Der Chemie-Nobelpreis 2025 geht an drei Materialforscher – Wissen | ABC-Z

Metallorganische Gerüstverbindungen? Klingt abstrakt? Könne aber die Welt verändern, befand die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften am Mittwochmittag in Stockholm und erklärte, der diesjährigen Chemie–Nobelpreis werde den drei Chemikern Susumu Kitagawa, Richard Robson und Omar M. Yaghi in gleichen Teilen zuerkannt. Sie hätten „der Chemie neue Regeln gegeben“, hieß es in der Begründung.
Die drei Forscher haben molekulare Gerüste geschaffen, mit – jedenfalls für diese Dimensionen – großen Hohlräumen, durch die Gase und andere Chemikalien strömen können. Diese metallorganischen Gerüstverbindungen (kurz: MOF, nach dem englischen Begriff metal organic frameworks) könnten genutzt werden, um Wasser aus Wüstenluft zu gewinnen, Kohlendioxid abzuscheiden, giftige Substanzen wie die Ewigkeitschemikalien PFAS aus der Umwelt einzusammeln oder Wasserstoff zu speichern. Das sagte Heiner Linke, der Vorsitzende des Nobelkomitees für Chemie, während der Bekanntgabe.
Man könne sich diese Gerüste vorstellen wie Hermines Handtasche, erklärte Olof Ramström, Chemiker und Mitglied des Nobelkomitees. Harry Potters Weggefährtin besitzt in den Romanen eine äußerlich kleine Tasche, in die sich dank Magie der Inhalt von ganzen Warenhäusern ablegen lässt. So extrem variabel sind die metallorganischen Gerüste zwar nicht, doch lassen sie sich relativ einfach verändern und damit auch ihre Eigenschaften, betonte Ramström.
Die nanoporösen Verbindungen bestehen aus Metallen wie Kupfer oder Zink, die durch lange kohlenstoffhaltige Moleküle, sogenannte Linker, miteinander verknüpft sind. Sie bilden zusammen ein Gerüst mit leeren Poren, ähnlich einem Küchenschwamm. Mit ihren Nanoporen können die Verbindungen spezifisch Substanzen einfangen und speichern. Die metallorganischen Gerüste können aber auch wie Katalysatoren chemische Reaktionen antreiben oder elektrischen Strom leiten. „Metallorganische Gerüstverbindungen haben ein enormes Potenzial und eröffnen bisher ungeahnte Möglichkeiten für maßgeschneiderte Materialien mit neuen Funktionen“, erklärte Heiner Linke.
Ohne es damals zu ahnen, kam Richard Robson (geboren 1937 in Glusburn, England) den MOF bereits in den 1970er-Jahren auf die Spur. Er hatte Holzmodelle aus Kugeln und Stäben anfertigen lassen, um seinen Studenten an der University of Melbourne den Aufbau der Materie zu veranschaulichen. Fast zwei Jahrzehnte später inspirierte ihn die in Holz nachgebaute Kristallstruktur von Diamanten dazu, ein Molekül zu synthetisieren, das aus Kupferatomen und Linkermolekülen bestand. Wie sich zeigte, entstand dabei nicht ein kompakter Kristall wie im Falle der Diamanten, sondern ein Gerüst mit großen Hohlräumen. Über die Eigenschaften der neuen Verbindung konnte er 1989 in seinem Fachaufsatz nur spekulieren.
Bereits im folgenden Jahr präsentierte Robson eine Reihe weiterer MOF und konnte zeigen, dass sie je nach Konstruktion unterschiedliche Gast-Moleküle aufnehmen konnten. Allerdings waren seine Konstrukte instabil und galten daher als technisch nutzlos. Für Susumu Kitagawa (geboren 1951 in Kyoto) und Omar Yaghi (geboren 1965 in Amman, Jordanien) waren Robsons Arbeiten dennoch inspirierend. Zwischen 1992 und 2003 machten sie, Kitagawa an der Kindai-Universität in Japan und Yaghi an der Arizona State University, USA, unabhängig voneinander wegweisendes Entdeckungen.
