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Das schrägste Fest der Demokratie | ABC-Z

Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Hillary Clinton sitzt neben George W. Bush, als Donald Trump seine Antrittsrede in der Rotunde des Kapitols hält. Joe Biden und Kamala Harris verfolgen die Ansprache wie versteinert. Biden, der nun der frühere Präsident ist, kneift immer wieder die Lippen zusammen. Clinton, Trumps Gegenkandidatin von 2016, die als frühere First Lady mit ihrem Mann Bill erschienen ist, hat sichtlich Mühe, ihre Gestik zu kontrollieren. Mehrfach senkt sie ihr Haupt und zieht die Brauen hoch. Dann, Trump ist nun im letzten Drittel seiner Rede angekommen, sagt er: Amerika werde seinen „rechtmäßigen Platz als großartigste, mächtigste und respektierteste Nation auf der Erde“ zurückerlangen. In Kürze werde man den Golf von Mexiko in „Golf von Amerika“ umbenennen. Jetzt kann Hillary Clinton nicht mehr an sich halten. Sie prustet los.

Ehemann Bill verfolgt Trumps Rede über weite Strecken mit offenem Mund. Barack Obama, der ohne seine Frau Michelle erschienen war, antwortet wenig später beim Verlassen des Kongresses auf die Frage, ob er sich benommen habe: „Nur so gerade.“ Hillary Clinton lässt Etikette Etikette sein. Sie tuschelt während Trumps Rede immer wieder mit Bush. Vor acht Jahren hat dieser über die seinerzeitige Antrittsrede des Republikaners gesagt, es sei „schräger Scheiß“ gewesen. Damals hatte Trump eine finstere Ansprache über das „amerikanische Gemetzel“ gehalten, das nun ende. Ganz so düster ist seine Rede diesmal nicht. Doch auch nicht sehr weit davon entfernt.

Konnte während Trumps Rede nicht mehr an sich halten: Hillary Clinton.AP
John Roberts, der Präsident des Obersten Gerichtshof, hat Trump soeben als 47. Präsidenten vereidigt. Salutschüsse wurden vor dem Kapitol abgegeben und ein Chor stimmte „Glory, Glory, Halleluja“ an. Dann beginnt Trump seine Rede mit dem Versprechen, das „goldene Zeitalter Amerikas beginnt jetzt“. Von diesem Tag an werde das Land blühen und wieder auf der ganzen Welt respektiert werden. Er werde jeden Tag auf „America first“ setzen. Später fügt er hinzu, vor Monaten, als in Pennsylvania die Kugel eines Attentäters sein Ohr durchlöchert habe, habe er gefühlt, was er heute noch mehr glaube: Sein Leben sei von Gott gerettet worden, um Amerika wieder zu Größe zurückzuführen.

Biden und Harris mit versteinerten Mienen

Erkennbar in dem Bemühen, diesmal eine positivere Botschaft zu senden, haben seine Leute ihm auch den Satz aufgeschrieben, er kehre in das Präsidentenamt „zuversichtlich und optimistisch“ zurück, dass Amerika am Beginn einer „aufregenden neuen Ära des nationalen Erfolges“ stehe. Eine Welle der Veränderung schwappe über das Land. Sonnenlicht falle auf die ganze Welt, und Amerika habe die Möglichkeit, diese Chance zu nutzen wie niemals zuvor. Sodann: Aber man müsse ehrlich sein, was die Herausforderungen betreffe, vor denen das Land stehe. „Während wir uns hier versammeln, sieht sich unser Staat mit einer Vertrauenskrise konfrontiert.“ Viele Jahre lang habe ein radikales und korruptes Establishment den Bürgern Macht und Reichtum entzogen, während die Säulen der Gesellschaft zerbrochen seien. Man habe nun einen Staat, der noch nicht einmal eine einfache Krise im Inland bewältigen könne, während man gleichzeitig in katastrophale Ereignisse im Ausland stolpere. Dies ist der Moment, in dem die Gesichter Bidens und Harris‘ gefrieren.

