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Demokratie als Krise: Kleiner Mann gern groß | ABC-Z

D er kleine Mann ist jung und alt, ist Mann und Frau. Er ist ein bisschen mehr ost als west, auf jeden Fall aber deutsch. Der kleine Mann ist in der Mehrheit, aber niemand hört auf seine Sorgen. „Die da oben“ nehmen und lachen ihn aus. Der „kleine Mann“ (TM) ist wirklich überall zu finden, und er ist schlecht gelaunt. Er neigt zum Autoritarismus und zu menschenfeindlichen, gern schon mal rechtsextremen Einstellungen. So zumindest können wir es der in dieser Woche erschienenen Autoritarismus-Studie der Leipziger Universität oder auch der ähnlich gelagerten Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung entnehmen.

Um ein paar halbe Prozent Zustimmung zu einzelnen der abgefragten Einstellungen oder die generelle Ausrichtung dieser Studien lässt sich sicher streiten. Aber insgesamt sind die Ergebnisse doch plausibel. Letztlich erzählen sie das, was ganz offensichtlich auch die Po­li­ti­ke­r*in­nen aller im Bundestag vertretenen Parteien längst als gesellschaftlichen Trend identifiziert haben. Anders ist die autoritäre Wende im öffentlichen Diskurs ja kaum erklärbar denn als Übereinkunft zwischen dem sprichwörtlichen kleinen und dem hoffnungsvollen starken Mann. Grüne, die sich für eine mögliche Koalition mit der Merz-CDU fein machen, und Linke, die Wagenknecht und ihrer Reichweite hinterhertrauern, dürfen sich durchaus mitgemeint fühlen.

Alle wollen eine Mitte, eine Norm repräsentieren, die seltsam vage bleibt. Pragmatisch fluide und gefährlich durchlässig ist die Grenze zum anderen, zum Unnormalen, das doch immer eindeutig markiert wird. Aggression und Herablassung gegen „Ausländer“ oder „Arbeitslose“ – nicht Menschen, sondern Label, oder auch gleich Aktenzeichen. Der Ideenwettbewerb aussichtsreicher politischer Parteien schrumpft immer mehr zusammen auf einen engen Raum der Konkurrenz um feine Nuancen böswilliger Repression. Wir haben die Wahl.

Die Autoritarismusstudie zitiert den Soziologen Steffen Mau, dessen hauptsächlicher Forschungsgegenstand Ostdeutschland ist, mit dem Begriff der Involvierungsverdrossenheit. Das meint die abnehmende Bereitschaft zu eigener politischer Aktivität in Teilen der Bevölkerung. Wer sich dem brodelnden Morast autoritärer Heilserwartung zu nähern wagt, der hier vor aller Augen seinem Reichsparteitag entgegenreift, weiß, wohin die Mischung aus Gleichgültigkeit und delegiertem Angsthass führt.

Was erwarten wir von der Demokratie?

Die Demokratie selbst wird laut der Studien eigenartigerweise noch immer von einer überwältigenden Mehrheit für eine prinzipiell gute Staatsform gehalten. Dem liegt eventuell ein Missverständnis zugrunde. Schließlich ist ein sehr großer Teil der Befragten gleichzeitig der Auffassung, dass die konkrete Ausgestaltung der Staatsform derzeit sehr zu wünschen übrig lässt.

Es scheint von der Demokratie erwartet zu werden, dass sie nicht dem Schutz von Minderheiten und dem zivilen Interessenausgleich dient, sondern der widerspruchsfreien Durchsetzung eines übermächtigen Mehrheitswillens. Die Quelle dieses Willens hat ihre selbstverständliche, alles unterwerfende Mitte immer bei denen, die grad sprechen. Die Parteien taumeln dieser offensichtlich autoritären Erwartungshaltung mit ihrer verstörenden Fetischisierung von Machtworten, Härte, Tacheles und ihrer lächerlichen, gespielten Volksnähe eiligen Schrittes entgegen.

