„Der Alte“ Rolf Schimpf wird 100: Sein Leben und Leiden | ABC-Z

Im Oktober 2019 sitzt Rolf Schimpf in der Harlachinger Einkehr und freut sich auf Bier und Gans. Er ist 95 – und die Menschen drehen sich nach ihm um. Das ist doch “Der Alte”. Respekt: Der hat sich prima gehalten! “Die 100 schaffe ich noch”, sagt er. Die Wirtin und das Personal begrüßen ihren Gast respektvoll-herzlich. Für sie ist er der elegante Herr, der nichts auf seinen großen Namen gibt, der beim Trinkgeld nicht knausert.
Bei Bier und Gans erzählt Rolf Schimpf
“Hier, Herr Schimpf. Ein Helles. Zum Wohlsein.” Aah! Großer Schluck. Rolf wischt mit dem Handrücken übers Bärtchen. “Jaja”, sagt er. “So mag ich’s.” “Rolf hast du eine schöne Kindheit gehabt?” “Meine Kindheit? Ja, die war sehr schön. Schreibst du mit?” “Ja, gern.” So erzählt Rolf Schimpf – während er liebevoll und mit chirurgischer Präzision am Ganserl arbeitet – von einer Zeit, die 90 Jahre zurückliegt.
© Barbara Volkmer
von Barbara Volkmer
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Und so wird er in den kommenden Jahren – mal stockend, mal im Stakkato, mal fast verstummend – sein Leben Revue passieren lassen: von der glücklichen Kindheit bis zu den Tagen im hohen Alter, die “man keinem Feind wünscht”. “Schreib’ es auf!
Kindheit.
“Wir lebten in einer riesigen Villa in Berlin. Es gab Kindermädchen und einen Chauffeur.” Eine behütete Kindheit. Manchmal war die Welt zu Gast – Damen in raschelnden Kleidern und Herren mit Zigarren und Anzügen. Mal kam auch der berühmte schwitzende Herr Göring – das war der dicke Chef vom Papa. Super-Inflation? Arbeitslosigkeit? Hitler?
Die Nazis. Der Krieg.
Davon bekamen Rolf und seine Geschwister nichts mit. “Ich habe damals nicht gewusst, dass der Papa der Chef vom Forschungsamt war. Und dann hat ihn die Aasbande kalt gemacht. 1935 war das.”
Die Nazis, der Krieg.
“Eines Tages kam mein Vater nicht nach Hause. Die Mutter hat geweint. Das kannte ich nicht: dass die Mama weinte. Am nächsten Morgen klingelte das Telefon, die Tante Hanni ist rangegangen. Sie hat nur zugehört. Hat ,Danke’ gesagt und aufgehängt. ,Kinder, lasst uns mal allein. Ich muss mit Eurer Mutter reden.’ Wir sind auf unsere Zimmer. Durch alle verschlossenen Türen haben wir gehört, wie die Mama geschrien hat. Später hieß es: Der Papa ist unter mysteriösen Umständen gestorben. Ich habe gar nichts verstanden.”
Rolfs Vater war bei den Nazis zwischen die Fronten geraten
Rolfs Vater war bei den Nazis zwischen die Fronten geraten. Er leitete zwar das Forschungsamt – das war die effizienteste Spionage-Einrichtung des Landes; den Herren entging kein wichtiges Telefonat, das zwischen Rügen und Reichenhall geführt wurde. Aber Schimpf war mehr und mehr auf sich gestellt. Die Nazis mochten den schwäbischen Querkopf nicht.
1935 starb sein Vater – aber wie?
Am 11. April 1935 hieß es, er sei bei einem Verkehrsunfall in der Nähe von Breslau tödlich verunglückt. Dann kursierten immer neue Gerüchte. Mal war er das Opfer eines Verkehrsunfalls in Polen, mal war er in Deutschland verunglückt. Mal soll er sich selbst erschossen haben.
Mal wurde neben ihm die Leiche einer Frau entdeckt, mal nicht. Schimpf lag aber mitten im Berliner Grunewald. Er hatte eine Kugel im Kopf. Die Leiche wurde schnell verbrannt, es gab eine verlogene Ehrenfeier – das war’s.
Seine Mutter musste die drei Kinder alleine durchbringen
Nun musste die Mutter ihre drei Kinder allein durchbringen. Rolf schaffte das Abi und meldete sich freiwillig zur Artillerie – dann konnten sie ihn wenigstens nicht zur Waffen-SS einziehen. Bei Nikopol erwischte es ihn.
Aus dem Lazarett schrieb Rolf Schimpf an seine Mutter: “Es gab diesen Rumms, und der Iwan hatte uns eins vorn Latz geknallt. Ich flog gleich gegen die hintere Eisenwand und habe mir ordentlich den Schädel angehaut, so dass ich den Schlag im Nacken kaum bemerkte.”
Auf einem Ohr hört er nichts mehr
Auf einem Ohr würde er zeitlebens kaum noch etwas hören. Das konnte er später immer gut kaschieren. Die Schauspieler sprachen ihn von der “gesunden” Seite an –so verpasste er nie ein Stichwort. Wenn seine Frau Ille ihn im Getümmel einer Party verlor, bellte sie wie ein Köter – das hörte Rolf immer.
Ein Schuss ins Bein – aus Versehen
Zurück in den Weltkrieg – der war für Schimpf noch nicht ausgestanden. Er geriet bei den Franzosen in Gefangenschaft. Da schoss ihm ein Jungspund aus Versehen so ins Bein, dass man fast amputiert hätte. “Das war kurios. Der Russe wollte mich um einen Kopf kürzer machen. Der Franzos’ hatte es auf meinen Haxn abgesehen. Und das Penicillin vom Ami hat mich gerettet.”
Der erste Job nach dem Krieg?
Wirtschaftswunder?
Erster Job nach dem Krieg: eine Lehre beim Sauerkraut-Hengstenberg. Zweiter Job: klitzekleine Rollen auf dem Theater in Stuttgart. Die Mutter sagte: “Schauspieler sind Hungerleider.” Das juckte Rolf nicht – er blieb bei der Schauspielerei. Alles hat er gemacht: den jungen Liebhaber. Den Tölpel vom Dienst. Biedermann. Brandstifter. Urlaubsvertretung vom Hamlet. Jedermann und niemand. In den Sechzigern ein bisschen Fernsehen.
So traf er die große Lebensliebe
Einmal hat er sich in die falsche Frau verknallt – sie war Sängerin, mit ihr zeugte er einen Sohn – aber dann war’s das auch mit der Liebe. In Hamburg Altona fuhr ihn Ilse Zielstorff nächtens fast über den Haufen. Erschrocken stieg sie aus dem Wagen, er stellte sich vor, sagte, es sei ja nichts passiert. Und dann geschah es: Sie verliebten sich fürs Leben.

