Das Gesellschaftsspiel „Top Ten“ in der Spielekolumne | ABC-Z

„Kriegst du auch bei Youtube ständig diese Listen angezeigt?“ Die Buchhändlerin nahm den Zuckerstreuer in die Hand, sah ihn kurz an und stellte ihn wieder auf das Tischchen vor dem Regal mit den Reiseführern, an dem wir saßen.
„Ich ständig. Mal sind es sechs Methoden, den Fahrradschlauch zu wechseln, ein andermal fünf Musiker, die John Lennon gehasst haben, und dann die zwölf längsten Sätze über Schnee.“ Sie griff nach ihrer Tasse. „Früher gab es dieses Taschenbuch, ‚Rowohlts Bunte Liste‘, kennst du das noch?“ Ich schüttelte den Kopf. Sie nahm noch einen Schluck Kaffee. „Das war voll mit so Zeug. Irgendwann haben es mir meine Eltern weggenommen, weil ich nur noch diese Listen studiert habe: Welche bedeutenden Ereignisse der Geschichte fanden in einer Badewanne statt? Wer waren die unfähigsten Generäle aller Zeiten? Ich habe mich immer gefragt, wer all das zusammengestellt hat. Saßen da irgendwo Leute zusammen, die sich das ausgedacht haben, tagelang?“
„Vielleicht“, sagte ich, „mir jedenfalls würde das Spaß machen. Aber nicht tagelang, ein Abend würde schon reichen.“
Das Häufchen lächelt entrückt
Als die Buchhändlerin mit ihrem Mann Ullrich ein paar Tage später zum Essen kam, hatte sie ein Spiel mitgebracht. „Top Ten“ bestand aus mehreren Kartenstapeln, einem kleinen Spielfeld und einer Reihe von Plättchen, die auf der einen Seite ein Einhorn zeigten und auf der anderen einen Kothaufen, dem ein entrücktes Lächeln aufgemalt war. Die Buchhändlerin erklärte uns, dass wir alle zusammen spielten. Gemeinsam sollten wir dafür sorgen, dass eine Liste in die richtige Reihenfolge käme. Jeder von uns bekam verdeckt eine Karte mit einer einstelligen Zahl. Dann wurde für die erste Runde Ullrich als Spielkapitän bestimmt. Er nahm eine Karte von einem Stapel und las das Thema unserer Liste vor: „Der Systemadministrator fragt dich vor allen anderen nach deinem Passwort. Wie lautet es? Von ‚Wen juckt’s?‘ bis ‚Du versinkst im Erdboden‘.“
„Das ist die Skala“, sagte die Buchhändlerin, „von 1 bis 10. Und ihr müsst euch jetzt etwas ausdenken, je nachdem welche Zahl ihr vorhin gezogen habt. Dann sagt ihr es in die Runde, und Ullrich muss eure Antworten in die richtige Reihenfolge bringen. Dazu sammelt er eure Zahlenkarten nacheinander ein, legt sie aufs Spielfeld und deckt sie auf.“
„Und wenn die Reihenfolge nicht stimmt?“, fragte mein nordhessischer Cousin. Nach seinem Unfall mit dem Skateboard hatten wir ihn für ein paar Tage bei uns aufgenommen, weil sein Bein eingegipst war und wir im Erdgeschoss wohnen.
Gesucht: das peinlichste Passwort aller Zeiten
„Wir sind sechs Mitspieler“, sagte die Buchhändlerin. „Wir spielen sechs Runden. Für jeden von uns legen wir eines dieser Plättchen aufs Feld, mit der Einhornseite nach oben. Ist die Reihenfolge falsch, drehen wir jedes Mal ein Plättchen um. Wenn man vor dem Ende der sechsten Runde nur noch Häufchen sieht, haben wir verloren.“
Ullrich fragte jetzt reihum nach den Passwörtern. Ich hatte die Zahlenkarte mit der 2 gezogen und sagte „HansMeyer“. Mein Cousin sagte „CHEFISTVOLLIDIOT“ und die Buchhändlerin „EinKindvonFloriSilbereisen“. Ullrich überlegte lange, welches der beiden Passwörter peinlicher sein sollte. Am Ende stellte sich heraus, dass mein Cousin die 8 und die Buchhändlerin die 10 gezogen hatte.
Wir lernten das Spiel besser kennen und schlugen uns gut. In der letzten Runde hatten wir allerdings nur noch ein Einhornplättchen und durften uns keinen Fehler erlauben.
Welche Aktien uns reich gemacht hätten
„Was würdest du deinem elfjährigen Ich sagen, wenn du in der Zeit zurückreisen könntest?“, las meine Frau vor: „Von ‚Hat keinen Einfluss‘ bis ‚Mein Leben wird sich drastisch ändern‘.‘“
Wir zogen wieder Zahlenkarten. Als meine Frau die Antworten abfragte, sagte Ullrich: „Jüngeres Ich, kauf Aktien dieser obskuren Klitsche namens Apple.“ Die Buchhändlerin sagte: „Jüngeres Ich, hab mehr Geduld mit deinem dritten Freund.“
Ullrich lächelte geschmeichelt. „Du bist der Vierte“, sagte die Buchhändlerin.
„Klingt nach der 10“, sagte meine Frau.
„Ich gehe jetzt ins Bett“, sagte unser Sohn.
Spielekolumne „Einer wird gewinnen“
Einmal im Monat kommen die Freunde vorbei, um Gesellschaftsspiele zu testen: Brettspiele, Kartenspiele und auch solche, für die man nur Stifte, Zettel oder Würfel braucht. Wie diese Abende ablaufen, verrät unsere Kolumne „Einer wird gewinnen“ jeweils am letzten Montag des Monats.