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Das steckt hinter dem Erfolg von Boxern aus Usbekistan | ABC-Z

Den vorläufigen Höhepunkt seiner erfolgreichen Arbeit hätte Tulkin Kilichew ohne fremde Hilfe kaum überstanden. Der Cheftrainer der usbekischen Boxstaffel war im kollektiven Jubel über den Triumph eines seiner Schützlinge beim olympischen Turnier in Paris plötzlich zusammengebrochen.

Ein Arzt und ein Physiotherapeut des britischen Teams mussten im Aufwärmbereich des Stade Roland Garros ihre ganze Notfall-Schulung abrufen, um den Bewusstlosen ins Leben zurückzuholen. Im Krankenhaus hatte sich sein Zustand so weit stabilisiert, dass man ihm in den nächsten Tagen weitere Erfolgsmeldungen zumuten konnte. Es waren vier an der Zahl, jede handelte von Gold.

Spätestens seitdem müssen sich eher Kilichews Kollegen als er selbst Sorgen machen. Usbekistans Boxer haben sich beim Turnier in Paris in fünf der sieben Gewichtsklassen für die Männer durchgesetzt und damit erheblich dazu beigetragen, dass sich die ambitionierte zen­tralasiatische Republik auf Platz 13 der Medaillenwertung wiederfand.

Fünf der neun Turniersiege

So viel Dominanz waren die olympischen Faustkämpfer bisher allenfalls von der kubanischen Staffel gewöhnt. Oder an Turnieren, in denen allzu geneigte Juroren den Kämpfern des Gastgeberlands die Turniersiege schenkten – wie etwa 1984 in Los Angeles, wo die Amerikaner in neun von zwölf Klassen Gold gewannen.

Diesmal ist an den Entscheidungen allerdings wenig bis fast nichts auszusetzen gewesen, und das gibt den Mitbewerbern umso mehr zu denken. Sie haben an den vergangenen Weltmeisterschaften der Männer in Usbekistans Hauptstadt Taschkent im Mai 2023 bereits erleben dürfen, wie die Gastgeber zu Recht fünf der neun Turniersiege eroberten.

Diese Bilanz ist im Zeichen der Ringe voll bestätigt worden. So attestierte ein US-amerikanisches Fachportal schon vor den letzten Finals, dass die neuen Dominatoren „tatsächlich auf einem anderen Level“ sowie „unglaublich konsistent“ agierten: „Man kann nur den Hut vor Usbekistan ziehen.“

Keine andere Nation hatte so viele seiner Boxer und Boxerinnen (insgesamt elf) durch die knallharten Qualifikations-Termine gebracht, die dem Turnier in Paris vorausgingen. Und keine stellte so viele Sieger, die ihr Limit überragten – vom Fliegengewicht Hasanboy Dosmatow bis zu dem 2,04 Meter großen Bakhodir Jalolow, der seit sechseinhalb Jahren nicht mehr besiegt worden ist.

Auch der tapfere Kölner Nelvie Tiafack scheiterte im Halbfinale an der Aufgabe, gegen den sehr beweglichen Giganten in aussichtsreiche Schlagdistanz zu kommen. Und musste am Ende froh sein, die volle Distanz überstanden zu haben.

Wenig beachtet von einer Öffentlichkeit, die sich nach wie vor auf die theatralisch inszenierten Profikämpfe fokussiert, wurde da ein neues „Powerhouse“ errichtet. Seine Bauherren sind zuvorderst Entscheider der usbekischen Regierung, wie es heißt. Sie verteilen den Löwenanteil ihrer Mittel zur Förderung des Sports auf wenige, traditionell männlich geprägte Disziplinen.

Erfolg im Ring ist wichtig

Darunter nehmen die Boxer eine herausragende Stellung ein. Sie erlangen, wenn sie Medaillen gewinnen, postwendend „Heldenstatus“, wie ein Insider versichert, und haben für den Rest des Lebens ausgesorgt. Auch eine parallel betriebene Profikarriere wird dann abgenickt; so wie bei Jalolow, der seit 2018 phasenweise in den USA trainiert und kämpft (bisher 14 Siege, alle vorzeitig).

Wie wichtig ihm die Erfolge im Ring sind, hatte der Staatsgründer und langjährige Präsident Islom Karimow schon um die Jahrtausendwende unterstrichen. Der autoritäre Alleinherrscher sorgte persönlich dafür, dass Schwergewichtler Ruslan Chagaew für seinen Sieg an der WM der Amateure 2001 in Belfast eine staatliche Sonderprämie von 100.000 US-Dollar (heutiger Wert rund 161.000 Euro) erhielt.

Gleichzeitig unterstützte Karimow den Aufbau eines zentralisierten Systems der Talentsichtung und Förderung. Und griff bei Bedarf in die Regierungskasse, damit Usbekistans beste Athleten sich immer wieder mit der Weltelite messen konnten – wie etwa bei den in Profimanier aufgezogenen World Series of Boxing (WSB), an denen sie ab 2016 als „Uzbek Tigers“ antraten.

So staunten andere Delegationen, wenn das usbekische Team an großen, internationalen Turnieren gleich mit doppeltem bis dreifachem Personal pro Gewichtsklasse anrückte. „Da herrschte ex­tremer Leistungsdruck“, erinnert Martin Volke, international bewanderter Teammanager des Deutschen Boxsport-Verbands (DBV).

Doch schon das Turnier in Rio 2016, wo das usbekische Team dreimal Gold und vier weitere Medaillen gewinnen konnte, zeigte, dass das Gießkannenprinzip erfolgreich war – zumal der aktuelle Präsident Shawkat Mirzijojew auch in der Hinsicht den Kurs beibehielt. „Und jetzt rollt das System“, wie DBV-Sportdirektor Michael Müller konstatiert. Weil da „eine goldene Generation“ entstanden ist, deren beste Akteure noch für mindestens einen weiteren olympischen Zyklus gut sind.

Nachahmenswert? In stillen Momenten wünschen sich wohl auch die Entscheider im deutschen Verband ähnlich robuste, hochfrequent kämpfende Boxer mit Medaillengeruch. Die steilen, autoritären Strukturen, die an der Seidenstraße herrschen, will hierzulande jedoch keiner aufbauen.

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