Das in der DDR verhinderte „Mosaik“-Heft | ABC-Z

Am vergangenen Donnerstag wäre Hannes Hegen hundert geworden. Wer Hannes Hegen ist, muss man erwachsenen Menschen in den ostdeutschen Bundesländern nicht erklären, denen im Westen schon, und jüngeren Leuten mittlerweile auch: Er war der bekannteste Comic-Autor der DDR. Dort brachte er von 1955 bis 1975 die Zeitschrift „Mosaik“ heraus, in der drei Helden auftraten, die eine seltsame Mischung aus Fantasy und Sachcomic boten: die Digedags. Oder namentlich einzeln aufgeschlüsselt: Dig (klein und dunkelhaarig), Dag (klein und blond) und Digedag (groß und rothaarig).
Es handelt sich um Kobolde (denen man das aber nicht ansieht), die durch die Zeit reisen können. So erleben sie in allen Epochen die interessantesten historischen Ereignisse. Womit einerseits Wissen und andererseits Abenteuergeist vermittelt wurde. Das passte ins pädagogische Konzept der DDR. Wenn schon Comic (wobei es das Wort nicht geben durfte, in der DDR mache man Bildergeschichten), dann lehrreich.
Nicht ins politische Konzept passte Hegen selbst, denn er war ein Privatunternehmer, der sich im Laufe der zwei Jahrzehnte seines Wirkens immer wieder weigerte, sein monatlich erscheinendes Heft komplett staatlicher Kontrolle zu unterwerfen, geschweige denn seine Figurenrechte an einen Staatsverlag zu verkaufen. Sein Team aus Zeichnern, Textern und Koloristen, die für ihn Digedags-Geschichten erstellten, nannte er taktisch klug „Mosaik-Kollektiv“, was der offiziellen Terminologie für sozialistische Arbeitsorganisation entsprach. Doch entscheiden tat allein Hegen, wenn auch in enger Absprache mit seiner im selben Jahr geborenen Frau, Edith Hegenbarth (Hannes Hegen war ein Pseudonym, weil der Name „Hegenbarth“ bereits künstlerisch belegt war: durch Hannes Hegens Onkel Josef Hegenbarth). Die DDR-Oberen hätten das „Mosaik“ mehr als einmal liebend gerne beseitigt, aber dafür war es zu beliebt. Die Hefte waren „Bückware“ und jeweils sofort nach Erscheinen ausverkauft.
Eine verschollene Geschichte
1975 schmiss Hegen dann doch nach vielerlei Auseinandersetzungen und Eingriffen von oben das Handtuch, verbot aber als Rechteinhaber an den Figuren deren weitere Benutzung im „Mosaik“. Seine Mitarbeiter machten indes weiter und dachten sich die Abrafaxe aus, drei Kobolde, die durch die Zeit reisen können – mehr Plagiat ging gar nicht, aber wen interessierte das in der DDR? Hegen verlor seine Prozesse und verbitterte. Die unzähligen „Mosaik“-Leser trauerten ihren Lieblingen hinterher, doch mit 223 Heften aus zwanzig Jahren hatten sie immerhin reichlich Lesestoff. Und nach der Wende gab es Sammelausgaben, so dass die Digedags nie in Vergessenheit gerieten. Aber auch kein neues Publikum fanden, denn dem fehlte das nostalgische Wohlgefühl bei der Lektüre.

Nun gibt es ein 224. Heft mit den Digedags. Zum hundertsten Geburtstag ihres Erfinders und dessen Frau ist eine Geschichte gezeichnet worden, die es schon einmal hätte geben sollen, 1964 auf staatliches Geheiß aber nicht gab: „Das Duell an der Newa“. Wer jetzt glaubt, dass der Titel schon einen Hinweis darauf gäbe, was der Anlass für den Ärger damit gewesen ist, der täuscht sich. Auch wenn die Geschichte 1855 in Sankt Petersburg angesiedelt ist, ließ sie keineswegs die offiziell dekretierte deutsch-sowjetische Freundschaft außer Acht, und sie verherrlicht auch nicht das zaristische Regime. Hegen war viel zu klug, um offen zu provozieren.
Warum blieb die Geschichte dann ungedruckt? Schlicht ist sie, aber kein Tinnef. Sie hätte einen sich bereits über mehrere Hefte erstreckenden Erzählstrang um den bayrischen Erfinder Wilhelm Bauer fortführen sollen. Der hatte in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts ein Unterseeboot entworfen – seinerzeit eine Neuheit –, aber damit keinen Erfolg. Hegen hatte die Digedags immer schon gerne auf Technikpioniere treffen lassen, gerade auch auf verkannte (er hielt sich selbst für einen; war es im Comic ja auch). Und Bauer wird im „Mosaik“ als Opfer ständiger Bespitzelung präsentiert, weil Geheimdienstleute aus ganz Europa hinter seiner Erfindung her sind. Das wurde als Spott über die Stasi empfunden (und war es wohl auch). Auch die Betonung des Rüstungswettlaufs zwischen den europäischen Staaten im neunzehnten Jahrhundert kam nicht gut an. Die offizielle Doktrin stellte den Ostblock als Friedens- und Abrüstungspartei dar.
Die neuen Zeichner des altvertrauten Stils

