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Der berühmteste Taco der Welt | ABC-Z

Ganze 80 Minuten warten, dann liegt er auf dem pinkfarbenen Plastikteller: der wohl berühmteste Taco der Welt. Eine dünne Maistortilla, ein Stück Fleisch, Salz und ein paar Spritzer Limettensaft, dazu zwei scharfe Soßen zur Auswahl. Mehr nicht. Die Einfachheit macht diesen Taco aus – und hat die Aufmerksamkeit der Gastroführer geweckt. Der Michelin hat in seinem kürzlich veröffentlichten Mexiko-Führer 18 Restaurants mit einem oder zwei Sternen ausgezeichnet, 17 Spitzen­lokale mit Haute Cuisine, in denen die Oberschicht verkehrt. Und El Califa de León, eine kleine Taco-Bude im Arbeiterviertel von San Rafael in Mexiko-Stadt.

„Dünn geschnittenes Rinderfleisch wird fachmännisch auf Bestellung gebraten. Gleichzeitig bereitet daneben ein zweiter Koch die ausgezeichneten Maistortillas zu. Die daraus resultierende Kombination ist elementar und pur“, schreiben die Kritiker des Restaurantführers begeistert. Dem Califa de León verleihen sie deshalb in der Kategorie der erschwinglichen Spitzen­küche einen Stern. Seither steht die Welt kopf in der kleinen Taquería. Die Kritiker des Michelin-Führers haben sich zum ersten Mal an Mexiko herangewagt. Dabei wurde die traditionelle mexi­kanische Küche 2010 von der UNESCO zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit erklärt. Viele der populären Speisen haben eine lange Geschichte. Den Taco gab es schon vor der Ankunft der Spanier, wofür es anthropologische Belege gibt. Die Füllung der Maistaschen variierte nach Region und Angebot an Nahrungsmitteln. Ein spanischer Chronist dokumentierte das erste Taco-Festmahl der Eroberer, an dem auch der Konquistador und spätere Generalgouverneur von Neuspanien, Hernán Cortés, und seine Kapitäne teilnahmen.

11.000 Taco-Restaurants und -Straßenstände allein in Mexiko-Stadt

Heute ist der Taco eine der populärsten Speisen in Mexiko. Allein in Mexiko-Stadt gibt es rund 11.000 Restaurants, ­Buden oder Straßenstände, die Tacos anbieten. An diesen „Puestos de Tacos“ durchmischt sich die Bevölkerung, treffen sich Geschäftsleute, Arbeiter, Beamte und Taxifahrer auf der Suche nach einem ­raschen und herzhaften Imbiss. Man kommt miteinander ins Gespräch. So auch vor dem Califa de León. Dort staut sich auf dem Gehsteig vor dem Lokal zwischen einem Kleiderladen mit gefälschten Markenartikeln und einer Billig-Apotheke von vormittags bis spätabends eine Menschenschlange. Am Montag um 15 Uhr sind es rund 50 Menschen, die sich in die gleißende Sonne gestellt haben. Auf der Straße halten Autos an, darunter auch ein paar Luxusmodelle. Ein Wagen aus einem ­benachbarten Bundesstaat fährt vor. Der Besitzer stellt sich in die Schlange, während sein Chauffeur wartet. Touristen gesellen sich dazu. Alle wollen vom Sterne-Taco kosten.

Das Warten mit leerem Magen verbrüdert. In der Reihe steht Luis, ein pensionierter Professor, mit seiner Frau. Auch sie sind zum ersten Mal hier, wie so viele. Das Gespräch streift die Wahlen in Mexiko und in den Vereinigten Staaten. Luis klagt über die Polarisierung der Politik, die immer mehr auch in Mexiko spürbar sei, den Mangel an gemäßigten Alternativen. Je näher der Wartende dem Ziel kommt, desto kulinarischer wird das Gespräch. Immer wieder die Frage: Kann ein Taco wirklich so gut sein? Er sei ja eigentlich kein Taco-Fan, sagt Luis. Doch um diese Taquería sei ein solcher Wirbel entstanden, dass sie ­beschlossen hätten, sie kennenzulernen. „Wann isst man schon für fünf Dollar in einem Restaurant mit Michelin-Stern?“

Ein Taco besteht aus drei Teilen: der Tortilla, der Füllung und der Salsa

Drinnen herrscht Hochbetrieb. Hinter dem Grill steht Jacinto Ávila, einer der Grillmeister. Unaufhörlich brät er auf einer großen Platte das Fleisch. Neben ihm dreht eine Köchin den frischen Maisteig durch ihre Tortilla-Presse und legt die Maisfladen neben das Fleisch auf die Platte. Ein Taco bestehe aus drei Teilen, erklärt Ávila: der Tortilla, der Füllung und der Salsa. „Wir konzentrieren uns darauf, diese drei Dinge richtig zu machen.“ Ávila spricht Englisch, wenn er einen Ausländer ausmacht, und lässt seine Augen dabei nicht von der Grillplatte. Sein Handwerk hat er in Los Angeles gelernt, bevor er vor zehn Jahren nach Mexiko-Stadt zurückkehrte und in der Taquería El Califa de León zu arbeiten begann. Was seit der Auszeichnung passiere, sei verrückt, sagt der „Taquero“, der von elf Uhr vormittags bis zwei Uhr morgens am Grill steht. Er schaut kurz auf die endlose Warteschlange. Dann widmet er sich wieder der Bestellung. „Tortilla, Fleisch, Tortilla, Fleisch“, sagt er, während er die Tacos auf einen Teller schleudert. Dann ruft er den Namen des Kunden aus.

Im Lokal gibt es kaum Platz. Die Kunden stehen auf dem Gehsteig oder an der kleinen Theke und verschlingen die Tacos von Plastiktellern. Vier Sorten bietet der Califa de León an, eine mit Schweinefleisch, drei mit Rindfleisch, von der Rippe, der Lende oder der Vorderhaxe. Das Flaggschiff ist der Gaonera-Taco mit Rinderfilet. „Außergewöhnlich“, heißt es im Michelin-Führer.

Der Stern hat das Lokal über Nacht in eine Goldgrube verwandelt. Das hätte sich Juan Hernández González nie erträumt. Der Metzger war es, der El Califa de León im Jahr 1968 eröffnete, benannt nach einem Stierkämpfer, mit dem er befreundet war. Heute gehört das Lokal seinem Sohn Mario Hernández Alonso. Die Speisekarte ist immer noch dieselbe wie vor 50 Jahren. Ein Geheimnis gibt es laut Hernández nicht. Es gehe um Liebe und Fleiß, hochwertiges Fleisch und frische Zutaten. Es sei eine Frage der Einfachheit.

Und ist er denn nun wirklich so gut? Verdient El Califa de León einen Michelin-Stern? Bei der Kundschaft scheiden sich die Geister, ebenso in der Gastro­szene. Einige sind begeistert, andere enttäuscht. Hier gibt es keine Tacos mit üppiger Füllung, Gewürzen und Soße. Sie sind auf das Minimum reduziert – oder auf das Maximum, je nach Sichtweise und Geschmack. Simpel sind sie und ungeschminkt, um nicht zu sagen ehrlich. Und gut, ob mit oder ohne Stern. Doch der Stern verleiht dem einfachen Lokal einen unverhofften Glamour und dem Taco eine eigene Würze. Und nach anderthalb Stunden warten schmeckt ohnehin alles noch ein bisschen besser.

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