Rede in der Rotunde: Bald werde Amerika seine „rechtmäßigen Platz als großartigste Nation der Erde“ einnehmen, versprach Trump.
Rede in der Rotunde: Bald werde Amerika seine „rechtmäßigen Platz als großartigste Nation der Erde“ einnehmen, versprach Trump.AP

Der Staat, so Trump, scheitere daran, seine Bürger zu beschützen, biete aber gefährlichen Kriminellen aus der ganzen Welt Zuflucht. Man habe unendlich viel Geld für die Verteidigung fremder Grenzen ausgegeben, sich aber geweigert, die eigenen Grenzen zu sichern. Mit Blick auf jüngste Naturkatastrophen, wie die Waldbrände in Los Angeles, bemerkt er, das Land könne grundlegende Versorgungen in Notfällen nicht mehr liefern. Selbst die reichsten und mächtigsten Bürger des Landes seien betroffen – einige von ihnen seien hier in der Rotunde. „Sie haben kein Zuhause mehr. Das ist interessant“, sagt Trump. Gemeint sind die Tech-Milliardäre, darunter Apple-Chef Tim Cook, Meta-Boss Mark Zuckerberg und sein neuer Berater Elon Musk. Die Superreichen sind prominent platziert worden in der Rotunde – noch vor Trumps Kabinettskandidaten.

Amerikas Milliardäre hatten beste Plätze im Publikum.
Amerikas Milliardäre hatten beste Plätze im Publikum.AFP

Seine Wahl, fuhr der Präsident fort, sei ein Mandat, den „schrecklichen Verrat“ zu revidieren. Von nun an sei der Abstieg Amerikas vorbei. Dem Land werde seine ruhmreiche Bestimmung nicht mehr vorenthalten. Amerika werde seine Souveränität zurückerlangen, seine Sicherheit wiederherstellen und die „bösartige“ Instrumentalisierung des Justizministeriums als politische Waffe beenden. Er werde die Nation einen.

Selbsternannter Friedensstifter greift nach dem Mars

Es folgt eine lange Liste an politischen Initiativen, die eher für andauernde Polarisierung stehen. Er kündigt an, noch am Montag Dekrete zu unterzeichnen: an der Südgrenze werde ein nationaler Notstand ausgerufen, um illegale Grenzübertritte zu stoppen und „Millionen krimineller Ausländer” abzuschieben. Drogenkartelle würden zu Terrororganisationen erklärt, ausländische Gangs beseitigt. Zudem werde er einen nationalen Energienotstand erklären, um wieder uneingeschränkt Öl und Gas zu fördern. Es werde wieder eifrig gebohrt werden, um die Benzinpreise zu senken und die Inflation zu bekämpfen. Auch werde er den Außenhandel beschützen und Zölle erheben sowie die „staatliche Zensur” und die „Genderideologie” beenden. Fortan werde es die offizielle Politik des Staates sein, dass es nur zwei Geschlechter gebe.

Schließlich wolle er ein Friedenstifter sein, sagt Trump. In dem Zusammenhang verweist er aber nicht nur auf die Umbenennung des Golfes von Mexiko, sondern auch darauf, dass er die Kontrolle über den Panama-Kanal zurückerlangen werde. Ohne Grönland zu erwähnen, fügt er hinzu, die Vereinigten Staaten würden sich wieder als Nation betrachten, die den Wohlstand mehre und sein Territorium ausweite. Die „Manifest destiny“, die offenkundige Bestimmung Amerikas, soll sich nicht auf den Planeten Erde beschränken, sondern auch den Mars umfassen, wo man die amerikanische Flagge hissen wolle. Jubel unter seinen Verbündeten in der Rotunde.

