarbe sondergleichen. Im Mittelalter sei blaues Glas sehr kostbar gewesen. Wohl auch, weil diese Farbe viele Menschen extrem berühre. Womit wir wieder bei Kandinsky angelangt wären. „Je tiefer das Blau wird, desto tiefer ruft es den Menschen in das Unendliche“, schrieb dieser. Er und sein Kompagnon Franz Marc hatten ihr Künstlerprojekt wohl nicht ohne Grund „Der Blaue Reiter“ genannt.
Scully hat für seine Entwürfe kein Geld verlangt, aber trotzdem verursacht ein solches Projekt hohe Kosten. Mit 160 000 Euro schlagen Umsetzung und Einbau der Fenster zu Buche. Den Hauptanteil von 100 000 Euro tragen dabei private Stifter, in diesem Falle die Familien Schaub, Laue und Dräxlmaier. Der Verein Ausstellungshaus für Christliche Kunst übernimmt 40 000 Euro, die Kirchenstiftung St. Martin gut 20 000 Euro.
Die Fenster sind ein Paradebeispiel bürgerschaftlichen Engagements, wie man es im Bereich Kirchenkunst kaum mehr für möglich gehalten hätte. Dass Gönner derlei Projekte finanzieren, „das war im Mittelalter nicht anders“, sagte Heisig. Auch dafür liefert die Altdorferkapelle einen schlagenden Beleg. Der dort im 17. Jahrhundert aufgestellte lebensgroße Silberkruzifixus mitsamt einer Mater Dolorosa hatte eine Menge Geld gekostet, es handelt sich dabei um eine in Süddeutschland einzigartige Plastik aus echtem Silber. Die Preziosen mussten jedoch während der napoleonischen Kriege abgeliefert werden. Kurz bevor die Figuren in München eingeschmolzen wurden, gelang es Landshuter Bürgern, den Korpus für teures Geld auszulösen. Bei der Marienfigur gelang das nicht mehr, weshalb sie die Landshuter Bürgerschaft kurzerhand beim Bildhauer Christian Jorhan nachschnitzen ließ.
220 Jahre später werfen die neuen Fenster nun ein außergewöhnliches Farblicht auf das silberne Kruzifix und auf Jordans in Silber gefasste Maria, ein Anblick, der wohl auch Kandinsky fasziniert hätte. Das Lichtspiel in der Kapelle verschaffe ein sinnliches und berührendes Erlebnis, wie die Stifter und Sachverständigen beim Besichtigungstermin unisono bestätigten.
Am 29. September werden die Fenster eingeweiht (11 Uhr) und in Anwesenheit von Sean Scully der Öffentlichkeit übergeben. Die Stadt Landshut begleitet die Einweihung mit einer Scully-Schau in der Großen Rathausgalerie sowie mit einer Gesprächsreihe.