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Demonstration in Damaskus: Zwischen Bewaffneten nach Freiheit rufend | ABC-Z

Damaskus taz | Ein Mann mit Luftballons läuft auf dem Gehweg neben einer matschigen Wiese hin und her. Nicht weit entfernt haben Jugendliche, noch im Teenager-Alter, einen Stand mit schwarz-weiß-grünen Flaggen aufgebaut. Kinder drängen sich mit Kartons durch die Menge, verkaufen abgepackte Süßgebäcke für 4.000 syrische Pfund, etwa 30 Cents pro Stück. Fast könnte man an einen Rummel denken, wären da nicht die Milizionäre in Militärtarnung mit den AK-47 um die Schultern, die die Menge beobachten. Und die Menschen – vor allem junge Frauen und Männer –, die vor dem Opernhaus in Damaskus mit handgemalten Protestschildern in den Händen stehen.

Es ist Donnerstag, elf Tage nach dem Sturz des syrischen Ex-Diktators Baschar al-Assad. Und die Menschen in der syrischen Hauptstadt tun etwas, das sie sich in den letzten zwölf Jahren kaum getraut haben: Sie protestieren. Für ein „ziviles, freies Syrien“, wie sie schreien und singen. Es sind nur einige Hunderte, sie haben kaum Lautsprecher, verglichen mit anderen Protesten sind sie leise, fast ein Flüstern.

„Ich bin heute hier, um meine Meinung zu sagen: Darüber, was wir für unser Land wollen. Weil unser Präsident uns nie die Gelegenheit dazu gab. Jetzt wollen wir uns ausdrücken, auf eine sehr freie Art: Wir wollen keine islamische Gesellschaft“, sagt Mary Toumah, eine 39-jährige Demonstrantin mit pinkem Kopftuch und Brille. „Wir wollen eine freie und gebildete Gesellschaft. Wir wollen Gleichberechtigung.“ Eine 26-jährige Filmstudentin mit halbzusammengebundenen Haaren, übergroßem Pullover und weißgeränderter Sonnenbrille fügt hinzu: „Wir wollen keine Einmischung von Islam in Kunst und Leben. Oder in die Kunsteinrichtungen. Wir wollen ein freies Syrien!“

Viele bei diesem Protest am späten Donnerstag sind jung, Student*innen, Lehrer*innen, viele Frauen. Sie schreien „Unser Land ist für uns alle“, recken Schildern in die Luft, darauf zu lesen: „Ich werde dir nicht erlauben, ‚das biologische Wesen‘ zu sagen“. Das ist eine Anspielung auf das Interview des neuen Regierungssprechers Obaida Arnaout, in dem er von einer „biologischen Natur“ der Frau sprach, die sie für gewisse Rollen weniger fähig mache als Männer – etwa als Verteidigungsministerin.

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Patroullierende HTS-Kämfper sind um Entspannung bemüht

Es ist eine Kritik an den jetzigen, neuen Machthabern und ihrer ideologische Einstellung. Nicht direkt, doch deutlich. So wie es in jeder Demokratie erlaubt sein sollte. Viele, die auf dem Platz im Zentrum der syrischen Hauptstadt jetzt stehen, sehen jedoch noch etwas zögerlich aus. Fast ungläubig, ob dies nun wirklich toleriert wird. Einige tragen Gesichtsmasken. „Ich will nur schauen“, sagt etwa eine 40-jährige Frau namens Nissreen. „Ich will sehen, was das Ziel dieser Gruppe ist und wie diese Jungs reagieren werde. Es gab so viele Gerüchte, dass es Angriffe geben werde. Aber persönlich fühle ich mich sicher, weil sie hier sind.“

Die Jungs, die sie meint: Um die Menschenmenge herum stehen bewaffnete Männer mit Kalaschnikows, manche schlendern durch die Demonstrierenden. Sie tragen Ärmelabzeichen mit Symbolen von Hay’at Tahrir asch-Scham (HTS), der islamistischen Gruppe, die Anfang Dezember in einer Blitzaktion die Macht in Syrien übernahm. Manche tragen auch einen Aufnäher mit der Schrift der Shahada, des islamischen Bekenntnisses.

Doch sie zeigen sich äußerst freundlich, sichtlich um Entspannung bemüht, machen Selfies mit Kindern, die neugierig herumrennen, lassen ihnen die Waffen anfassen, beantworten die Fragen der Journalist*innen. „Sie sind frei zu tun, was auch immer sie wollen“, sagt etwa ein junger Kämpfer und bezieht sich auf die Versammelten. „Wir sind stolz, Muslime zu sein und als solche zu leben. Aber sie sind frei zu tun, was sie wollen.“ Er trägt einen Tarnanzug, Sturmhaube und Mütze, das Gewehr hinter dem Rücken, nur die braunen Augen sichtbar. So wie viele andere seiner Kollegen sieht er sehr jung aus. Einer ist gerade 18 Jahre alt. Alle, die man fragt, kommen aus Idlib. Der nördlichen Provinz, in der Tahrir al-Scham jahrelang regiert hat. „Wir sind offen für alles. Das Land ist für alle“, sagt einer von ihnen.

Die Angst nach der Repression durch das Regime Assads, die auf den arabischen Frühling 2011 folgte, ist jedoch bei manchen noch da. Die Menschen fürchten sich vor den Waffen. Weil sie oft beschossen wurde, erläutert Nissreen. Sie habe Freunde an Folter verloren. Doch jetzt müssen alle ideologischen, ethnischen, religiösen Gruppen friedlich zusammenleben, um weitere Gewalt zu verhindern. Keine leichte Aufgabe, doch eine notwendige. „Es ist hart“, bestätigt sie. „Ich werde friedlich koexistieren, aber nicht vergessen.“

Zum ersten Mal seit 54 Jahren ein freier Protest

Einer der Protestorganisatoren erklärt auf Nachfrage, dies sei kein Protest, sondern eher ein Zusammentreffen von Syrer*innen, die in einem zivilen Staat leben wollen – einem Syrien für alle. Hindernisse oder Probleme hätte es nicht gegeben. „Es war erstaunlich leicht. Es ist das erste Mal in 54 Jahren, dass wir frei auf die Straße gehen dürfen und unserer Meinung kundtun können.“

Syrien-Experte André Bank vom GIGA-Institut in Hamburg wertet dies erstmal als positives Zeichen. Es sei wichtig, dass die Sy­re­r*in­nen ihre Wünsche offen artikulieren können und die neuen Machthaber dies akzeptieren. In Idlib, wo HTS seit 2017 regiert, seien Proteste möglich – wenn auch die Gruppe gegen Kri­ti­ke­r*in­nen aus den eigenen Reihen „massiv repressiv“ vorgegangen sei. „Ob sich die HTS nachhaltig gemäßigt verhält, hängt davon ab, inwiefern ihr aktuell dominanter Status in der Übergangsregierung herausgefordert wird“, sagt Bank. Und vom Erfolg des jetzigen Reformprozesses. Bedenklich fand Bank hingegen die Aussagen von Regierungssprecher Arnaout: „Sie zeigen, wie patriarchal und konservativ die HTS noch ist“.

Die jungen und weniger jungen De­mons­tran­t*in­nen machen an diesem Donnerstag indes klar, dass sie kein Patriarchat und keine religiös-konservative Gesellschaft oder Staatsform akzeptieren wollen. Gerade haben sie angefangen, ihren Wunsch nach einer freien, pluralistischen Gesellschaft zu äußern. Und damit wollen sie nun nicht wieder aufhören.

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