Das sind die Probleme in Berlin |ABC-Z

Frau Krebs, Ihr Vorgänger Sven Reiners hat 2024 den Posten als Ärztlicher Leiter im Berliner Krankenhaus des Maßregelvollzugs mit der Begründung gekündigt, die Zustände dort seien „menschenunwürdig“. Warum haben Sie sich trotzdem entschieden, Anfang des Jahres diese Aufgabe zu übernehmen?
Ich war vorher viele Jahre im Krankenhaus des Justizvollzugs in Berlin als Oberärztin tätig – und sehe das als eine konsequente Fortführung meiner Arbeit. Es geht um schwer psychisch kranke, oft stigmatisierte Menschen, die in doppeltem Sinn aus dem Fokus geraten sind: gesellschaftlich, aber auch, weil sie in einer Institution leben müssen, die sie von unserem Alltag ausgrenzt. Für diese Patienten möchte ich mich einsetzen. Ich finde das sinnstiftend. Wir sprechen hier über Menschen im psychiatrischen Krankenhaus des Berliner Maßregelvollzugs, die zu 87 Prozent an einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis leiden. Diese Realität verdient mehr Aufmerksamkeit – und auch mehr Veränderungswillen. Diese Menschen sind, auch wenn sie schlimme Straftaten begangen haben, immer noch Teil unserer Gesellschaft. Ich glaube daran, dass Transparenz und damit die öffentliche Wahrnehmung ein wichtiger Hebel ist, um Missstände zu beheben.
Wie haben Sie die Zustände bei Ihrer Ankunft erlebt?
Natürlich gibt es massive Probleme. Die Überbelegung ist hoch, wir hatten zum Teil Situationen, in denen Patienten kurzfristig nicht aufgenommen werden konnten, weil kein Bett verfügbar war. Dass es teilweise zu Unterbringungen in Mehrbettzimmern oder sogar Improvisationen auf dem Boden kam – das stimmt. Es gibt auch die Problematik, dass Räume, die für Therapie vorgesehen sind, zweckentfremdet werden müssen. Und ja, auch die langfristige Isolation einzelner Patienten ist leider auch noch Realität. All das wurde ja auch von der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter dokumentiert. Diese Themen müssen benannt, adressiert und – wo möglich – schnell behoben werden.
Diese Darstellung halte ich so nicht für haltbar. Ich habe die Medikamentengaben sehr genau ausgewertet. Wir sehen, dass zehn bis 15 Prozent unserer Patienten eine Medikation oberhalb der empfohlenen Dosierung der Hersteller bekommen – aber immer auf Basis einer individuellen ärztlichen Risiko-Nutzen-Abwägung. Unsere Patientengruppe ist oft therapieresistent, sie ist in der Regel nicht Teil klinischer Studien, weshalb die gängigen Empfehlungen nicht immer ausreichen. Eine Medikation zur bloßen „Ruhigstellung“, weil jemand die Umstände nicht erträgt, ist aus meiner Sicht keine zulässige Indikation.
Gibt es Fälle, bei denen Sie denken: Dieser Mensch gehört eigentlich nicht in die forensische Psychiatrie?
Das entscheiden Richter, nicht ich. Aber ich wünsche mir eine differenziertere gesellschaftliche Debatte über die Frage: Wie viel Freiheitseinschränkung ist uns unsere Sicherheit wert? Und: Welche Alternativen gibt es zur unbefristeten Unterbringung psychisch kranker Rechtsbrecher? Ich sage bewusst nicht „Straftäter“, die meisten unserer Patienten sind schuldunfähig – sie sind krank. Diese Haltung sollte sich in der Sprache niederschlagen.
Wie sieht der Alltag in Ihrer Klinik aus?
Es ist nach wie vor herausfordernd. Wir haben aktuell rund 69 Überbelegungen – das schwankt leicht. 616 Patienten sind derzeit direkt bei uns untergebracht, obwohl nur 549 Plätze genehmigt sind. Hinzu kommen 178 Plätze bei externen Kooperationspartnern. Ein dritter Standort mit 49 Plätzen soll im Oktober eröffnet werden. Der Alltag ist stark vom Personalmangel geprägt. Wir arbeiten mit zu wenigen Pflegekräften, es fehlen auch ärztliche Stellen. Bei meinem Amtsantritt hatten wir 56,8 Prozent besetzte ärztliche Stellen, mittlerweile sind es 70,5 Prozent – aber auch bei 100 Prozent Besetzung ist das immer noch deutlich unter dem, was laut Fachgesellschaft eigentlich nötig wäre.
Wie stark kommen noch Zwangsmaßnahmen wie Isolation oder Fixierung zum Einsatz?
Keiner macht das gern. Aber in der forensischen Psychiatrie wird mehr isoliert als in der Allgemeinpsychiatrie – auch deshalb, weil wir seltener fixieren. Die Zahl der Isolierungen ist bei uns in den vergangenen zwei Jahren aber gesunken, ebenso die Zahl der Fixierungen. Die Entscheidung zur Isolation ist nie leicht. Sie ist immer eine Abwägung zwischen dem Schutz des Einzelnen, dem Schutz der Mitpatienten und dem Schutz des Personals. Wir versuchen, sie zu vermeiden, wo es nur geht – aber manchmal ist sie notwendig.
Ich erlebe das Haus nicht so. Aber es stimmt, dass die therapeutische Haltung entscheidend ist. Wir arbeiten daran, Vertrauen und Kommunikation zwischen den Berufsgruppen zu stärken. Es gibt Fortbildungen zum Umgang mit herausfordernden Situationen – das hilft.
Was müsste sich strukturell ändern, damit die Behandlung nicht nur sicher, sondern auch menschlich ist?
Eine Behandlung soll in erster Linie wirksam sein und von einer empathischen therapeutischen Beziehung geprägt. Dies ist bei uns der handlungsleitende Ansatz. Aber natürlich spielt die Umgebung eine wichtige Rolle: Wir brauchen kleinere Stationen, mehr Personal, bessere Räume. Es gibt zwar Angebote – zum Beispiel Fahrradtouren oder Bootsausflüge mit geeigneten Patienten –, aber solche Aktivitäten hängen stark von den verfügbaren Ressourcen ab. Und wir müssen therapeutisch arbeiten können, nicht nur verwahren. Dafür brauchen wir Zeit, Räume und Menschen.
Was fordern Sie vom Berliner Senat?
Dass der Maßregelvollzug als gesamtstädtische Aufgabe verstanden wird – ressortübergreifend. Es geht nicht nur um Geld, sondern auch um Haltung und nicht Stigmatisierung. Wir brauchen politische Unterstützung auf allen Ebenen: baulich, personell, rechtlich. Und wir brauchen eine klare Position zum Thema Datenschutz. Wenn Register für psychisch kranke Menschen eingeführt werden sollen, die das hohe Gut der Schweigepflicht unterwandern, werden wir bestimmte Patienten nicht mehr erreichen. Das wäre gefährlich und entspricht darüber hinaus nicht unserem ärztlichen Berufsethos. Sicherheit gewinnen wir durch eine gut aufgestellte und vernetzte psychiatrische und psychosoziale Versorgungslandschaft, von der die forensische Psychiatrie nur ein kleiner hoch spezialisierter Teil sein sollte.