Das Wissen über den Holocaust nimmt ab | ABC-Z
Über den Holocaust gibt es immer weniger Wissen. Die Faktenkenntnis nimmt in erschreckendem Maße ab und die Mehrheit der Befragten in sieben Ländern mit Ausnahme Rumäniens glaubt, dass ein Genozid an Juden wie der Holocaust heute wieder möglich wäre. Das geht aus einer Befragung im Auftrag der jüdischen Claims Conference (Conference on Jewish Material Claims Against Germany) in Deutschland, Frankreich, Österreich, im Vereinigten Königreich, Polen, Ungarn, Rumänien und den Vereinigten Staaten hervor. Am größten ist die Besorgnis in Amerika, wo 76 Prozent der befragten Erwachsenen meinen, ein Holocaust könne sich wiederholen. Die Daten wurden von der Global Strategy Group mit einer repräsentativen Stichprobe von tausend Erwachsenen im Alter von 18 Jahren und älter in jedem Land im November 2023 erhoben.
Die Mehrheit der Befragten wusste nicht, dass sechs Millionen Juden im Holocaust umgebracht wurden. Die Befragten in Deutschland schnitten bei dieser Frage am besten ab, allerdings glaubten auch hier noch 18 Prozent von ihnen, dass zwei Millionen oder weniger Juden während des Holocaust ermordet wurden. 46 Prozent der befragten französischen Erwachsenen gab an, noch nie etwas von der Schoa oder dem Holocaust gehört zu haben. In Deutschland waren es zwölf Prozent der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 29 Jahren, die nichts von der Schoa wussten. Diese Gruppe der jungen Erwachsenen ist in allen untersuchten Ländern der Meinung, dass die Zahl der ermordeten Juden übertrieben ist.
Auf die Frage nach Konzentrationslagern, Tötungszentren, Durchgangslagern oder Ghettos konnten 48 Prozent der Amerikaner kein einziges der mehr als 40.000 während des Zweiten Weltkriegs errichteten Lager nennen. Im Vereinigten Königreich, in Frankreich und Rumänien waren es 26 Prozent, in Deutschland und Ungarn 18 Prozent, in Österreich zehn Prozent und in Polen sieben Prozent. Auschwitz-Birkenau wurde noch am ehesten gekannt. Amerikaner und Ungarn geben am häufigsten an, dass die Leugnung des Holocaust in ihren Ländern weit verbreitet sei. In Ungarn waren es 45 Prozent, in den Vereinigten Staaten 44 Prozent, in Frankreich 38 Prozent, in Deutschland 34 Prozent, in Österreich 27 Prozent, im Vereinigten Königreich und in Rumänien 24 Prozent und in Polen 20 Prozent.
„Die Ergebnisse sind ein Schock“
47 Prozent der Befragten waren in den sozialen Medien schon einmal auf Holocaust-Leugnung – oder Verzerrung gestoßen. In Deutschland waren es 37 Prozent. In allen acht Ländern sind neun von zehn Erwachsenen der Auffassung, dass es wichtig ist, weiterhin über den Holocaust zu informieren, der Wunsch nach Holocaust-Bildung in den Schulen ist ebenfalls stark verbreitet, berichtet die Claims Conference.
Die Leiterin des Hauses der Wannseekonferenz in Berlin Deborah Hartmann zeigte sich beunruhigt über die Ergebnisse der Umfrage und forderte eine intensive schulische und außerschulische Holocaust-Aufklärung. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland Josef Schuster sagte, „der besorgniserregende Anstieg antisemitischer verbaler und körperlicher Gewalt“ habe „seine Wurzeln zu einem großen Teil in der Desinformation und dem Mangel an Information“ über den Holocaust. „Jetzt, wo die Zahlen auf dem Tisch liegen, müssen wir das Problem in einer gemeinsamen Anstrengung der Verantwortlichen in Politik, Bildung und Medien angehen“, so Schuster.
Der Präsident der Claims Conference in Europa Rüdiger Mahlo sagte: „Die Ergebnisse dieser Studie sind für die Überlebenden der Schoa ein Schock“. Viele von ihnen arbeiteten Tag und Nacht gegen das Vergessen der Schoa an, sie kämpften gegen Ausgrenzung und Stigmatisierung von Juden. „Dass sie nun in den letzten Jahren ihres Lebens das Wiederaufflammen eben jenen Hasses miterleben müssen, der ihre Familien und ihre Kindheit und Jugend zerstört hat, ist für sie sehr schmerzhaft“. Es sei nun „an uns“, der Vergiftung der Gesellschaften durch Holocaust-Verzerrung und Holocaust-Leugnung Einhalt zu gebieten, forderte Mahlo.