Wirtschaft

Dax-Rekord: Geht das Deutschlandmärchen an der Börse jetzt richtig los? | ABC-Z

Und plötzlich ist da wieder Hoffnung: Deutschland hat einen neuen Kanzler, Rom einen neuen Papst und sogar Trump wirkt im Vergleich zu den vergangenen Wochen fast schon gemäßigt, oder zumindest zu ein paar Gesprächen bereit. Diese Aufbruchstimmung scheint sich auch auf die Märkte zu übertragen. Zwar schwächelte der deutsche Leitindex Dax noch mal deutlich, als Friedrich Merz im ersten Wahlgang durchfiel. 

Doch seit der neue Kanzler seinen Amtseid abgelegt hat und Donald Trump dringend mit China verhandeln will, erreichte der Dax am Freitagmorgen einen neuen Rekord bei 23.480 Punkten und stieg im Tagesverlauf sogar weiter. Und das, obwohl die Politik gerade alles andere als stabil wirkt. Allzu berechtigt ist da also die Frage: Wie weit kann diese Deutschland-Euphorie noch tragen? 

Immerhin hat der deutsche Leitindex seit Jahresbeginn bereits mehr als 16 Prozent zugelegt, vier Tausendermarken binnen Monaten übersprungen, sogar die sonst so dynamische Techbörse Nasdaq hinter sich gelassen. Fünf Thesen, ob das Deutschlandmärchen für Anleger jetzt richtig losgeht. Oder doch schon wieder vorbei ist.

These 1: Vor allem internationales Geld treibt derzeit den Dax

Erst Stiefkind, dann Börsenliebling: Deutsche Aktien haben in den vergangenen Monaten eine erstaunliche Wende hingelegt. Jahrelang wollten gerade internationale Investoren von den deutschen Titeln nichts wissen. Erst vor rund einem Jahr bezeichnete der ehemalige Börsenchef Theodor Weimer den heimischen Aktienmarkt in einer umstrittenen Rede als “Ramschladen”. Was polemisch formuliert war, spiegelte jedoch die Stimmung vieler internationaler Anlegerinnen und Anleger. Deutschland? Finger weg. 

Seit US-Präsident Donald Trump jedoch das Vertrauen in die USA unterminiert, fliehen viele Anleger in andere Weltregionen. Und weil sich in Deutschland eine neue Regierung formiert, Milliardenausgaben verspricht und zuvor Peak Pessimism erreicht war, fließt ausgerechnet das Geld der internationalen Investmentprofis nach Deutschland. 

Die genauen Kapitalflüsse sind in ihrer Gesamtheit schwierig zu beziffern, hinterlassen jedoch Spuren in einzelnen Statistiken. Laut der Ratingagentur Morningstar schoben Anleger im Februar rund 1,3 Milliarden Euro in deutsche Aktienfonds. Selbst während des Zollchaos im April steckten Investorinnen unter dem Strich 870 Millionen Euro in ETFs mit deutschen Aktien. Laut neuesten Daten des Analysehauses EPFR sind allein in der vergangenen Woche per saldo noch einmal 777 Millionen Dollar in deutsche Aktienfonds geflossen. “Das war in den vergangenen Monaten wirklich extrem”, sagt Aktienexperte Manfred Schlumberger von der Fürstlich Castell’schen Bank. 


777 Millionen


US-Dollar flossen vergangene Woche in deutsche Aktienfonds.

Wie groß die Euphorie geworden ist, zeigt der Fall eines ETFs für US-amerikanische Anleger aus dem Hause des Anbieters iShares. Obwohl dieser ETF auf den Deutschlandindex MSCI Germany an den US-Börsen bereits seit 1996 existiert, ist die Hälfte des gesamten Anlagevolumens des ETFs in den ersten drei Monaten dieses Jahres hineingeströmt.  

Für den Dax ist das viele Geld der internationalen Anleger jedoch ein ungewohnter Zustand, viele Anleger bezeichnen es als Hot Money. Also Geld, das schnell da ist, wenn es etwas zu verdienen gibt. Im Zweifel aber auch rasch wieder weg. “Solche Trends können sich eben schnell drehen”, sagt Chris-Oliver Schickentanz, Chefanlagestratege bei Capitell Vermögensmanagement. Und das könnte den Dax einknicken lassen. 

