Wachstumsbooster: Zahlen, bitte | ZEIT ONLINE | ABC-Z

Schon wieder steht es in Berlin 16 gegen 1. Eine Bundesregierung will eine Reform, 16 Länder haben aber eine ganz eigene Agenda. So war das vor gut einem Jahr, als der damalige Finanzminister Christian Lindner (FDP) sein Wachstumschancengesetz vorlegte, um die schwächelnde Volkswirtschaft ein bisschen aufzupäppeln. Die ursprünglich sieben Milliarden Euro an Entlastungen kürzten die Bundesländer mit vereinten Kräften noch mal gewaltig zusammen. Am Ende wurde es ein Reförmchen mit knapp drei Milliarden.
Inzwischen ist die Lage eine andere, wenngleich nicht weniger dramatisch. Im Rezessionsjahr drei werkelt Lindners Nachfolger, Lars Klingbeil (SPD), nun für die schwarz-rote Bundesregierung an der Wirtschaftswende. Und auch wenn er dafür, anders als Lindner, auf ein üppiges Sondervermögen zurückgreifen kann, hat sich an der Konfliktanordnung erst mal nichts geändert: Der Aufschwung, wie Klingbeil ihn sich wünscht, wird so nicht kommen. Zumindest nicht gegen den Willen der 16 Bundesländer. Klingbeil droht die Lindner-Falle.
Wir können nicht mehr, klagen die Länder
Zwei Punkte waren zuletzt strittig: Von den 500 Milliarden Euro Sondervermögen haben sich die Länder bereits 100 Milliarden herausverhandelt. Beim Treffen der Regierungschefinnen und -chefs der Länder am Donnerstag haben sie sich darauf verständigt, die Mittel nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel untereinander aufzuteilen, soll heißen in Abhängigkeit von Steueraufkommen und Bevölkerungszahl.
Viel wichtiger ist ein anderer Punkt, der weiterhin ungeklärt bleibt: Wer zahlt für die geplanten Entlastungen, von denen sich Schwarz-Rot so viel verspricht und auf die die Wirtschaft dringend wartet? Konkret will der Bund mit folgenden Maßnahmen Wachstum fördern: Die Mehrwertsteuer in der Gastronomie soll sinken, von derzeit 19 auf sieben Prozent. Die Pendlerpauschale soll steigen. Unternehmen sollen ihre Investitionen besser abschreiben können. Die Körperschaftsteuer soll in den kommenden Jahren um je einen Prozentpunkt sinken.
Dadurch würden den Ländern jedoch mehrere Milliarden Euro fehlen, klagen diese. Allein durch die Senkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie würde im Landeshaushalt ein mittlerer dreistelliger Millionenbetrag an Einnahmen wegfallen, rechnet man in einem Flächenland vor. Ohnehin würden die zuletzt hohen Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst die Länder bereits stark belasten, während die Einnahmen durch die Konjunkturflaute eingebrochen seien.
Und zu sparen im Gegenzug für die Entlastungen, sei auch nicht drin. Die Länder seien es schließlich, die Polizei, Justiz und Schulen zahlen, mithin die Kernbereiche eines verlässlichen Staates für seine Bürger. Man sei “wundgescheuert”, beschreibt ein Landeschef seine Lage. Ihm fehle schon heute jeder zehnte Euro im Haushalt, klagt ein anderer.
So schlecht gehe es den Ländern auch wieder nicht
Die Botschaft an die Bundesregierung ist klar: Steuern senken, auf Kosten der Länder – das wird nicht funktionieren. Wenn ihr einen Wachstumsbooster wollt, müsst ihr gefälligst selbst zahlen. Die Länderchefs verweisen mit einigem Recht auf das sperrige Wörtchen aus dem Koalitionsvertrag: “Veranlassungskonnexität”. Dahinter steht das Prinzip: Wer Kosten verursacht, kann die Rechnung nicht an Dritte abtreten.
Und so schieben sich Bund und Länder derzeit die Verantwortung zu. So schlecht gehe es den Ländern nun auch wieder nicht, ist aus der Hauptstadt zu hören. Subtext: Die sollen sich mal nicht so anstellen, haben sie doch schließlich erst 100 Milliarden aus dem Sondervermögen bekommen. Diese Mehreinnahmen aus dem Sondervermögen reichten aber bei Weitem nicht aus, um die Entlastungswunschliste zu finanzieren, argumentieren wiederum die Länder. Außerdem sei der Deal ein anderer gewesen: Das Geld sollte für Investitionen in die bröckelnde Infrastruktur ausgegeben werden.
In zwei Wochen nächstes Treffen geplant
Eine Lösung? Bisher nicht in Sicht. Schon ist wieder, wie damals unter der Ampel, ein Vermittlungsausschuss zwischen Bund und Ländern im Gespräch.
Weil der Bundeskanzler gerade auf Staatsbesuch in Washington, D. C. ist, nahm er nicht an den Beratungen der Länder teil – lud sie aber am Vorabend zu einem informellen Gespräch. Da sei die Stimmung gut gewesen, der Ton freundschaftlich, trotz der verfahrenen Lage, heißt es aus Teilnehmerkreisen. Der Kanzler verstehe die Lage der Länder.
So viel scheint den Beteiligten also immerhin klar zu sein: Zähe Verhandlungen, an deren Ende ein unbefriedigender Kompromiss steht, können sich weder das Land noch der Standort leisten.
“Wir wollen diesen Investitionsbooster, wir wollen die Körperschaftsteuerreform”, beteuerte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) nach der Ministerpräsidentenkonferenz. “Aber wir brauchen einen finanziellen Ausgleich.” Wie dieser aussehen könnte, verraten die Länder allerdings nicht. Es gebe keinen Zweifel, dass “wir diesen Investitionsbooster brauchen”, betonte auch sein Amtskollege aus Niedersachsen, Olaf Lies (SPD).
Auch die neue Bundesregierung hat die Wirtschaftswende aufgeblasen zur Schicksalsfrage. Der Subventionstopf, so scheint zumindest die implizite Hoffnung, möge doch bitte endlich die Wählerflucht an die politischen Ränder beenden.
Am 18. Juni wollen sich Bund und Länder erneut treffen. Diesmal dann mit dem Kanzler – und mit echten Ergebnissen. Schließlich soll das Wirtschaftspaket am besten noch vor der Sommerpause durch die Länderkammer. Die letzte Sitzung des Bundesrats ist der 11. Juli.