Hegen wurde deshalb angewiesen, seine auf sechs Hefte angelegte Geschichte um Wilhelm Bauer schon nach vier Ausgaben zu beenden. Natürlich war aber der ganze Zyklus von ihm schon geschrieben, und die Szenarios zu den beiden nicht mehr publizierten Heften haben im Nachlass überlebt. Jetzt sind sie von den Zeichnern Ulf S. Graupner und Steffen Jähde in Bilder gesetzt worden – und in was für welche! Die Ästhetik orientiert sich perfekt am Look der „Mosaik“-Hefte der Sechzigerjahre, selbst das Papier hat den leichten Graugelbton der Originalausgabe. Im Gegensatz zu 1964 dürfte es teuer gewesen sein, diesen Eindruck zu erwecken; damals war die Färbung eine Folge der ressourcensparenden Herstellungsmethode für die Mangelware Papier.
Graupner ist ein Veteran des Mosaik-Kollektivs der Nachwendezeit – das Heft mit den Abenteuern der Abrafaxe erscheint bis heute monatlich. Der Zeichner ist zwar just in dem Jahr geboren, als „Das Duell an der Newa“ gekippt wurde, wuchs dann aber in Thüringen noch mit dem „Mosaik“ von Hannes Hegen auf. In den Neunzigern zeichnete er sechs Jahre lang die Abrafaxe fürs Heft, danach einen Comicstrip mit den Figuren, und vor allem illustrierte er Romane, die die Abenteuer der Digedags-Nebenfigur Ritter Runkel zum Thema hatten. Dafür eignete sich Graupner den klassischen Digedags-Stil perfekt an. Runkel war übrigens die Figur, die im Mai 1964 in dem Heft ihren ersten Auftritt hatte, das anstelle von „Das Duell an der Newa“ erschien.

Nun ist Graupner nach vielen Jahren anderer Comicarbeit zurück in der ihm tief vertrauten Welt der Digedags und für die Figurengestaltung im neuen alten Heft verantwortlich. Mit Steffen Jähde (Jahrgang 1969, als Greifswalder auch „Mosaik“-sozialisiert) hat er einen erfahrenen Hintergrundzeichner des Mosaik-Kollektivs zur Seite. Zusammen lassen sie das vertraute Lesegefühl wiederaufleben: mit den Texten unter den Bildern (Sprechblasen waren Hegen untersagt – sie galten als zu westlich), mit der liebevoll-theatralischen Gestik der Figuren und auch mit dem klassischen doppelseitigen Wimmelbild, hier eine Kostümfestszene im Admiralitätsgebäude von Sankt Petersburg, für die Hegen eine seiner berühmten komplett gereimten Textpassagen geschrieben hatte: „Vorhang auf zum großen Spiele / hier im Saale um Punkt neun, / das nun abrollt mit dem Ziele, / alle Gäste zu erfreu’n.“ Diese erste von sechs Strophen beschreibt auch das, was man als Leser beim Aufschlagen der Doppelseite empfindet.
Großmachtpolitik als Koboldwerk
Worum geht es in der Geschichte? Wilhelm Bauer ist nach seinem ersten Scheitern in Dänemark mittlerweile in Russland angekommen und baut dort ein zweites U-Boot. In einer burlesken Szene kommen sich die jeweils an seiner Arbeit interessierten Militärattachés von Österreich und Preußen in die Quere, die Hegen nach allen nationalen Klischeevorstellungen anlegte – den Österreicher als Muster an grämlicher Gemütlichkeit, den Preußen an schnarrender Schonlosigkeit. Ihre jeweiligen Adjutanten sind Dig und Dag (Digedag fehlt im Heft, denn er verschwand schon etliche Jahre zuvor aus der Serie, um dann erst später zurückzukehren). Und es sind natürlich diese beiden, die das diplomatische und persönliche Chaos, für das sie selbst verantwortlich zeichnen, durch einen heroischen Akt am Ende auflösen: Friede und Freude kehren ein, aber das taten sie eben nicht im Streit um diese Handlung.
Im vielfachen Jubiläumsjahr 2025 (neben den Hundertsten der Hegens auch noch siebzig Jahre „Mosaik“ und fünfzig Jahre Abrafaxe) kommt „Das Duell an der Newa“ zur geeigneten Zeit. Wobei es keine neuen Leser gewinnen wird, denn dafür ist es zu nostalgisch-authentisch geraten. Aber die alten wird es begeistern. Nein, begeistert es bereits: Das Heft ist in erster Auflage schon vergriffen, eine Nachauflage ist für Juni angekündigt, der stolze Preis besträgt 15 Euro (für vierundzwanzig Seiten!). Im Mai 1964, als es ursprünglich hätte erscheinen sollen, kostete eine Ausgabe des „Mosaiks“ sechzig Pfennige.
Und dann wird irgendwann natürlich auch noch das zweite damals verhinderte Heft mit dem Abschluss der Unterseeboot-Geschichte erscheinen, wieder gezeichnet von Graupner und Jähde. Sie wird auf der Rückseite von „Das Duell an der Newa“ bereits angekündigt (wie es damals üblich war); einen Publikationstermin gibt es offiziell jedoch noch nicht. Man sollte also die Augen offen halten, wenn man die Erstauflage haben will. Bückware ist Hannes Hegens „Mosaik“ bis heute geblieben.