Kultur

Der Hausbesuch: Malen nach Stimmen | ABC-Z

Er hört Stimmen. Die nutzt er, um sich sagen zu lassen, welche Farben er in seinen Bildern verwenden kann.

Draußen: Schmuddelwetter. Hektik, Sirenen, zarte Bäume am Straßenrand. An einem Balkon eine Regenbogenflagge.

Drinnen: Neben dem Bett: ein Traumfänger. Über dem Schreibtisch reihen sich Pinsel auf. Überall sind bunte Farbspritzer, nicht nur auf unzähligen Leinwänden, auch auf dem Fußboden haften sie. Der sei glücklicherweise mit Ochsenblut gestrichen, sodass die Farbe wieder abgehe. Ein Atelier könne er sich nicht leisten, also wohnt er in einem. Mit Blick auf die bekleckerte Couch sagt Maximilian zum Quadrat: „Die Farbe müsste trocken sein.“

Groß werden: Maximilian zum Quadrat, wie der Schriftsteller und Künstler sich mit Künstlernamen nennt, wurde 1988 in Marburg geboren. „Ich habe dort aber nur sechs Wochen gelebt.“ Seine Mutter wollte ihn damals in der Nähe ihrer Familie zur Welt bringen. „Meine Eltern haben schon in Berlin gewohnt.“ Dort lebte er dann sieben Jahre, unweit seiner jetzigen Wohnung in Neukölln. „Berlin ist meine Heimat.“ Als Kind habe er gern in kaputten Autos gespielt, erzählt er. „Hier waren illegale Autorennen, und die kaputten Karren wurden auf dem Spielplatz abgestellt.“

Oldenburg: Um dem Großstadtrummel zu entkommen, zog die Familie nach Oldenburg. Als er noch nicht lesen konnte, schickten seine Eltern und die seiner Freunde Briefe für die Kinder zwischen Oldenburg und Berlin hin und her. „Ich habe heute noch viele Kindergartenfreunde, ich habe den Kontakt gehalten.“ Später lösten SMS und Whatsapp-Nachrichten die Briefe ab.

Bunte Stifte auf bekleckertem Boden: Kunst zum Quadrat



Foto:
Miriam Klingl

Bauchschmerzen: „Die Schulzeit war eine schwere Zeit“, sagt Maximilian zum Quadrat. In seiner Grundschulklasse seien die Kinder, „die nicht so leistungsstark“ waren, an Einzelplätze in die Mitte gesetzt worden, erzählt er. Für ihn war das unangenehm: „Ich hatte damals viele Albträume und habe auch eine Klasse wiederholt.“ Er sei mit Bauchschmerzen in die Schule gekommen. Ob er die und auch die Albträume mit dem Unterrichtsstil der Lehrerin in Verbindung bringt? „Ich würde es meinen.“

Veränderungen: „In der neuen Klasse hat sich alles schlagartig verändert.“ Die Albträume und Bauchschmerzen seien verschwunden. „Ich bin ein wirklich guter Schüler geworden, wurde später auch Klassen- und auch Schulsprecher.“ Heute sagt Maximilian zum Quadrat: „Rechtschreibung ist immer noch nicht mein Allerliebstes, aber ich habe es auch zum Teil meiner Kunst deklariert.“ Die trägt ihn heute durchs Leben.

wochentaz

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Mexiko: Nach der zehnten Klasse machte Maximilian zum Quadrat ein Jahr einen Schüleraustausch in Oaxaca. Das sei prägend gewesen, sagt er. In der Colonia, in der er lebte, gab es eine Fußballmannschaft, alle waren untereinander verbunden. Dort habe er viel Nähe, „eine ganz andere Warmherzigkeit“ erfahren als in Deutschland. „Ich bin privilegiert, dass ich das erleben durfte.“

Literatur: Weil die Schule in Mexiko lange ausgefallen ist, hat er viel gelesen: Bücher, die er aus Deutschland mitgebracht hatte. Außerdem begann er, eigene Texte zu schreiben. Ihn faszinierte der Surrealismus, das „Fhantastische in der lateinamerikanischen Literatur“.

Aufruhr: „Es war dort auch mit Höhen und Tiefen verbunden.“ Weil damals Schulen zum großen Teil die Mittel gestrichen worden waren, gab es 2006/07 „krasse Demonstrationen“. Für ihn habe sich das „bürgerkriegsähnlich“ angefühlt. „Es gab Ausschreitungen, die mit Waffengewalt niedergeschlagen wurden.“

Stilleben mit Zimmerpflanze



Foto:
Miriam Klingl

Rückkehr: Das Wiedereinfinden in Deutschland fiel ihm schwer. „Es war eine sehr große Umstellung.“ Er besuchte nun die zwölfte Klasse, machte sein Fachabi, begann soziale Arbeit zu studieren. Eigentlich hatte Maximilian zum Quadrat in Mexiko beschlossen, Autor zu werden. „Mich hat soziale Arbeit aber von der gesellschaftlichen Relevanz her interessiert.“ Themen, die ihn auch im Schreiben beschäftigten.