Der 6. Januar als Fluchtpunkt

Biden deutet am Ende der Rede ein vorsichtiges Klatschen an. Es gilt der Zeremonie, nicht den Worten seines Nachfolgers. Harris verzichtet auch auf diese Geste. Die amerikanische Country-Sängerin Carrie Underwood stimmt „America the Beautiful“ an. Der früheren Vizepräsidentin gefiel eine andere Rede an diesem Tag. Zu Beginn der feierlichen Amtsübergabe hatte Amy Klobuchar, die Senatorin aus Minnesota, gesprochen. Die Demokratin fungierte als Ko-Vorsitzendende der Inauguration und eröffnete die Feierstunde: Man sei Zeuge des „friedlichen Machtwechsels“ im Herzen der Demokratie, des Kongresses. Das Thema in diesem Jahr sei die Beständigkeit der amerikanischen Demokratie, die im nächsten Jahr 250 Jahre alt wird. Alle vier Jahre legten Präsidenten einen Eid darauf ab, die Verfassung zu achten. Angesichts der Spaltungen im Land wolle sie einen Sänger zitieren, der aus ihrem Bundesstaat komme. Es liege es an allen, sicherzustellen, dass die Demokratie „unser Schutz vor dem Sturm“ sei. Gemeint war Bob Dylans Song „Shelter from the Storm“.

Während er Dekrete unterzeichnete, gab Trump eine improvisierte Pressekonferenz
Während er Dekrete unterzeichnete, gab Trump eine improvisierte PressekonferenzEPA

Jedes Wort Klobuchars, die vor vier Jahren ihre im Senat zur Zertifizierungssitzung versammelten Kollegen darüber informierte, dass im Kapitol Schüsse gefallen seien, war genau gewählt. Nach der Rede nickte Harris, Trumps Rivalin vom November, Klobuchar anerkennend zu. Die richtigen Worte, sollte das heißen. Der 6. Januar 2021, der Sturm auf das Kapitol, war am Montag allgegenwärtig. Es begann damit, dass Biden, der Trump am Morgen im Weißen Haus zu einer Unterredung empfangen hatte, gemeinsam mit seinem Nachfolger in der Präsidentenlimousine zum Kapitol gefahren war – eine Geste, die Trump ihm vor vier Jahren verweigert hatte. Beide traten an der Senatsseite ins Kapitol, unweit der Stelle, wo der Mob vor vier Jahren Fensterscheiben zertrümmert hatte. Unter den Ehrengästen, die in der Rotunde angekündigt wurden, war auch Mike Pence, der seinerzeit von Sicherheitskräften im Senat in Sicherheit gebracht werden musste, da der Mob „Hang, Mike Pence“ skandierte. Damals widersetzte sich der Vizepräsident dem Druck Trumps, Bidens Wahlsieg nicht zu beglaubigen. Nun teilte er mit, jeder Amerikaner tue gut daran, die Demokratie und den „friedlichen Machtwechsel“ zu feiern. Pence hatte Trump jüngst bei der Trauerfeier für Jimmy Carter in der National Cathedral erstmals seit den Ereignissen vor vier Jahren wiedergesehen und kurz dessen Hand geschüttelt.

Ein Bittgebet des evangelikalen Reverend Franklin Graham im Anschluss an Klobuchars Worte konnte man als Gegenrede verstehen: In den vergangenen vier Jahren habe es bisweilen recht düster ausgesehen, sagte er. Man möge sich aber anschauen, was Gott getan habe. Trumps Rückkehr als Gottestat, sollte das heißen. Biden und Harris setzten ein Pokerface auf.

Nach der Zeremonie begleiteten die Trumps die Bidens sowie Harris und ihren Mann Doug Emhoff zur Verabschiedung nach draußen. Der ehemalige Second Gentleman klopfte Trump freundlich auf die Schulter, dann bestieg das Second Couple eine Limousine und fuhr davon. Die Trumps brachten die Bidens zum Helikopter und der neue Präsident küsste Jill zum Abschied auf die Wange. Beide flogen kurz darauf in den Urlaub nach Kalifornien. 1972 war Biden erstmals in den Senat gewählt worden. Nun endete die Karriere des 82 Jahre alten Demokraten vor dem Kapitol.

