Das Gruselwort dieses Sommers bei der Deutschen Bahn | ABC-Z

Berlin. Warum selbst Bahnexperten das Chaos fürchten, wenn ab 1. August die Bahnstrecke Berlin-Hamburg gesperrt wird – die Stadtflucht-Kolumne.
Eigentlich hatte ich Ihnen an dieser Stelle etwas Schönes aus unserem Dorf erzählen wollen. Vom Dorffest zum Beispiel und wieso es diesmal Wildschwein gab wie bei Asterix und Obelix. Oder davon, wie ich neulich morgens kreischend aus dem Kartoffelbeet floh, weil ich meinte, unter den Kartoffeln und Bohnen einen Riesenwels entdeckt zu haben. Es soll ja vorkommen, dass sich Welse auch an Land fortbewegen. Nicht nur damals im Erdmittelalter, sondern auch heute. Und unser Badesee ist nicht weit weg, aus dem meine Nachbarn ständig dicke Welse und Zander angeln. Andererseits: Ein Killerfisch in meinem Kartoffelbeet?
Monster im Gemüsebeet? Kolumnistin Uta Keseling hat etwas ganz Großes entdeckt.
© Berlin | Uta Keseling
Okay, ich fasst mir ein Herz und schaute nochmal genau hin. Aber Tatsache: Unter dem dichten, grünen Blätterdach der Bohnen schaute mich ein grünes Monster an. Es hatte zwar nur ein Auge und bei genauer Betrachtung auch weder Maul noch Flossen. Vorsichtig teilte ich die Blätter. Im Sonnenlicht entpuppte das Monster sich als Riesenzucchini, die sich offenbar ins Bohnenbeet verirrt hatte. Zucchini sind ja sozusagen die Welse unter dem Gemüse. Werden sie nicht geerntet, können sie mehr als 50 Kilo schwer werden.
Erleichtert schnitt ich das unförmige, aber friedliche Gemüse von Stiel, froh, nicht gebissen worden zu sein. Erst kürzlich wurden ja fünf Badegäste in Bayern von einem fiesen Aggrowels angegriffen, den die Polizei später erschoss. Oder vielleicht auch doch nicht, der Fall ist noch nicht abgeschlossen.
Thema ist schon allein von der Wortlänge her eine Art Killerwels
Wie gesagt, ich hatte gedacht, diese Woche die schönste, weil friedlichste Phase des Sommers einzuleiten: Wenn sich alles nur noch um Badeseen, Sonnenbrand und als, größter Aufreger, die jährlichen Sommerlochtiere drehen würde.
Der Killerwels aus Bayern ist aber ja nun schon vor Ferienbeginn tot. Und wir, zumindest alle Bahnreisenden im Nordosten des Landes, haben ein ganz anderes Problemthema. Das uns, so muss man befürchten, weil länger als nur durchs Sommerloch begleiten wird. Das Thema ist schon allein von der Wortlänge her eine Art Killerwels: Der Schienenersatzverkehr der Deutschen Bahn.
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Sie erinnern sich an meinen kläglichen Versuch in der vergangenen Woche, mit der Bahn – respektive dem Ersatzverkehr – von Berlin ins knapp 100 Kilometer entfernte Templin zu reisen. Womit ich nicht gerechnet hatte: Mein Bericht über die auf einer Landstraße wandernden Bahn-Fahrgäste (einer davon war ich) rief erstaunlicherweise Fachleute von der Bahn auf den Plan.
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Es klingt wie ein ungewollter und perverser Rekordversuch
Telefonisch wurde ich vom Qualitätsmanagement des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (VBB) befragt, wo sich der Wandertag abgespielt hatte (Nassenheide bei Oranienburg). Man hörte sich aufmerksam an, wo Ersatzbusse nicht kamen und Haltestellen nicht auffindbar waren. Als ich nachfragte, woher dieses ungewöhnliche Interesse kam, hieß es: Man wolle sich bestmöglich vorbereiten auf das, was die Bahnkunden zwischen Berlin und Hamburg, Elbe und Ostsee demnächst erwartet. Das klang nicht gut.
Ab 1. August nämlich wird die Bahnstrecke zwischen Berlin und Hamburg für neun Monate wegen der „Generalsanierung“ gesperrt. Im Nordosten Deutschlands startet dann etwas, das klingt wie ein ungewollter und irgendwie ziemlich perverser Rekordversuch der Bahn. Es sei „der größte Schienenersatzverkehr, den es je gegeben hat“, so formulierte es ein Bahnmanager vergangene Woche – der sich über „86.000 Kilometer Dienstleistung“ erstrecke.
Allein 26 Millionen Euro habe man bereits im Vorfeld in den Umleitungsverkehr investiert, zu dem auch mehrere neue Regionalzug-Linien gehören. Insgesamt liegen die Kosten für die Strecke Berlin-Hamburg aktuell bei 2,2 Milliarden Euro. Allein die Karte der Umleitungsstrecken und Ersatzbuslinien, die die Bahn ins Netz gestellt hat, ist so komplex, dass sie nur als pdf heruntergeladen werden kann.
Allein die Karte für den Ersatzverkehr ist extrem komplex
Ganz ehrlich: Ich hoffe, ich muss nicht so bald wieder nach Hamburg. Denn was ich jenseits der Rekordzahlen hörte, war vor allem die Besorgnis, wie viele verzweifelte und verirrte Fahrgäste es demnächst im Ersatzverkehr geben wird. Wenn Sie selbst dazugehören, schreiben Sie mir gern: stadtflucht@funkemedien.de
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