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Das „Kultur Gut Hasselburg“ fördert musikalische Talente | ABC-Z

Der Blick aus dem Elling­ton-Zimmer geht auf eine Streuobstwiese mit Apfelbäumen und Liegestühlen. Nachts, wenn die Sterne am Himmel stehen, liegt Raureif über dem Gras. Aber morgens, wenn die Sonne aufgeht, zieht sich die Feuchte beleidigt zurück und überlässt den Schmetterlingen das Feld. Duke Ellington, der amerikanische Jazzmusiker, hat 1933 einen Song mit dem Titel „In the Shade of the Old Apple Tree“ komponiert.

Es ist ein sanftes, von quengeligen Trompeten und knurrenden Saxophonen getragenes Lied, das die Melancholie eines spätsommerlichen Nachmittags unter alten Ästen in Töne fasst. Nur einmal hört man eine verzerrte Stimme von Ferne ein leises „Yes, Yes“ singen. Ein Ja zum Leben trotz aller Abschiede, so klingt das, ein Ja zum Jahreswechsel. Es ist ein Lied, das von seiner ganzen sentimentalen Glücksgestimmtheit her gut zum „Kultur Gut Hasselburg“ passt. Diesem außergewöhnlich schönen, von Musikklängen und Altersweisheit durchdrungenen Ort, an dem man nicht nur klassische Konzerte erleben, sondern auch Ferien machen kann.

Hohenflüge der Musik: Konzert im Kulturgut HasselburgAnita Back

Ganz oben am nordöstlichsten Zipfel Schleswig-Holsteins, eine gute halbe Stunde von Lübeck entfernt, liegt dieser alte Gutshof am Ende einer Lindenallee. Langsam rollt man über geglättetes Kopfsteinpflaster und sieht schon aus der Ferne ein backsteinernes Torhaus mit Rundbogentürmchen und goldener Turmuhr. Die Zeit spielt eine besondere Rolle beim Besuch von Gut Hasselburg, sie bleibt nicht einfach stehen, sondern zieht sich entspannt in die Länge, wird entzerrt, wie das „Yes“ im Ellington-Song. Die Zeit hat überall ihre Spuren hinterlassen an diesem wundersamen Ort, der erstmals im 13. Jahrhundert als Sitz einer Wasserburg urkundlich erwähnt und dann im Laufe des 18. Jahrhunderts zu einer weitläufigen Gutshofanlage mit imposantem Herrenhaus ausgebaut wurde. Die Anlage gehört zu den wenigen noch vollständig erhaltenen Höfen aus dieser Zeit und gibt mit ihrer streng symmetrischen Form ein Beispiel jener norddeutschen Klarheit ab, die sich auch in manchen Gesichtern von Menschen widerzuspiegeln scheint, die von der Küste „dort oben“ kommen.

Leidenschaftliche Musiker

Dass sich der Gutshof noch heute in seiner ursprünglichen Form zeigt, kein Gebäude im Laufe der Jahrhunderte abgerissen oder verändert wurde, ist ein Triumph der Tradition und Ausdruck der besonderen Sorgfalt seiner wechselnden Eigentümer. Neun Besitzer zählt die Chronik, bis im Jahr 2010 die Stahlberg-Stiftung Eigentümerin des Gutes wurde und es über ein Jahrzehnt lang liebevoll sanierte. Der Gründer der Stiftung, Constantin Stahlberg, ist nicht nur Erbe eines milliardenschweren Unternehmens für Schienenin­frastruktur, sondern auch Abkömmling einer schlesischen Gutsherrenfamilie und leidenschaftlicher Musiker. Er, der als Komponist mehrere Musicals schrieb und ein Sammler alter Tasteninstrumente ist, hat seiner 2002 gegründeten Stiftung vor allem die Förderung junger musikalischer Talente auf die Fahnen geschrieben – und den Denkmalschutz. Beide Stiftungsziele vereinen sich in Kultur Gut Hasselburg auf nahezu ideale Weise. Das in seiner historischen Struktur erhaltene, aber durch die kostspieligen Renovierungsarbeiten der ehemals landwirtschaftlichen Räume jetzt für den Aufenthalt von Menschen hergerichtete Gut bietet heute jungen Musikerinnen und Musikern Aufenthaltsstipendien und Auftrittsmöglichkeiten.

Geräumig: Blick in eine Ferienwohnung
Geräumig: Blick in eine FerienwohnungAnita Back

Insbesondere der barocke Saal des Herrenhauses mit seiner illusionistischen Deckenmalerei und seinen imposanten Rängen hat die richtige Atmosphäre für Kammermusik- und Klavierabende. Hier, wo bis vor einigen Jahren noch die deutsche „Hörspielkönigin“ und „Drei ???“-Adapteurin Heikedine Körting zusammen mit ihrem Mann residierte, können sich heute Solisten von den jahrhundertealten Wänden und Decken beschützt fühlen. Hier werden ihre Konzentration und Mühe von einer wohlwollenden Aura der Dauer und Gelassenheit belohnt.

Alle Register gezogen

Aber es gibt auch einen Ort für das Große und Monumentale. Rechts von der ­fußballfeldgroßen Rasenfläche steht die größte reetgedeckte Scheune des Landes. Fünfundsiebzig Meter lang und vier­und­zwanzig Meter hoch ist dieses Gebäude. Sogar eine Orgel hat der Mäzen einbauen lassen, sodass hier während des Schleswig-Holstein Musik-Festivals alle Repertoire-Register gezogen werden können. Aber das Kultur Gut Hasselburg ist nicht nur ein Veranstaltungs-, es ist auch ein Urlaubsort. Im Torhaus stehen inzwischen sechzehn Ferienwohnungen mit hellen Küchen und großzügigen Wohnzimmern bereit. Benannt sind sie nach Musikinstrumenten, im Grundriss folgen auch sie einer strengen Symmetrie. Überhaupt wird die gelassene Stimmung des Ortes kontrastiert von einem überall untergründig wirkenden Strengegefühl. Es ist schon so, dass hier auf dem Gut vom Gast eine gewisse Haltung verlangt wird. Die Autos dürfen nur zum Auspacken in den Hof und sind ansonsten von der Anlage verbannt. Hunde sind an der Leine zu führen, die denkmalgepflegten Fenster im Torhaus besser nicht zu öffnen. Und doch wirkt diese Strenge nie bedrückend oder gouvernantenhaft. Es ist viel eher die Würde der Jahrhunderte, die hier eine gewisse Haltung einfordert. Im Park gibt es eine Boulebahn und ein Schachfeld, an der Rezeption kann man sich Federbälle oder ein Krocket-Set ausleihen.

In den wiederum nach Komponisten – die eigenwillige Mischung reicht von Albinoni bis Gershwin – benannten elf Gästezimmern erzählen die eingekerbten Holzpfosten auf augenzwinkernde Weise von früheren Nutzern, und im Café Cembalo, wo einst die Pferde standen und Hufeisen geschmiedet wurden, wird das Frühstück serviert. Ein bisschen an die alte Nutzung erinnert werden soll man schon noch. Deshalb: kein Wellnessbereich. Stattdessen diese wunderbare Streuobstwiese mit den Liegestühlen, auf die man sich nachts setzen und in den Sternenhimmel schauen kann. Und wenn man ganz genau hinhört, dann ist es, als ob von irgendwoher leise jemand „Yes, Yes“ summen würde.

Weitere Informationen unter: www.hasselburg.de

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