Kitagawa war gefesselt von der Idee des molekularen Baukastens, die Robson aufgebracht hatte. Es sollte jedoch bis 1997 dauern, bis er zusammen mit seiner Arbeitsgruppe die Bauanleitung für ein stabiles MOF präsentieren konnte, das Gase wie Methan, Stickstoff und Sauerstoff aufnehmen und wieder freisetzen konnte. Die Fachwelt war seinerzeit trotzdem wenig beeindruckt. Damals sorgten gerade sogenannte Zeolithe für Furore, poröse Materialien, die Flüssigkeiten und Gase speichern können, und das weit besser und mit weniger Aufwand als Kitagawas Konstruktionen. In der Folgezeit bemühte er sich daher, die Besonderheit der MOF herauszuarbeiten: variable Eigenschaften durch variable Konstruktion der Speichermoleküle. Er schaffte es sogar, flexible Gerüste zu konstruieren, die ihre Gestalt verändern, wenn sie befüllt oder geleert werden.
Omar Yaghi veröffentlichte 1995 im Wissenschaftsjournal Nature seinen Bauplan für molekulare Netze, an deren Knotenpunkten Kobalt oder Kupferatome saßen, stabil bis zu einer Temperatur von 350 Grad Celsius. In diesem Aufsatz prägte Yaghi auch den Begriff „metallorganische Gerüstverbindung“. Den eigentlichen Durchbruch schaffte der Chemiker allerdings vier Jahre später an der University of Michigan, als er „MOF-5“ präsentierte – „der Klassiker unter diesen Materialien“, wie das Nobelkomitee schreibt.
MOF-5 gilt bis heute als bestuntersuchte Verbindung dieser neuartigen Klasse der Chemie. „Ein paar Gramm MOF-5 enthalten eine Fläche so groß wie ein Fußballfeld“, schreibt das Nobelkomitee in seinen Erläuterungen zur Preisvergabe, darin lasse sich weitaus mehr Gas speichern als in Zeolith. Konstruktionsbedingt verfügt Yaghis Konstruktion sogar über Poren mit zwei unterschiedlichen Größen. Bis zu 90 Prozent eines MOF besteht aus leerem Raum, in den Gast-Moleküle hineinwandern können und wieder heraus.
In den folgenden Jahren entwickelte Yaghi immer raffinierte Designs mit ausgefeilteren Funktionen und Eigenschaften und mittlerweile arbeiten viele Arbeitsgruppen und Unternehmen an und mit metallorganischen Gerüsten. Die Verbindung MOF-801 hat Yaghi mit seiner Arbeitsgruppe bereits in der Wüste von Arizona getestet: In den Nanoporen des Materials kann sich nachts Wasser aus der Luft niederschlagen. Tagsüber sorgt die Sonnenstrahlung dafür, dass das Wasser wieder verdunstet und mit einer Anlage gesammelt werden kann.
Yaghi wurde als Sohn palästinensischer Flüchtlinge in Jordanien geboren. Seine Eltern hätten kaum lesen und schreiben können, sagte er in einem Interview, das auf der Nobel-Webseite veröffentlicht wurde. Er sei erstaunt und erfreut über die Auszeichnung, „die Wissenschaft ist die größte ausgleichende Kraft der Welt.“ Er sei zehn Jahre alt gewesen, als er ein Buch über Moleküle in der Bibliothek fand, es war der Beginn einer lebenslangen Liebe zur Chemie, sagte er.
Kurz nach der Bekanntgabe erreichte das Nobelkomitee Susumu Kitagawa telefonisch für ein kurzes Gespräch mit Journalistinnen und Journalisten. Er sei „zutiefst geehrt und erfreut“, den Preis zu erhalten. Er hoffe, es gelinge mit den MOF, wichtige Elemente wie Kohlenstoff und Sauerstoff aus der Luft zu extrahieren und sie mit grüner Energie in nützliche Materialien umzuwandeln. „Das ist mein Traum.“
Für dieses Gebiet sei es genau das richtige Trio, das ausgezeichnet werde, sagte der deutsche Chemie-Nobelpreisträger von 2007, Gerhard Ertl, Emeritus vom Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft. „Einige Fachleute glauben, dass Metall-organische Gerüstverbindungen ein so enormes Potenzial haben, dass sie das Material des einundzwanzigsten Jahrhunderts werden“, erklärte das Komitee. „Die Zeit wird es zeigen.“
Die Nobelpreise sind in diesem Jahr erneut mit elf Millionen schwedischen Kronen pro Kategorie dotiert –umgerechnet entspricht das rund einer Million Euro. Überreicht werden sie traditionell am 10. Dezember, dem Todestag von Alfred Nobel.





