© Barbara Volkmer
von Barbara Volkmer
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“Da überfahr’ ich schon mal einen netten Herrn – und dann ist der auch noch ‘n Kollege.” “Wie meinen Sie das?” “Ich habe Sie doch richtig verstanden: Sie sind Schauspieler?” “Ja, aber. . .” “Jestatten, wenn ick mia vorstelle. Ille Zielstorff, jeborene Zielstorff. Beruf: Schauspielerin. Fach: Blondet Dummchen.” “Äh.” “Ja und? Sie?” “Ja! Vazeihung! Pardon! Bitte um Nachsicht! Also, jestatten: Schimpf, Rolf. Jeborener Schimpf. Ledig, wenn’t jenehm is. Beruf Schauspieler. Fach: Zweete Reihe. Aber, janz entre nous: aufstrebendet Talent.” Mehr brauchte es nicht. Sie waren’s.
Dann kam der Erfolg
Später Ruhm.
Rolf und Ille Schimpf wurden 60 und waren froh wie die Zeiserl. Zwar ging ihnen immer wieder das Geld aus – aber sie genossen sich und ihr Münchner Leben. Bis der Erfolgs-Produzent Helmut Ringelmann den Rolf Schimpf “entdeckte” und schließlich zum “Alten” machte. 222 Folgen. “Der Alte” fegte am Freitagabend die Gassen in Gesamt-Deutschland leer.
In dieser Zeit gewannen die Wahl zum “Wort des Jahres”: Tschernobyl. Aids/Kondom. Gesundheitsreform. Reisefreiheit. Die neuen Bundesländer. Besserwessi. Politikverdrossenheit. Sozialabbau. Superwahljahr. Multimedia. Sparpaket. Reformstau. Rot-Grün. Millennium. Schwarzgeldaffäre. Der 11. September. Teuro. Das alte Europa. Hartz IV. Bundeskanzlerin. Fanmeile.

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von Barbara Volkmer
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Und mittendrin: der unverwüstliche Hauptkriminalkommissar Leo Kress. Was für ein Glück!
2024.
Ein düsterer finaler Akt. Bei Ille wird Demenz diagnostiziert. Die Schimpfs ziehen 2010 ins elegante Augustinum um. Residieren in einem Penthouse, aber Ille verliert sich immer mehr. Als sie 2015 stirbt, ruft Rolf bei seiner Freundin Barbara Volkmer an und sagt: “Es war eine Erlösung. Ich habe das Fenster geöffnet, und ihre Seele ist hinausgeflogen.”

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Dann – nach der furchtbaren Isolation wegen Corona – der nächste Schlag: Rolf Schimpf muss Ende 2023 in ein billigeres Heim. Sein “Betreuer” erklärt gegenüber Journalisten, “Herr Schimpf” sei “dement und hat keine Kohle”. “Es ist keine leichte Zeit. Ich höre ganz schlecht, das Sehen macht Mühe. Die Knochen sind müde. Ille ist tot. Ich bin sehr allein, all meine Menschen sind gestorben. Seit Wochen tun mir die Zähne weh. Dafür gibt es nur ein Wort: Scheiße.”
“Aber jetzt wirste 100 – toll!”
Barbara Volkmer kommuniziert mit ihrem Freund oft mittels Notizbuch und dickem Filzstift. Sie schreibt: ABER JETZT WIRSTE 100! TOLL!
Er liest es. Repetiert halblaut: “Aber jetzt wirste 100! Toll!” Und der Schauspieler in ihm betont jedes Rufzeichen. Gelernt ist gelernt.