Studium: Während des Stu­diums war er in den Niederlanden und eine Zeit in Nicaragua im Naturkatastrophenschutz. „Ich habe gemerkt, dass das mit der Entwicklungszusammen­arbeit für mich nichts ist, das war Postkolonialismus.“ Maximilian zum Quadrat ging darum auf Reisen, verkaufte mit zwei Frauen aus Argentinien Kunst.

Andere Welten: „Als ich wieder in Deutschland war, musste ich zum zweiten Mal Realitäten miteinander vereinbaren.“ Die, die er im Ausland kennengelernt hatte, und die deutsche. „Das hat mich in eine Krise gestürzt.“

Krise: „Drei Jahre hat das angedauert.“ Bis er „einen Weg in die Therapie“ fand. Eine Freundin, die er in Marburg besuchte, ging dort mit ihm in eine psychiatrische Klinik. „Ich habe mich dort mit einem Psychiater unterhalten.“ Doch die Atmosphäre in der Psychiatrie schreckte ihn ab, er wollte nicht bleiben. Heute ist er froh, dass er in dieser Zeit ein gutes soziales Netz hatte und deshalb nicht wohnungslos geworden sei.

Andere Situation: Statt von Erkrankung spricht er lieber von einer „anderen Situation“, in der er sich befand, es sei eine intensive Zeit gewesen, mit vielen Kunstveranstaltungen, wenig Schlaf. „Ich habe Alkohol getrunken, um einzuschlafen. Ich habe damals gedacht, dass ich ein Projekt in einer anderen Welt bin.“ Maximilian zum Quadrat kannte schon andere Menschen, die eine Psychose erlebt hatten. Ihm wurde klar, dass er Ähnliches erlebte. „Es kam mir alles vor wie in einem Theaterstück.“

Therapie: Durch einen Freund fand er einen Psychiater, bei dem er das Gefühl hatte, dass dieser ihm wirklich helfen könne. „Ich war vorher bei mehreren Psychiatern und bin gegangen, weil ich mich nicht verstanden gefühlt habe.“ In einer Psychiatrie ist er nie als Patient gewesen.

Stimmen: Heute hört er trotz Medikamenten manchmal Stimmen. Es sei nicht so, dass sie ihm etwas vorschreiben würden, sagt er. „Sie werden auch nicht sauer oder böse, wenn ich etwas nicht mache.“ Vielmehr sind sie eine wichtige Inspiration für ihn, die er als Künstler nicht missen mag. Er hat gelernt, sie zu kontrollieren. „Wenn ich fokussiert bin, höre ich die Stimmen nicht. Aber ich kann sie hören, wenn ich mich vor die Leinwand setze.“

Dialog: Dann, vor der Leinwand, beginnen seine Gedanken mit den Stimmen einen „Dialog“. „Ich mache Malen nach Stimmen, statt Malen nach Zahlen.“ Die Stimmen empfehlen ihm Farben, die er benutzen könnte. „Am Ende habe ich das fertige Werk und ich sehe die Ästhetik.“ Wenn er die Bilder anschaut, verraten sie ihm auch etwas über sich selbst. Schließlich kämen sie aus seinem Inneren, sagt er.

Markt: Im Flur stapeln sich in einem Regal Bilder, der Künstler malt viel – und schnell. Einige Bilder verkauft er in einer Galerie für queere Künstler:innen. Er habe auch schon einige auf der Straße verkauft. Manche seien eheroutsider-art“. Der Begriff, der oft für Bilder von Menschen mit Krisenerfahrungen benutzt wird, bezeichnet für ihn Kunst, „die nicht für den Kunstmarkt gemacht“ ist.

Schreiben: Neben der Malerei schreibt er viel. Manchmal hält er auch Lesungen bei organisierten Abendessen. Und er verschickt Texte auf Nachfrage per Mail. „Ich bin E-Mail-Künstler.“ Auch einen Roman hat er bereits vollendet, für den sucht er gerade einen Verlag. Und er schreibt Gedichte, die ihm seine Stimmen diktieren. In einem, das er besonders mag, tritt „der Chaos“ auf, der „im Löwen Zirkus brüllte: ‚Gut gebrüllt Löwe!‘“ Bevor es heißt: „Zwei Fliegen durchflogen vollführend Wunder den Rau.m und aus war der Trau.m?!“

Was er sich für die Zukunft wünscht? Eigentlich nur, dass sein Leben „so verrückt bleibt“, sagt Maximilian zum Quadrat. „Ich sehe das Wort als etwas Positives und lasse mir das nicht nehmen.“

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