In dieser parlamentarischen Demokratie erfreut sich derzeit keine Kraft nennenswerter Unterstützung, die sich unmissverständlich und kompromisslos gegen autoritäre Modelle politischer Macht wendet. Angesichts dessen wird erstaunlich selten die Frage gestellt, ob die parlamentarische Demokratie wirklich der geborene Gegenpol zum Autoritarismus ist. Kann sie nicht genauso gut komplementär funktionieren? Sie wäre dann eben ein plebiszitärer Mechanismus zur periodischen Verifizierung einer Übereinkunft zwischen dem kleinem und dem starkem Mann. Ganz zweifellos gibt es für ein solches Arrangement doch einen messbaren Bedarf, dem sich die Aspiranten auf das Kanzleramt nur zu gern andienen.

Nun ist der Hang zum Autoritarismus keine exklusive Erscheinungsform der einen oder anderen politischen Grundausrichtung. Aber es gibt Humus, auf dem er besonders gut gedeiht.

Politische Mobilisierung

Wiederum Steffen Mau gibt in seiner Beurteilung, ­woher die spezifisch ostdeutsche In­vol­vie­rungs­verdrossenheit kommt, einen wichtigen Hinweis. So sieht er einen Grund für die Entfremdung in der historischen „Übernutzung des nationalen Potenzials politischer Mobilisierung“ seit dem Untergang der DDR. Diese Übernutzung des nationalen Potenzials ist auch in Westdeutschland zu beobachten.

Denn selbstverständlich ist die nationale Erzählung eine besonders einfache Methode, um der vagen Norm einen jederzeit abrufbaren, gemeinschaftsbildenden Rahmen, bei Bedarf auch stacheldrahtbewehrten Schutzwall zu geben. Der definiert dann ein Außen und ein Innen. Da kommen die Guten ins Töpfchen und die Schlechten in Abschiebehaft. Doch damit nicht genug, denn autoritärer wie nationaler Reflex können jederzeit beliebige andere Abweichungen als Feindbild markieren. Die enge Verbindung zwischen beispielsweise Antifeminismus und Antisemitismus mit dem untersuchten Autoritarismus stellt die Leipziger Studie gesondert heraus. Über die rabiate Selbstbestätigung des Innen über alltäglichen Rassismus, Transfeindlichkeit, Ableismus und deren lebensbedrohlichen Folgen haben wir da noch gar nicht gesprochen.

Unter gegebenen Bedingungen ist die Herausforderung deshalb, die Autoritarismus­studie anders zu lesen, denn als Anleitung zur populistischen Wahlkampfführung. Die Beschäftigung mit der wenig erbaulichen Datenlage ist schon allein deshalb nötig, um zu realisieren, dass Autoritarismus der parlamentarischen Demokratie nicht zwingend wesensfremd ist und sich nicht ohne Weiteres abwählen lässt.

Vielleicht ist es ja ein Anfang, genau das festzustellen: Die parlamentarische Demokratie ist nicht das Ziel, sie ist ein Weg. Sie überlässt uns die Entscheidung, ist selber aber noch keine, ist nicht aus sich heraus gut, solidarisch und so weiter. Das können wir nur selber sein. Das bedeutet für jene, die überhaupt noch die Wahl haben und nicht ohnehin schon ausgeschlossen sind, aktiv die autoritäre Übereinkunft aufzukündigen. Schweigen, Relativieren und all die anderen Strategien zur Vermeidung der unbequemen Konfrontation, also zum Erhalt der eigenen privilegierten Position, ist Kom­pli­z*in­nen­schaft mit der Unmenschlichkeit und der Brutalität.

Alle vier Jahre das kleinere Übel zu wählen, genügt leider auch nicht. Denn Hass lässt sich tatsächlich delegieren – Humanität aber nicht. Für die müssen wir uns jeden Tag selber aufs Neue entscheiden – und dürfen diese Entscheidung deshalb auch immer wieder von anderen einfordern. Es ist schließlich nie zu spät, vom verdrossenen kleinen Mann zum involvierten Menschen zu werden.

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