Demokratie: NRW schwächt politische Bildung – Politik | ABC-Z
Übergriffe gegen Juden auf offener Straße, prorussische Propaganda per Messengerdienst, rassistische Beleidigungen in sozialen Medien – Hass und Hetze toben sich derzeit aus. Parlamente und demokratische Parteien sind alarmiert: In Berlin müht sich die Ampelkoalition (bisher vergeblich) seit eineinhalb Jahren, ein “Demokratie-Fördergesetz” zu schreiben. Und auch manche Bundesländer reagieren.
In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel hat die schwarz-grüne Landesregierung eine neue “Stabsstelle” zur Extremismus-Prävention geschaffen. Die Absicht klingt lauter – doch noch lauter sind inzwischen die Proteste: Denn das nötige Personal und Geld haben sich CDU und Grüne bei der Landeszentrale für politische Bildung (LZpB) geholt. Bildungsexperten sind entsetzt, SPD und FDP beklagen einen “Kahlschlag”.
Abgezogen werden ein Viertel der Mittel
Die neue Stabsstelle kostet die Landeszentrale ein Viertel ihrer Mittel: Neun von bisher 36 Mitarbeitern wanderten in die Stabsstelle, der Etat der LZpB schrumpfte um 800 000 Euro. Und das, nachdem die Regierung ein Jahr zuvor bereits 400 000 Euro bei der politischen Bildung eingespart hatte. Vor zwei Jahren hatten Schwarze und Grüne noch das exakte Gegenteil versprochen: “Die Landeszentrale für politische Bildung werden wir strukturell und inhaltlich stärken und unabhängiger machen”, hieß es im Koalitionsvertrag, den sie im Juni 2022 unterschrieben.
Diesen Satz zitierten am Donnerstag gleich mehrere Sachverständige, die sich im Hauptausschuss des Düsseldorfer Landtags zur Neuordnung äußerten. Auf diese Weise, so warnte etwa Wilfried Klein vom Bundesausschuss Politische Bildung (BAP), verkomme Bildungsarbeit “zur PR der Exekutive”. Klein kritisierte, dass die neue Stabsstelle im NRW-Wissenschaftsministeriums direkt Staatssekretärin Gonca Türkeli-Dehnert unterstellt wurde. Zu viel Regierungsnähe riskiere, dass die politische Bildung zunehmend “verstaatlicht” werde. Vertrauen und Glaubwürdigkeit der Menschen in die Unabhängigkeit aller politischen Bildung seien deren “entscheidendes Kapital”. Niemand wolle “Staatsbürgerkunde”.
Tatsächlich litt die Landeszentrale in NRW im Vergleich zu anderen Bundesländern schon bisher unter arger Regierungsnähe. “Es ist bundesweit – von der Rechtsgrundlage her – die schwächste Stellung einer Landeszentrale gegenüber der Exekutive”, hieß es 2020 in einer Analyse der Zeitschrift für Landesverfassungsrecht und Landesverwaltungsrecht (Heft 4/2020). Regierte früher ein SPD-Ministerpräsident in der Staatskanzlei, war eine Sozialdemokratin LZpB-Chefin. Die Landeszentrale sei oft nur “politische Verschiebemasse” gewesen, bemängelte bei der Anhörung am Donnerstag der Dortmunder Sozialwissenschaftler Thomas Goll.
Der Leiter wurde sogar von Beratungen über seine Arbeit ausgeschlossen
Nicht mal einen unabhängigen Beirat habe die Düsseldorfer LZpB bisher, ein gesetzliches Fundament fehle der Landeszentrale. Mehrere Experten forderten, die NRW-LZpB nach dem Vorbild von Baden-Württemberg zu schützen: Dort untersteht die Landeszentrale dem Landtag – und ist personell dreimal so stark wie in NRW.
Momentan weht der Wind am Rhein in eine andere Richtung: mehr Regierungskontrolle und zugleich weniger Geld. Der FDP-Abgeordnete Dirk Wedel verwies auf eine Klausel im NRW-Haushalt, die dem Ministerium sogar erlaube, noch über die bisherigen Sparmaßnahmen hinaus “der LZpP zu nehmen, was immer die Stabsstelle an Mitteln braucht”. Am Rande der Anhörung berichteten Experten über Anrufe von Kollegen aus anderen Bundesländern: “Die befürchten, NRW könnte zum Präzedenzfall werden.” In Düsseldorf durfte der aktuelle LZpB-Leiter wiederholt nicht einmal an den Landtagsberatungen über seine Arbeit teilnehmen; stattdessen referierte Staatssekretärin Türkeli-Dehnert.
Auch pädagogisch halten viele politische Bildner den NRW-Kurs für falsch. Die politische Grundbildung werde seit Jahren vernachlässigt und gekürzt, beklagen sie, Konjunktur hätten hingegen Förderprogramme wie “demokratie leben”, die der Bund großzügig finanziere. Aus Sorge vor Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus drohe die Politik ihre Arbeit “auf die reine Extremismusprävention zu reduzieren”, warnten Gewerkschafter und Demokratiewerkstätten in einem Aufruf. Bildungsarbeit, so ihr Appell, solle auf demokratiefähige Menschen zielen – und dürfe Bürgerinnen und Bürger nicht “als potenziell extremistische Gefährder sehen”.