Ob das passiert, hängt wesentlich an Donald Trump: Hält er weiterhin an seiner restriktiven Zollpolitik fest, kann es passieren, dass Anlegerinnen das Vertrauen in US-amerikanische Märkte gänzlich verlieren. Sie könnten ihr Geld dann noch längere Zeit in Deutschland und Europa parken. Je schneller und grundsätzlicher er zurückrudert, desto mehr Geld könnte wieder in die USA zurückfließen. 

These 2: Die Milliarden-Pakete der Bundesregierung könnten noch zum Problem werden

So manchem Großanleger fielen im März vor Freude beinahe die Augen heraus: Mit allen Ausgabepaketen könnte Deutschland in den kommenden Jahren schließlich etwas mehr als 1.000 Milliarden Euro in die eigene Volkswirtschaft stecken. 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur, vermutlich noch einmal so viel für die Verteidigung. “Ignorieren auf eigene Gefahr”, schrieben die Aktienexperten der US-Investmentbank Stifel vor wenigen Wochen. Und meinten: Jetzt müsse man investieren und den Aufschwung mitnehmen.  

Laut der Privatbank Oddo BHF könnten die Unternehmensgewinne der Firmen im deutschen Leitindex Dax im kommenden Jahr um zehn Prozent steigen, im MDax der mittelgroßen Firmen um 35 Prozent, im SDax gar um rund 50 Prozent. Zum Vergleich: In den vergangenen zwei Jahren ist die deutsche Wirtschaft jeweils geschrumpft, die Industrie produziert aktuell immer noch neun Prozent weniger als vor der Coronapandemie. 


Um 50 Prozent


könnten die Firmengewinne im SDax kommendes Jahr laut Prognosen steigen.

Viele Experten bezweifeln allerdings, ob die Reform der Schuldenbremse mit europäischen Regeln vereinbar ist. “Aus meiner Sicht ist das ständige Zitieren dieser Milliardenpakete nicht mehr als Folklore”, sagt Aktienexperte Schlumberger. Die Deutsche Bank mahnte ihre Kunden in einem Papier erst vor wenigen Tagen, der Fiskalstimulus könne im Zweifel noch Monate auf sich warten lassen. Im günstigsten Fall bekomme die Bundesregierung den Haushalt bis Mitte Juli durch den Bundestag, theoretisch könnte es aber auch September werden. Bis die Ausgabenprogramme greifen, Geld ausgereicht und investiert wird, könnte das aktuelle Jahr schon komplett an den Anlegern vorbeigezogen sein. Außerdem machen zumindest die Dax-Firmen überhaupt nur 20 Prozent ihres Geschäfts im eigenen Land, den Rest jedoch im Ausland. 

These 3: Der Dax ist schon üppig bewertet

Wenn Anleger in den vergangenen Jahren Geld in den Dax steckten, taten sie das selten, weil sie von den Unternehmen wirklich überzeugt waren. Stattdessen machte stets ein anderes Argument die Runde: Die deutschen Aktien seien vor allem billig. Dass das mittlerweile nicht mehr unbedingt der Fall ist, zeigt eine kleine Rechnung, die die Kurse der Firmen mit ihren Unternehmensgewinnen vergleicht. Die Kernfrage: Wie oft müsste man den voraussichtlichen Jahresgewinn aller Dax-Firmen aufhäufen, um den gesamten Leitindex an der Börse aufzukaufen? Im historischen Schnitt hätte es etwas mehr als 13 Jahresgewinne gebraucht, um den Dax zu kaufen.


17 mal


müsste man die Jahresgewinne aller Dax-Firmen aufhäufen, um den Dax zu kaufen.