MAGA-Touristen trotzten der Kälte

Die Sonne schien. Doch es war bitterkalt in Washington. Wegen der Temperaturen hatte Trump auf Anraten seiner Mitarbeiter am Freitag entschieden, die Vereidigung von den Stufen des Kapitols ins Innere des Kongresses zu verlegen. 1985, zu Beginn der zweiten Amtszeit Ronald Reagans, war dies zuletzt geschehen. Die Geschichte diente als warnendes Beispiel. 1841 hatte William Henry Harrison trotz klirrender Kälte seinen Amtseid vor dem Kapitol geleistet. Er war seinerzeit mit 68 Jahren der älteste gewählte Präsident. Zwei Stunden lang sprach er – ohne einen Mantel, Hut und Handschuhe zu tragen. Drei Wochen später entwickelte er eine Erkältung. Einen Monat nach der Amtseinführung erlag er einer Lungenentzündung. Die Ärzte hielten die Erkrankung seinerzeit für eine Folge des Auftritts in der Kälte.

Zu Trumps ersten Amtshandlungen gehörte auch das Anschneiden einer Torte in Air-Force-One-Form.
Zu Trumps ersten Amtshandlungen gehörte auch das Anschneiden einer Torte in Air-Force-One-Form.AFP

So oder so – es gab Gründe, Trumps Amtseinführung nach innen zu verlegen. Auch der Secret Service, der seit dem Attentat auf Trump in Butler in Kritik steht, war erleichtert. Mega-Events sind schwer zu sichern. Nun waren 25.000 Sicherheitskräfte in der Stadt und das Kapitol sowie das Weiße Haus weiträumig abgesperrt. Man wollte auf alles vorbereitet sein. Am Ende fiel das Open-Air-Event aus. Trumps Leute hatten 200.000 Tickets an Anhänger verteilt, die auf der „National Mall“ die Vereidigung verfolgen wollten. Letztlich konnten nur 20.000 in eine Arena in der Innenstadt – am Sonntag zu einer Art Vorfeier mit Trump. Und am Montag zur Parade, die sonst auf der Pennsylvania Avenue stattfindet. Viele, die nicht ins Stadion kamen, machten das Beste daraus und feierten ausgiebig in den Bars der Stadt. Am Montag verfolgten einige von ihnen die Fahrt der Präsidenten vom Weißen Haus zum Kongress. Washington, eine Hochburg der Demokraten, war in der Hand der Trumpisten: überall rote MAGA-Hüte. Viele Washingtonians hatten die Flucht ergriffen und übers Wochenende die Stadt verlassen.

Trump begnadigt und geht auf einen Ball

Nach der Verabschiedung von Harris und Biden kehrte Trump zurück ins Kapitol und gab eine zweite Ansprache – diesmal vor Anhängern. Am Ende war sie länger als die offizielle Antrittsrede. J. D. Vance, der neue Vizepräsident, leitete ein: Es sei eine Wahnsinnsrede in der Rotunde gewesen. „Sie haben sich nicht zurückgehalten“, sagte er an Trump gerichtet. Tatsächlich erzählte der Präsident dann selbst, dass Vance und seine Frau Melania ihn gebeten hätten, seine Rede ein wenig zu entschärfen. Vor allem sollte er in der Rotunde nicht über seine Absicht reden, die Gewalttäter des Kapitolsturms zu begnadigen. Er hörte auf sie und sagte seinen Anhängern in der Lobby des Kapitols dann, er werde gleich ein Dekret unterzeichnen, das sie glücklich machen werde. Er vergaß nicht zu erwähnen, dass Biden kurz vor dem Ende seiner Amtszeit, Mitglieder, Mitarbeiter und Zeugen des Untersuchungsausschusses zum 6. Januar begnadigt hatte, darunter seine Intimfeindin Liz Cheney.

Später am Nachmittag fügte er in der Arena hinzu, er werde gleich ins Oval Office fahren und eine Reihe von Dekreten unterzeichnen und „viele Geiseln“ des 6. Januar begnadigen. Er erwähnte, Biden habe kurz vor Schluss auch noch Mitglieder seiner Familie begnadigt. „Könnt ihr euch das vorstellen?“ Seine Rede in der Arena hatte er mit den Worten eingeleitet: „Wir haben gewonnen. Aber jetzt beginnt die Arbeit.“ Am Ende begnadigte er fast alle Verurteilte und feierte dann auf mehreren Bällen weiter. Das schrägste Fest der Demokratie kam an sein Ende.

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