Aktuell müsste man jedoch bereits 17 Jahresgewinne aufhäufen, hat der Broker CMC Markets berechnet. “Der Dax ist damit nicht mehr günstig”, sagt Capitell-Stratege Chris-Oliver Schickentanz. In den vergangenen Monaten sind die Aktienkurse der Dax-Firmen schließlich stärker gestiegen als die Prognosen für die Firmengewinne. Sollte Trump mit seinen Zöllen doch noch Ernst machen, könnten viele Firmen in den kommenden Monaten obendrein ihre Kalkulationen zusammenstreichen. “Das ist ein Warnsignal”, sagt Schickentanz.

These 4: Um Autos muss sich niemand mehr kümmern

In der Autobranche folgte eine Hiobsbotschaft der nächsten: Mercedes erzielte im ersten Quartal 43 Prozent weniger Nettogewinn als vor einem Jahr, Volkswagen 41 Prozent weniger, bei BMW lag das Minus bei 26 Prozent. Die Krise der großen Autobauer ist also definitiv noch nicht vorbei, die Zollsituation nicht entschärft, der Wettbewerbsdruck der chinesischen E-Autobauer weiterhin groß. Und auch wenn Anlegerinnen und Anleger den Dax gerne auf die Autofirmen reduzierten, machen sie inzwischen nicht einmal mehr zehn Prozent des Indexgewichts aus.


Nur 5 Firmen


trieben den Dax in den vergangenen Monaten wesentlich.

Stattdessen entfiel ein Großteil der Gewinne seit Anfang 2024 hingegen auf fünf andere Aktien, die nach Ansicht von Experten derzeit stabil dastehen. Der Softwareriese SAP profitiert vom Trend zur künstlichen Intelligenz und will Firmen mit seinen Programmen in der unübersichtlichen Weltlage mehr Klarheit bieten. Die Deutsche Telekom profitiert seit Jahren vom Erfolg der US-Tochter T-Mobile US, Siemens scheint den Wandel vom Industriegiganten zum Hightech-Konzern geschafft zu haben. Und die Allianz? Dürfte von der globalen Unsicherheit sogar profitieren, wenn mehr Kunden Versicherungen abschließen. “De facto beherrschen diese fünf Großen den Dax”, sagt Manfred Schlumberger von der Fürstlich Castell’schen Bank. Und dann ist da noch Rheinmetall.   

These 5: Rüstung ist inzwischen zum Hype-Thema geworden

Rheinmetall war einer der Gewinner der vergangenen Woche, in den vergangenen fünf Tagen stieg der Aktienkurs um mehr als sieben und im vergangenen Monat um mehr als 30 Prozent. “Das hat den Dax nach oben gezogen”, sagt Aktienkenner Schickentanz. Verfechter auch anderer Rüstungstitel wie Hensoldt oder Renk sind davon überzeugt, dass diese noch weiter steigen können. 

Ende Juni wollen die Nato-Staaten bei einer Sitzung in Den Haag festlegen, wie viel Prozent ihrer Wirtschaftsleistung die Mitglieder jährlich in ihre Verteidigung stecken sollen. Während viele Experten bislang von drei Prozent ausgingen, macht inzwischen auch die Zielzahl von 3,5 Prozent die Runde. Während die Militärausgaben der europäischen Nato-Staaten laut DZ-Bank bei einem 3-Prozent-Ziel auf Sicht etwas mehr als 800 Milliarden Euro pro Jahr betragen würden, wären es mit einem Ziel von 3,5 Prozent bereits nahezu 1.000 Milliarden Euro.


Um 180 Prozent


ist die Rheinmetall-Aktie seit Jahresbeginn gestiegen.

Kritiker hingegen befürchten, dass die Titel schon längst etwas überbewertet sind, immerhin waren sie in den vergangenen Monaten schon stark gestiegen. Kaufen Anleger jetzt Rüstungsaktien zu ihren aktuellen Kursen, zahlen sie oft mehr als 50-mal den voraussichtlichen Firmengewinn. Zudem zeigte die vergangene Woche auch, wie anfällig die Rüstungstitel inzwischen für Kapriolen geworden sind. Als Friedrich Merz im ersten Wahlgang die erforderliche Mehrheit verfehlte, sackten die deutschen Rüstungstitel besonders weit in die Tiefe. Auf die Friedensbotschaft des neuen Papstes reagierten die Aktien jedoch nicht.

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